IGeL-Abzocke Verbraucherschützer fordern stärkere Patientenrechte
Eine 50-jährige Hessin berichtet: „Der Hautarzt meinte, aufgrund meiner vielen Leberflecke müsste ich extra zahlen, damit er sich die Leberflecke mit der Lupe ansieht. Ich hab mich geweigert, daraufhin hat der Arzt einfach meine Leberflecke gezählt. Nicht einen einzigen hat er sich genauer angeschaut, einfach nur gezählt.“
Frauen schildern, dass sie Brust- Ultraschalluntersuchungen selbst bezahlen mussten, obwohl ein begründeter Verdacht auf eine bösartige Veränderung oder eine fachärztliche Überweisung vorlag. Ein Mann klagt, dass er trotz Tumorbefund für die hausärztliche Bestimmung des PSA-Werts zur Verlaufskontrolle – anders als beim Urologen – selbst aufkommen musste. In anderen Fällen sollten die hausärztliche Wundversorgung nach stationärer OP bzw. die Betäubung bei einer Magenspiegelung extra bezahlt werden.
Auflichtmikroskop kostet bei der Hautkontrolle extra
Solche Szenen zitiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) aus seiner laufenden Onlinebefragung. Dabei geht es um Leistungen, die 2022 bis 2024 durchgeführt wurden. Die erste Auswertung umfasst rund 300 Patientenberichte.
Die meisten Klagen (26 %) betreffen die Dermatologie, insbesondere die Hautkrebsfrüherkennung (70 von 77 Meldungen). Die Untersuchung wird ab dem 35. Lebensjahr alle zwei Jahre von der Kasse bezahlt. Verbraucherinnen und Verbraucher schreiben jedoch, dass sie entweder für das Screening komplett selbst aufkommen oder zuzahlen mussten, z. B. für den Einsatz eines Auflichtmikroskops. Auffällig sind auch Ärztinnen und Ärzte der Augenheilkunde, der Orthopädie und der Allgemein- oder Inneren Medizin.
Bei jeder fünften Meldung gaben die Menschen an, nicht vor der Behandlung über die privat zu tragenden Kosten informiert worden zu sein. Manche trugen vor, keine Begründung erhalten zu haben, warum etwas als Selbstzahlerleistung angeboten wurde. Anderen wurde gesagt, dass die Genehmigung für die KV-Abrechnung einer bestimmten Untersuchung fehle oder dass die Praxis ausschließlich „bessere“ Verfahren nutze, die keine GKV-Leistungen seien. Weitere Begründungen lauteten: Das Krankheitsprofil erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine GKV-Abrechnung oder private (Zu-)Zahlungen sind notwendig, weil die Kostenerstattung der Kasse im Verhältnis zum Aufwand zu gering ist.
In zwei Drittel aller Fälle wurde die medizinische Leistung trotz der Kosten in Anspruch genommen. Die Verbraucherzentralen erklären das u. a. damit, dass sich die Leute den Forderungen beugen, weil ein Arztwechsel mangels Alternativen keine Option ist. Auch seien sie in der schwächeren Verhandlungsposition.
Die Darstellungen beruhen allerdings auf den Einschätzungen der Laien. Sie gaben an, eine Glaukom-Untersuchung oder Knochendichtemessung sei unberechtigt berechnet worden, weil doch individuelle Risikofaktoren oder einer begründeter Krankheitsverdacht vorgelegen haben. Auch stoßen IGeL-Empfehlungen von Berufsverbänden und Abrechnungs-Gurus oft grundsätzlich auf Kritik bei Verbraucherschützern und Medizinischem Dienst.
Gebühr für die Reinigung von medizinischem Gerät
Es fallen allerdings noch weitere Anlässe auf, die Praxen anführen, um zusätzliches Geld zu kassieren:
- Die Praxis nimmt keine neuen Kassenpatienten mehr auf bzw. hat keine freien Sprechstundentermine mehr – deshalb werden alle ärztlichen Leistungen ausschließlich als IGeL angeboten.
- Das Budget der Praxis ist überschritten: Auch bei Schmerzen wird keine Physiotherapie verordnet, sondern alternativ Quellgas als IGeL offeriert.
- Nach einer patientenseitigen Terminverschiebung ist ein erneuter Termin nur in der Privatsprechstunde möglich.
- Das Erstellen eines Arztbriefes sowie die Ausgabe einer CD mit Röntgenbefund sind nur gegen Gebühr möglich.
- Es wird eine Reinigungs- bzw. Benutzungsgebühr für die bei einer medizinischen Untersuchung verwendeten Geräte verlangt.
Die Verbraucherzentralen sehen es als „problematisch“ an, wenn Leistungen, die von der GKV übernommen werden, ausschließlich als IGeL bzw. Selbstzahlerdienste angeboten werden. Sie fordern, dass Vertragsärzte Kassenleistungen auch als solche anbieten und dass sie die Voraussetzungen zur KV-Abrechnung erfüllen müssen. Die Patientinnen und Patienten seien wahrheitsgemäß darüber aufzuklären, welche Leistungen unter welchen Bedingungen von der Kasse übernommen werden.
Zudem müsse das Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 von der Bundesregierung dringend überarbeitet werden – auch hinsichtlich der Umwandlung von GKV-Leistungen zu IGeL. Eine Praxis sei schließlich keine Verkaufsfläche. Das Online-Meldeportal der Verbraucherzentralen (t1p.de/ejd18) bleibt für weitere Beschwerden geöffnet.
Rund eine Milliarde Patienten-Arzt-Kontakte finden jährlich statt. Angesichts von 300 Beschwerden spricht der Chef des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich, von „populistischen Nischenthemen“, mit denen sich die „mit öffentlichen Geldern alimentierten Verbraucherzentralen“ befassen. Die Kritik lenke vom wahren Problem ab. „Verbraucherinnen und Verbraucher wollen ihren Haus- und Facharzt um die Ecke mit möglichst wenig Wartezeit“, so Dr. Heinrich. Diese Strukturen stünden aber auf der Kippe – „durch die anhaltende Budgetierung, eine Unterfinanzierung in den Praxen und einen stetig wachsenden Fachkräftemangel“.