Praxisorganisation Mit der Technik steht und fällt der Erfolg

Autor: Antje Thiel

Telemedizin und Videosprechstunden bieten viele Vorteile, doch auch mögliche Nachteile sollten nicht aus dem Blick verloren werden. Telemedizin und Videosprechstunden bieten viele Vorteile, doch auch mögliche Nachteile sollten nicht aus dem Blick verloren werden. © Marc Wiegelmann – stock.adobe.com

Bei Videosprechstunden liegen Licht und Schatten recht nah beieinander. Patient*innen wissen die Zeitersparnis und Bequemlichkeit zu schätzen. Doch eine schlechte technische Ausstattung oder mangelnde Computer-Erfahrung führen dazu, dass ein Videotermin oft erst nach Startschwierigkeiten beginnen kann.

Die Vorteile der Telemedizin für  Patient*innen liegen auf der Hand: weniger Arbeitsausfall, Zeit- und Geldersparnis, weil die Anfahrt entfällt, bessere Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen, keine zusätzlichen Ansteckungsrisiken. Für medizinische Einrichtungen verspricht die Telemedizin neben besseren Therapieergebnissen weniger verpasste Termine oder Absagen, ein besseres Follow-up und effizienteres Zeitmanagement. Tatsächlich sind die verbesserten Outcomes wie HbA1c-Reduktion, niedrigere Nüchtern- und postprandiale Glukosewerte, niedrigerer Blutdruck und verbesserte Selbstwirksamkeit im Zusammenhang mit Telemedizin mittlerweile durch eine Metaanalyse von 32 Studien belegt, wie Professor Dr. Richard I. G. Holt vom Fachbereich Human Development and Health von der Universität Southhampton erklärte.1

Während der COVID-19-Pandemie hatte aber nicht nur der Wechsel zu digitalen Terminen Einfluss auf die Diabetesversorgung: „In etwa 60.000 Fällen wurde die Diagnose Typ-2-Diabetes nicht gestellt, weil die Betroffenen nicht in der Klinik untersucht werden konnten. Es fanden auch weniger Augen- und Fuß-Screenings statt“, so der Experte. Mit Blick auf eine Erhebung in Southhampton aus dem Jahr 2021 erklärte er, dass Patient*innen virtuelle Termine – insbesondere wegen des geringeren Ansteckungsrisikos und der Zeitersparnis – praktisch fanden.

Weniger zufrieden waren die befragten Patient*innen damit, dass bei einem virtuellen Termin keine körperliche Untersuchung stattfinden kann. Es fiel ihnen aber auch schwerer, mit dem Behandlungsteam zu kommunizieren – entweder aufgrund persönlicher Präferenzen oder wegen technischer Schwierigkeiten. Auch für Behandlungsteams sind Probleme mit der Technik traurige Realität: „Die Computer in unserer Klinik etwa stammen aus den 1990er-Jahren und haben nicht einmal eine Webcam“, sagte Prof. Holt.

Keine echte Zeitersparnis durch Online-Termine 

Seiner persönlichen Erfahrung nach bringen Online-Konsultationen keine echte Zeitersparnis – zumindest nicht auf ärztlicher Seite: „Manchmal erfordern sie sogar mehr Zeit. Man muss mehr vorbereiten, Daten vorbereiten und Aufzeichnungen sichten. Das ist keine vergeudete Zeit, aber eben erforderliche zusätzliche Zeit.“ Wenn er es mit weniger technikaffinen Patient*innen zu tun hat, braucht ein Online-Termin noch einmal mehr Zeit: „Bei uns nehmen technische Fragen eine Menge Zeit in Anspruch, bevor die eigentliche Konsultation starten kann.“ Andere Patient*innen wiederum nehmen einen Online-Termin eher auf die leichte Schulter, sind dann gerade im Supermarkt oder fahren im Auto durch einen Tunnel. „Sie sind dann weder vorbereitet, noch haben sie eine gute Internetverbindung.“

Der Referent wies darauf hin, dass bei Videokonsultationen die verbale Kommunikation noch wichtiger ist. So sollte man noch mehr als sonst auf verständliche Sprache achten und Patient*innen genug Zeit geben, das Gehörte zu verarbeiten, gleichzeitig aber auch längere Gesprächspausen vermeiden, weil Patient*innen diese auf Internet-Probleme zurückführen könnten. Und: „Sie sollten es ihnen auch mitteilen, wenn Sie z.B. etwas aufschreiben wollen und sich deshalb kurz abwenden“, riet Prof. Holt.

58th EASD Annual Meeting, Stockholm

Literatur:
1. Zhang et al. Int J Environ Res Public Health; 2022 Mar 31: 19 (7): 4173; DOI: 10.3390/ijerph19074173