Reform der Drogentherapie Wie soll der EBM an die Substitutionspraxis angepasst werden?
Seit April 2023 ist es leichter möglich, Patienten ihr Drogenersatzmittel zur eigenverantwortlichen Einnahme auf Rezept zu verschreiben – Take-home nennt sich das Prozedere dann und ist geregelt in der aktualisierten Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV). Auch dem Einsatz von lang wirksamen Depottherapien, bei denen der Wirkstoff sukzessiv freigesetzt wird, wurde so der Weg bereitet.
Das Problem dabei: Diese Therapieformen werden um bis zu 50 % schlechter honoriert als die tägliche Vergabe. Das persönliche Erscheinen der Patienten in der Arztpraxis und die Einnahme der Substitute „unter Sicht“ wird also durch den EBM privilegiert – als die medikamentengestützte Opioidsuchtbehandlung in den 1990er-Jahren in den Leistungskatalog aufgenommen wurde, standen Möglichkeiten wie Take-home oder Depottherapien noch am Beginn der Entwicklung und spielten im Versorgungsalltag keine Rolle.
Einheitliche Quartalspauschale nicht bei allen favorisiert
Jetzt wird im Dezernat Vergütung und Gebührenordnung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung seit Frühjahr 2023 darüber beraten, wie eine „gebührentechnische“ Gleichstellung erfolgen kann. Diskutiert wird ein von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) favorisiertes Modell, bei dem die bisherigen Gebührenziffern 01950 für die tägliche Vergabe, die 01949 für die Take-home-Vergabe und die 01953 für eine Depotpräparat-Verabreichung durch eine einheitliche Quartalspauschale für die Steuerung und Koordination der Behandlung ersetzt werden.
Doch diese Lösung ist nicht unproblematisch: Denn die Nr. 01950 für die tägliche Vergabe ist die Haupteinnahmequelle großer Substitutionsambulanzen und -praxen. „Eine ersatzlose Streichung würde beispielsweise in unserer Praxis einen Ausfall von 48 % der Erstattungen nach sich ziehen“, berichtet der Bonner Substitutionsmediziner Dr. Dirk Lichtermann im „Forum Substitutionspraxis“. Zudem werde übersehen, dass der weitaus größte Anteil von Patienten nicht in hausärztlichen Praxen, sondern von einer relativ kleinen Zahl substituierender Ärzte in Schwerpunktpraxen versorgt werde.
DGS-Vorstand Dr. Konrad Isernhagen argumentiert dagegen, es gehe gar nicht um eine ersatzlose Streichung der Ziffer 01950. Vielmehr solle diese durch eine neu einzuführende Gebührenordnungsposition ersetzt werden, weil die Einzelabrechnung fehleranfällig sei und die Behandlungsrealität nicht widerspiegele. Gerade deshalb könnten Haus- und Fachärzte die Substitutionsbehandlung nur schwer in den Praxisalltag integrieren und es würden Fehlanreize gegen Take-home und Depottherapien geschaffen.
Aus nicht-ärztlicher Sicht erklärt Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug bei der Deutschen Aidshilfe, dass die vielfach über Jahre und Jahrzehnte praktizierte tägliche Vergabe des Medikaments für die soziale und auch berufliche Reintegration eher hinderlich gewesen sei. „Das ist unstrittig. Es geht darum, jenen, die eine enge Anbindung an die Praxis benötigen, diese weiter zu ermöglichen, und jene, die diese nicht benötigen, schrittweise aus dem Praxisalltag zu entlassen. Dabei sollten monetäre Interessen in den Hintergrund treten.“
Aktuell heißt es vonseiten der KBV, dass die Beratungen hierzu andauern: „Es laufen weiterhin Gespräche, sowohl auf innerärztlicher Ebene als auch mit den Krankenkassen.“
Begrenzter Einfluss auf die Selbstverwaltung
Dem Drogenbeaufragten der Bundesregierung, dessen wichtigstes Reformvorhaben nun – je nach Betrachtungswinkel – auf der Kippe oder in der Schwebe steht, ist es im Moment nicht möglich, ein Statement abzugeben. Die Gesundheitspolitikerin Linda Heitmann von Bündnis90/Die Grünen, die seit Langem die Bevorteilung der täglichen Vergabe bei der Honorierung kritisiert, verweist auf den „begrenzten Einfluss der Politik auf Umsetzung bezüglich der speziellen Ziffern des EBM in den Händen der Selbstverwaltung“.
Die Zahl der Praxen, die eine Substitutionsbehandlung anbieten, ist seit vielen Jahren rückläufig und laut dem Bericht zum Substitutionsregister von Januar 2024 auf den Tiefstand von 2.436 gesunken. Rund die Hälfte der Opioidabhängigen in Deutschland ist ohne ärztliche Versorgung.
Medical-Tribune-Bericht