Scheitert die Corona-Warn-App an zu wenigen Installationen?
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Für Mitte Juni ist die staatliche „Corona-Warn-App“, angekündigt, die der Softwarekonzern SAP und die Deutsche Telekom entwickeln. Angesichts der niedrigen Neuinfektionszahlen werde dieser Starttermin wahrscheinlich noch reichen, um eine unkontrollierte Verbreitung des Coronavirus aufzuhalten, meint Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer.
Die Anwendung soll Nutzer informieren, falls sie sich längere Zeit in der Nähe einer positiv getesteten Person aufgehalten haben. Angesichts der allmählichen Lockerungen der Kontaktbeschränkungen hofft man, dass sie dabei hilft, Infektionsketten zu unterbrechen.
So funktioniert die deutsche Corona-Tracing-App
Die „Corona-Warn-App“ nutzt die Bluetooth-Technologie von Smartphones. Ist die Anwendung installiert, generieren die Geräte regelmäßig bestimmte Zahlenfolgen (ID). Befindet sich ein anderes Smartphone, auf dem die Software installiert ist, für einige Minuten in kritischer Nähe, wird die ID des jeweils anderen Geräts gespeichert. Stellt sich für einen der Nutzer heraus, dass er mit SARS-CoV-2 infiziert ist, kann er dies in der App angeben. Alle Smartphones, die die ID gespeichert hatten, warnen dann, dass Kontakt zu einer positiv getesteten Person bestand. Die Nutzer können sich ebenfalls testen lassen und in häusliche Quarantäne gehen. Weder die Identität des Warnenden noch die der Gewarnten wird bekannt.
Ob das klappt, hängt davon ab, wie viele Menschen bereit sein werden, die App zu verwenden. Experten schätzen, dass mindestens 60 % der Bevölkerung, rund 50 Millionen Deutsche, mitmachen müssten. Diese hohe Hürde soll laut Bundesregierung allein durch die freiwillige Installation der App genommen werden. Eine staatliche Verpflichtung zur Nutzung soll es nicht geben, auch gegen positive Anreize haben sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesinnenminister Horst Seehofer ausgesprochen.
Kritiker befürchten jedoch, dass das Gebot der Freiwilligkeit unterlaufen werden könnte – etwa indem Geschäfte oder Arbeitgeber die Nutzung der App zur Pflicht für das Betreten von Räumen erklären. Dies würde Menschen benachteiligen, die kein Smartphone besitzen oder die die Anwendung nicht installieren möchten.
Verpflichtung per Gesetz ausschließen?
Ein Gesetz, das solche Verpflichtungen ausschließt, hält die Bundesregierung bislang nicht für nötig (Stand 4.6.2020). Die vier Landesjustizminister und -senatoren der Grünen haben daher einen Gesetzesentwurf erarbeitet, der gewährleisten soll, dass die App nur freiwillig eingesetzt werden darf.Gesundheitsämter befürchten Mehraufwand
Eigentlich soll die Tracing-Anwendung Gesundheitsämter von der mühsamen Kontaktverfolgung entlasten. Derzeit fragen die Behörden COVID-19-Patienten telefonisch, mit wem sie Kontakt hatten und wo sie sich aufgehalten haben. Dr. Ute Teichert, die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, vermutet allerdings, dass die App zu mehr Arbeit für die Ämter führen wird – etwa weil Nutzer wissen möchten, wie sie auf eine Warnung reagieren sollen. Auch die Einspeisung der Daten in das Meldesystem müsse wahrscheinlich von den Ämtern übernommen werden.
In anderen Staaten hat man derweil die Erfahrung gemacht, dass solche Verpflichtungs-Diskussionen dem Ansehen der Apps schaden können und die Bereitschaft der Menschen, die Anwendungen zu nutzen, reduzieren. So weist netzpolitik.org, eine Plattform für digitale Freiheitsrechte, darauf hin, dass die österreichische App „Stopp Corona“ auch deswegen sehr holprig gestartet sei, weil aus österreichischen Regierungskreisen Äußerungen zu einer möglichen Verpflichtung laut wurden. Nur rund 7 % der Österreicher haben die Software heruntergeladen. Sie ergänzt die herkömmliche Verfolgung von Infektionsketten, kann sie aber nicht ersetzen.
Laut netzpolitik.org setzen weltweit 31 Länder Corona-Apps zur Kontaktverfolgung ein (Stand 29.5.2020). Die Anwendungen unterscheiden sich technisch und sind untereinander offenbar eher nicht kompatibel. Dr. Reinhardt betont, angesichts des wieder anlaufenden Reiseverkehrs und der anstehenden Grenzöffnungen seien Schnittstellen zu den Systemen anderer Staaten sowie internationale Meldewege wünschenswert.
Indien erzwingt die Nutzung der staatlichen Anwendung
Weltweit ist der Umgang der Regierungen mit Freiwilligkeit und Datenschutz sehr verschieden. In Indien geht man beispielsweise einen relativ rabiaten Weg. Nachdem die Regierung im April dazu aufgerufen hatte, „Aarogya Setu“ zu installieren, folgten rund 50 Millionen Downloads in nicht mal zwei Wochen. Trotzdem erklärte man die Nutzung für viele Personengruppen zur Pflicht, bei Nicht-Verwendung drohen Strafen. Zudem wertet die App Standortdaten aus. Wer genau darauf Zugriff hat, ist unklar. Laut Medienberichten nutzten Mitte Mai über 100 Millionen Menschen die Anwendung. Angesichts der Einwohnerzahl von 1,3 Milliarden sind dies jedoch immer noch weniger als 10 %. Nach Schätzungen besitzt weniger als die Hälfte der Bürger Indiens ein Smartphone. In einigen Ländern, die auf Freiwilligkeit setzen, folgte nach anfänglicher Euphorie allmählich Ernüchterung. Auch hier ist man von einer Installation durch 60 % der Bevölkerung weit entfernt. In Singapur, dem ersten Land, das eine Corona-Tracing-App einsetzte, wurden nach Angaben von netzpolitik.org in den ersten beiden Wochen eine Million Downloads registriert, danach sei das Interesse allerdings gesunken. Rund ein Viertel der Bevölkerung habe die Software installiert. Diese war von Beginn an nur unterstützend gedacht. In Australien wurde Ende Mai trotz aller Bemühungen um Anonymität die Identität eines Nutzers bekannt. Laut The Guardian haben etwa sechs Millionen Bürger die Anwendung heruntergeladen, die Zahl der Downloads sei rückläufig (Stand 23.5.2020). Anfangs hatte die Regierung das Ziel formuliert, mindestens 40 % der Australier sollten die Software nutzen.In Norwegen deaktivieren viele Bürger die App wieder
Auch die „Smittestopp-App“ in Norwegen verliert laut netzpolitik.org an Vertrauen. Ursprünglich wurde sie 1,5 Millionen Mal heruntergeladen, inzwischen ist sie jedoch nur noch bei 700.000 Bürgern aktiviert. Das Misstrauen liegt auch darin begründet, dass die Anwendung stündlich die Aufenthaltsorte der Nutzer an eine zentrale Datenbank sendet, damit die Wirkung staatlicher Maßnahmen analysiert werden kann. Zudem wurde der Quellcode nicht veröffentlicht, die Details der App können daher nicht überprüft werden. In Deutschland haben SAP und Telekom Ende Mai den Quellcode der Corona-Warn-App veröffentlicht. Seitdem ruht der kritische Blick der IT-Community auf den Details der Software.Medical-Tribune-Bericht