Long COVID zieht in den EBM ein Koordinierte Versorgung mit Basisassessment und Fallkonferenzen
Die „Richtlinie über eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für Versicherte mit Verdacht auf Long COVID und Erkrankungen, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung aufweisen“ (LongCOV-RL) des G-BA ist seit Mai 2024 in Kraft. Im Dezember 2024 zogen KBV und GKV-Spitzenverband im Bewertungsausschuss nach: Zum 1. Januar 2025 wurde ins EBM-Kapitel IV der Abschnitt 37.8 mit fünf GOP aufgenommen.
Die Positionen, die zunächst extrabudgetär vergütet werden, können für die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit folgenden Indikationen zum Ansatz kommen:
- post-akut anhaltende(s) oder neu auftretende(s) Symptom(e) oder Krankheitsbild(er) infolge einer akuten SARS-CoV-2-Infektion, die länger als vier Wochen nach Infektion andauern oder ab einer Zeit von vier Wochen nach Infektion auftreten,
- Folgen einer akuten SARS-CoV-2-Infektion, die länger als zwölf Wochen (bei Kindern und Ju-gendlichen acht Wochen) nach Infektion andauern oder neu auftreten,
- Patientinnen und Patienten, die infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 den Verdacht oder die Diagnose einer Myalgischen Enzephalomyelitis/eines Chronic Fatigue Syndroms (ME/CFS) aufweisen oder die nach einer Impfung zur Prophylaxe von COVID-19 Long-COVID-ähnliche Symptome zeigen.
Tab. 1: Indikationen für die GOP 37801 | |
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ICD 10 | Beschreibung |
U09.9! | Post-COVID-Zustand nicht näher bezeichnet |
U10.9- | Multisystemisches Entzündungssyndrom in Verbindung mit COVID-19, nicht näher bezeichnet |
U12.9! | Unerwünschte Nebenwirkungen bei der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen, nicht näher bezeichnet |
U90.80 | Posturales orthostatisches Tachykardie-Syndrom (PoTS) |
G93.3 | Chronisches Fatigue-Syndrom inkl.: Chronisches Fatigue-Syndrom bei Immundysfunktion, Myalgische Enzephalomyelitis, Postvirales (chronisches) Müdigkeitssyndrom |
I95.1 | Orthostatische Hypotonie inkl. Orthostatische Dysregulation |
Quelle: KBV |
Zuschlag für Hausarztpraxen bei schweren Verlaufsformen
Die GOP 37800 bis 37802 können nur von Ärztinnen und Ärzten der hausärztlichen Versorgung oder für Kinder- und Jugendmedizin berechnet werden – sowie von Vertragsärztinnen und -ärzten, die bereits zuvor innerhalb eines definierten Zeitraums solche Patientinnen und Patienten behandelt haben.
Bei schweren Verlaufsformen kann in der Hausarztpraxis der Zuschlag 37801 angesetzt werden. Solche Verlaufsformen liegen vor bei
- einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit von mindestens vier Wochen wegen der oben genannten Symptome oder Krankheitsbilder und/oder
- mindestens einer Erkrankung nach den in Tabelle 1 genannten ICD-10-Codes und
- einer schweren Funktionseinschränkung (Beurteilung mittels standardisierter, wissenschaftlich validierter Testverfahren) mit Angabe der entsprechenden Codes nach ICD-10-GM (U50.4-, U50.5- oder U51.2-) oder dem anhand der Bell-Skala ermittelten Punktwert (≤ 30).
Ein wichtiges Element des neuen Leistungsbereichs ist die ggf. notwendige Zusammenarbeit der koordinierenden Hausärztinnen und -ärzte mit anderen, in der Sache spezialisierten Fachärztinnen bzw. -ärzten oder Institutionen. Hausarztpraxen erhalten den Zuschlag 37802 (141 Punkte), wenn auf ihre Veranlassung hin die Patientin oder der Patient in dem Quartal durch mindestens eine/n weitere/n Vertragsärztin/-arzt einer anderen Fachrichtung behandelt wird und die obligaten Leistungsinhalte erfüllt sind. Kommt es dabei – in Präsenz, per Video oder telefonisch – zu einem inhaltlichen Austausch über das Krankheitsbild, können die patientenbezogenen Fallbesprechungen nach GOP 37804 (86 Punkte) von allen beteiligten Ärztinnen und Ärzten bis zu fünfmal im Krankheitsfall berechnet werden.
Eine zur differenzialdiagnostischen Abklärung eingebundene spezialisierte Praxis oder Hochschulambulanz kann für ihre Leistungen einmal im Behandlungsfall (höchstens zweimal im Krankheitsfall) die GOP 37806 (219 Punkte/27,14 Euro) berechnen. Die Einrichtung muss dabei bestimmte Kriterien der LongCOV-RL erfüllen, wie das Gewährleisten einer neurologischen, kardiologischen und pneumologischen Versorgung, sowie an der klinischen Forschung zu den in der RL genannten Erkrankungen beteiligt sein.
Zur EBM-Abrechnung hier ein Fallbeispiel (Tab. 2): Eine 38-jährige Patientin mit einer Migraine accompagnée klagt nach einer nachgewiesenen SARS-CoV-2-Infektion vor sechs Wochen über häufige Schwindelanfälle, Übelkeit und eine Zunahme der Migräneanfälle. Das Basisassessment ergibt Hinweise auf das Vorliegen einer mit der Infektion in Verbindung stehenden schweren Verlaufsform der Erkrankung. Die Behandlung erfolgt zunächst symptomatisch.
Wegen der Zunahme der Beschwerden durch motorische Funktionseinschränkungen erfolgt eine Überweisung an eine neurologische Praxis. Es wird ein Termin vermittelt und ein telefonisches Telekonsil mit dem Facharzt durchgeführt. Dieser ist in einem MVZ zusammen mit anderen Fachgruppen tätig und übernimmt die weitere Behandlung. Mit den kooperierenden Fachärztinnen und -ärzten erfolgt eine Fallkonferenz per Video in Anwesenheit der Patientin.
Tab. 2: Abrechnung im Fallbeispiel | ||
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EBM | Leistungsbeschreibung | Euro |
Abrechnung Erstkontakt (ICD-10: U09.9! G43.3) | ||
03003 | Versichertenpauschale im 38. Lebensjahr | 14,13 |
37800 | Basisassessment durch den koordinierenden Vertragsarzt bei Verdacht auf Long-COVID-Erkrankung, einmal im Krankheitsfall | 20,33 |
03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist, je 10 Minuten | 15,86 |
Abrechnung Zweitkontakt (ICD-10: U09.9! G43.3 I95.1 U50.4-) | ||
03220 | Zuschlag zur Versichertenpauschale für die Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 16,11 |
37801 | Zuschlag zur GOP 37800 bei schweren Verlaufsformen, je Sitzung, höchstens zweimal im Krankheitsfall | 15,86 |
03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, je 10 Minuten | 15,86 |
Abrechnung Drittkontakt (ICD-10: U09.9! G43.3 I95.1 U50.4-) | ||
03221 | Zuschlag zu der GOP 03220 | 4,96 |
37802 | Zuschlag zur Versichertenpauschale für den koordinierenden Vertragsarzt, einmal im Behandlungsfall | 17,47 |
01670 | Zuschlag zu den Versichertenpauschalen für die Einholung eines Telekonsiliums, bis zu zweimal im Behandlungsfall | 13,63 |
03008 | Zuschlag zur Versichertenpauschale für Terminvermittlung zum Facharzt | 16,24 |
Abrechnung Viertkontakt (ICD-10: U09.9! G43.3 I95.1 U50.4-) | ||
37804 | Fallbesprechung, höchstens fünfmal im Krankheitsfall | 10,66 |
01450 | Zuschlag Videosprechstunde | 4,96 |
03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch | 15,86 |
Wenn von ME/CFS, PEM und Pacing die Rede ist
Die LongCOV-RL des G-BA bezieht sich auf Betroffene aller Altersgruppen. Ziel ist die bessere und schnellere Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf Long COVID und Erkrankungen, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung aufweisen. Dazu zählen auch das Post-Vac-Syndrom (Beschwerden nach einer COVID-19-Impfung) und die schwere neuroimmunologische Erkrankung ME/CSF, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Vor der Pandemie wurde die Zahl der ME/CFS-Betroffenen in Deutschland auf etwa 250.000 geschätzt, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Die Zahl der Erkrankten könnte sich durch COVID-19 verdoppelt haben.
Im fakultativen Teil des Leistungsinhalts der GOP 37801 tauchen Begriffe wie PEM und Pacing auf. PEM ist die Abkürzung für „Post-Exertionelle Malaise“ und steht für das bei ME/CFS (und den ME/CFS-Subtyp von Long COVID) charakteristische Leitsymptom sowie die typische belastungsinduzierte Symptomverschlechterung. PEM ist deshalb in allen etablierten klinischen Kriterien die Voraussetzung für eine ME/CFS-Diagnose. Als Pacing wird das strikte Einteilen der eigenen Energie und Aktivitäten bezeichnet, um die individuell vom Schweregrad abhängigen Belastungsgrenzen nicht zu überschreiten und die PEM zu vermeiden. Gesundheitsbehörden empfehlen Pacing als Strategie zum Krankheitsmanagement bei ME/CFS.
Quelle: Medical Tribune Bericht