Atemübungen Physiotherapie bei Long COVID
In der Akutsituation konnte eine 51-jährige COVID-19-Patientin ihre Atemnot noch gut aushalten. Doch während der folgenden Monate wurde es immer schlimmer, bis die Frau schließlich nicht mehr sprechen konnte. Das ist kein Einzelfall, schreiben Prof. Dr. Rachael Evans von der Universität Leicester und Kollegen. Mitunter bleiben Atembeschwerden länger als zwei Jahre bestehen, nicht selten sind sie das führende Symptom der anhaltenden Erkrankung.
Dauer der Beschwerden insgesamt sehr individuell
Neben Dyspnoe und thorakalem Engegefühl kann das respiratorische Beschwerdebild auch schmerzhafte oder brennende Missempfindungen im Brustkorb umfassen, was die Betroffenen insgesamt massiv beeinträchtigt. Auch wenn sich die Symptome überwiegend innerhalb von vier bis zwölf Wochen zurückbilden, ist eine individuelle Prognose schwierig. Denn während radiologische Veränderungen meist relativ rasch verschwinden, sind Atemstörungen nach COVID-19 hartnäckig.
Die Pathophysiologie dieses Phänomens ist noch unbekannt, vermutet wird ein Zusammenspiel von mechanischen, biochemischen und neurokognitiven Faktoren. So kann es zu thorakalen Muskelverspannungen oder Costochondritis kommen. Außerdem gewöhnen sich Patienten oftmals eine in der Akutsituation (Pneumonie etc.) durchaus sinnvolle flache Atmung an. Auch eine übersteigerte Interozeption und dysfunktionale Abläufe des autonomen Nervensystems werden diskutiert.
Differenzialdiagnostisch gilt es, kardiorespiratorische Komplikationen der SARS-CoV-2-Infektion wie Thromboembolien, interstitielle Lungenerkrankungen und Herzinsuffizienz auszuschließen. Zur Basisabklärung inklusive sorgfältiger Anamnese und körperlicher Untersuchung gehört eine Evaluation mittels Pulsoxymetrie, Bluttests, EKG und Röntgenthorax sowie ggf. Spirometrie. Falls diese Diagnostik keinen Befund ergibt, ist eine weitere Abklärung ratsam, insbesondere wenn Red Flags vorliegen.
Viele Patienten fürchten, angesichts der anhaltenden respiratorischen Beschwerden lebensgefährlich erkrankt zu sein. Da dies mittels Anamnese und weiterführender Diagnostik jedoch weitestgehend ausgeschlossen werden kann, lassen sie sich meist beruhigen. Patienten gegenüber, die sich mit negativen Befunden nicht zufrieden geben, sollte eine Ursache für die Dyspnoe benannt werden. Biomarker stehen bisher nicht zur Verfügung. Die Autoren schlagen in diesem Fall als positive Diagnose „Atemmusterstörung“ vor.
Zur Linderung der Dyspnoe kann ein Patient aktiv selbst beitragen. Adipöse sollten Gewicht reduzieren, bei sedentärer Lebensweise ist mehr körperliche Bewegung angezeigt. Letzteres scheitert jedoch oft an chronischer Erschöpfung oder der belastungsbedingten Symptomatik.
Die Autoren empfehlen deshalb, die individuelle Toleranz vorsichtig zu testen. Manche Patienten profitieren von sanften Bewegungen, z.B. Tai-Chi und Yoga. Ebenfalls hilfreich ist die tägliche Muskelentspannung v.a. im Schulter- und Nackenbereich.
Oft genügen Übungen in Eigenregie aber nicht. Viele Patienten benötigen eine individuell konzipierte Physiotherapie. Dadurch können sie beispielsweise lernen, wieder durch die Nase statt durch den Mund zu atmen. Außerdem sollten sie die Brust- zugunsten der Bauchatmung reduzieren und Atemzugvolumen sowie respiratorische Frequenz verringern. Die Übungen sollten erst im Liegen, später im Sitzen und Stehen durchgeführt werden. Zusätzlich lässt sich mithilfe von Entspannungstechniken der normale Vagotonus wiederherstellen und eine übermäßige Muskelspannung lösen.
Atemübungen bessern die Lebensqualität
Gemäß einer Studie kann bereits eine sechswöchige Atemtherapie einen günstigen Einfluss auf Dyspnoe und Lebensqualität haben. Auch die eingangs vorgestellte Patientin profitierte von der speziellen Physiotherapie. Die Symptome verschwanden nicht komplett, doch dank der erlernten Übungen kann sie ihre Atmung jetzt besser kontrollieren.
Quelle: Evans R et al. BMJ 2023; 381: e074937; DOI: 10.1136/bmj-2023-074937