Vorhaltepauschale Wer profitiert von der EBM-Anpassung?
Der Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) wurde am 22. Mai von der Bundesregierung beschlossen. Noch fehlt die Zustimmung des Bundestages, was mit der Ampel-Mehrheit eine Formsache sein dürfte. Natürlich können während des Verfahrens, insbesondere über den Gesundheitsausschuss, noch Änderungen vorgenommen werden. Der Startbeginn wird voraussichtlich – je nachdem wie schnell der Bewertungsausschuss die Regelungen umsetzt – Januar oder April 2025 sein.
Kein Mehrumsatz mit der Versorgungspauschale
Der Kabinettsentwurf enthält diese Passage: „Die Regelungen über die Versorgungspauschale sind so auszugestalten, dass sie weder zu Mehrausgaben noch zu Minderausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung führen.“ Damit ist klar, dass es bei dieser Pauschale zu keinem Mehrhonorar kommen wird. Denkbar sind allenfalls geringe Umverteilungen, da sich die Möglichkeit, den besonderen Aufwand bei chronisch Kranken abrechnungstechnisch geltend zu machen, erweitert hat.
Mit Mehrhonorar ist dagegen an anderer Stelle zu rechnen. Das hängt allerdings von der konkreten Umsetzung der neuen Vorhaltepauschale ab. Deren Berechnung ist an bestimmte, nun im Gesetzentwurf etwas offener formulierte Kriterien, gebunden. Auffällig ist, dass sich diese Vorgehensweise an Regelungen in der vom Kabinett beschlossenen Krankenhausreform anlehnt. Dort heißt es im Begründungstext: „Künftig sollen die Kliniken nicht mehr allein pro Eingriff (Fallpauschalen) bezahlt werden, sondern auch für das Vorhalten von Behandlungskapazitäten. Zur Erhöhung der Qualität soll es für alle Eingriffe bundesweit gültige Vorgaben hinsichtlich der technischen und personellen Ausstattung geben. Nur wenn diese Kriterien erfüllt werden, zahlen die Krankenkassen.“ Das kann man 1:1 auf die neue hausärztliche Vorhaltepauschale übertragen.
Ersetzen soll die Vorhaltepauschale die bisherige GOP 03040 (16,47 Euro), die als Zusatzpauschale zu den GOP 03000 und 03030 für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags fungiert. Wie die Versorgungs- soll auch die Vorhaltepauschale jährlich ausgezahlt werden, wenn in mindestens zwei aufeinanderfolgenden von vier aufeinanderfolgenden Quartalen ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattfindet.
Die Vorhaltepauschale ist ans Erfüllen von Kriterien gebunden. Der Kabinettsentwurf lässt dem Bewertungsausschuss einen größeren Spielraum, diese Kriterien zu konkretisieren, als es im Referentenentwurf der Fall gewesen war (siehe Tabelle).
Da bisher der Ansatz der GOP 03040 automatisch bei jedem ambulant kurativen Fall durch die KV erfolgt, geht es bei einer Bespielpraxis mit 1.500 Behandlungsfällen somit um die Neuverteilung eines Jahresumsatzes von 98.820 Euro.
Festgelegt ist, dass für die Praxen insgesamt keine Verluste entstehen dürfen. Bei einer Minderung der Gesamtvergütung sind von den Kassen Zuschläge auf die Vorhaltepauschale zu gewähren. Die sollen aber nur jenen Praxen zugutekommen, die eine Vorhaltepauschale abrechnen dürfen. Das bedeutet eine ggf. nicht unerhebliche Honorarumverteilung von Praxen mit einer jüngeren Klientel zu Praxen mit älteren, multimorbiden Patienten.
Für die Vorhaltepauschale zu erfüllende Kriterien | |
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laut Kabinettsentwurf | laut Referentenentwurf |
bedarfsgerechte Versorgung mit Haus- und Pflegeheimbesuchen | bedarfsorientierte Haus- und Pflegeheimbesuche und regelmäßige Besuche bei Versicherten über 75 Jahre |
bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten | bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten mit regelmäßigen monatlichen Abendsprech- und ergänzend Samstagssprechstunden |
vorrangiges Erbringen von Leistungen aus dem hausärztlichen Fachgebiet | Versorgung von geriatrischen Patienten und eine palliativmedizinische Versorgung |
Mindestanzahl an zu versorgenden Versicherten | mindestens 450 Patienten/Quartal/Arzt |
regelmäßige Nutzung von Anwendungen der Telematikinfrastruktur | Pflege der elektronischen Patientenakte und Aktualisierung des elektronischen Medikationsplans |
| kontinuierliche postoperative Versorgung |
Mögliches Modell: gestufte Bezahlung nach Trefferquote
Das Gesetz erlaubt eine Abstufung, z.B. 50 % der Vorhaltepauschale bei fünf erfüllten Kriterien, 80 % bei acht und 100 % bei zehn Kriterien. Folgt der Bewertungsausschuss diesem Modell, könnte dies die beabsichtigte Förderung der eigentlichen hausärztlichen Versorgung bewirken. Mit z.B. den fünf (im Referentenentwurf genannten) Kriterien mindestens 450 Patienten, Pflege von ePA und eMedikamentenplan, bedarfsorientierte Haus- und Pflegeheimbesuche sowie regelmäßige Besuche bei Versicherten über 75 Jahre, dürfte keine „echte“ Hausarztpraxis ein Problem haben, die neue Pauschale abzurechnen.
Auch wenn der Kabinettsentwurf nicht mehr auf eine geriatrische und/oder palliativmedizinische Versorgung bzw. die postoperative Behandlung abhebt, wären diese Kriterien realitätskonform. Dann müssten noch die Abend- und Samstagsprechstunden, wie sie z.B. Bestandteil vieler HzV-Verträge sind, für die 100 % hinzukommen.
Offen ist die Frage, wie man diese „Zertifizierung“ vornehmen wird. Reicht es, wenn in jedem Quartal einmal die Kriterien erfüllt werden? Wie kann die Vorhaltepauschale einmal jährlich beim zweiten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt berechnet werden und dann für die folgenden drei Quartale gelten? Wird die Pauschale ggf. gekürzt, wenn die Kriterien nicht in allen Quartalen erfüllt werden, wie dies die Kassen bei der GOP 03220/03221 mit der 4/3/2/1-Regelung versuchen? Da die Umsetzung im Bewertungsausschuss beraten und festgelegt werden muss, wo Kassenvertreter mitbestimmen, sind „Konflikte“ absehbar.
Tipp: Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte jetzt die korrespondierenden GOP zu den beabsichtigten Kriterien in seinem Abrechnungsspektrum so dokumentieren, dass keine Zweifel am Vorhandensein einer echten Versorgerpraxis aufkommen können.
Medical-Tribune-Bericht