Wie funktioniert E-Health in der Praxis?
Bastian Hauck, der seit seiner Jugend an Diabetes Typ 1 leidet, kann sich ein Leben ohne digitales Selbstmanagement nicht mehr vorstellen. Denn für den leidenschaftlichen Segler bedeutet dies, sich frei und ortsungebunden bewegen und sein Leben und sein Hobby ohne Einschränkungen ausüben zu können.
Der 38-Jährige nutzt seit sieben Jahren ein Echtzeit-Messgerät zur kontinuierlichen Messung des Gewebeblutzuckers (rtCGM). "Das System misst über einen Sensor rund um die Uhr den Glukosegehalt in meinem Unterhautfettgewebe und sendet die Daten an mein Handy", erklärt Hauck.
Dadurch kann er nicht nur seine aktuellen Glukosewerte überprüfen, sondern er erhält auch Angaben zum Trend der Werte. "Das erleichtert es mir, rechtzeitig durch Nahrungsaufnahme oder Insulingabe schweren Stoffwechselentgleisungen entgegenzuwirken", berichtet Hauck.
Ein großer Vorteil sei auch, sich mittels eines Alarms vor einer drohenden Hypoglykämie warnen lassen zu können. Seit er das System nutzt, haben sich nicht nur seine Werte verbessert, sondern er konnte auch den Insulinbedarf deutlich senken. Seine Diabetologin wiederum sieht er nur noch ein Mal pro Quartal.
App hilft dem Arzt, schnell zu erkennen, wo das Problem liegt
Ein modernes Diabetes-Selbstmanagement bringt aber nicht nur den Patienten Vorteile. Intelligente Apps, die einen Verlauf dokumentieren oder die Möglichkeit bieten, Therapiealgorithmen zu hinterlegen, erleichtern es auch dem Arzt, die Daten zu analysieren und die Behandlung gezielt anzupassen.
"Die App hilft mir beispielsweise, schnell zu erkennen, wo das Problem liegt, wenn bei einem Patienten die Werte immer zur selben Tageszeit in die Höhe schnellen", berichtet Stephan Schreiber, Diabetologe aus Quickborn. Der Arzt setzt bereits seit geraumer Zeit Diabetes-Apps in seiner Praxis ein und sieht den Zeitgewinn im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses als einen ganz entscheidenden Vorteil der Systeme.
Weniger Dokumentationsfehler in elektronischen Tagebüchern
Seiner Erfahrung nach kommt es durch die elektronische Datenerfassung auch zu deutlich weniger Dokumentationsfehlern als bei den herkömmlichen Diabetestagebüchern. Aus Sicht von Schreiber spielt es dabei keine Rolle, ob ein Patient jung oder alt ist oder unter welchem Diabetes-Typ er leidet.
Entscheidend sei die Motivation des Patienten, modernes Diabetes-Selbstmanagement betreiben zu wollen. "Es gibt inzwischen für jeden die passende App, angefangen von Angeboten, die lediglich automatisch dokumentieren, bis hin zu Systemen mit integrierten Insulindosisrechnern oder den rtCGM sowie Flash-Monitoring-Systemen, die punktuell mittels Scan interstitielle Glukosewerte messen", so der Diabetologe.
Nach Meinung von Hauck machen die Diabetes-Apps dem Anwender nicht nur viele Aspekte der Erkrankung transparenter, sondern sie ermöglichen es ihm auch, mehr auf Augenhöhe mit seinem Arzt zu kommunizieren.
Um sich einen Überblick über die Vielfalt der Angebote und deren Qualität beziehungsweise individuellen Nutzen zu verschaffen, rät er dazu, sich mit anderen Diabetikern auszutauschen – zum Beispiel in Selbsthilfegruppen, aber auch in Foren, Blogs, sozialen Netzwerken oder anderen digitalen Communities.
Schulung der Patienten in E-Health-Angeboten lohnt sich
Schreiber würde es ferner begrüßen, wenn sich E-Health-Systeme bei der Behandlung von Diabetikern flächendeckender durchsetzen würden. "Noch gibt es oft große Unsicherheiten bei den Kollegen hinsichtlich der Anwendung und des Nutzens von Diabetes-Apps nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Praxis", so seine Erfahrung. Hier müsse es deutlich mehr Aufklärung und Fortbildung geben.
Für ihn dagegen ist jede Minute, die er in die Beratung über und Schulung seiner Patienten in E-Health-Angeboten und den digitalen Austausch steckt, gut angelegt. "Die dadurch erzielte Zeitersparnis führt zu einer Entlastung meiner Praxis sowie zu Einsparungen aufgrund der optimierten Therapiemöglichkeiten und der damit einhergehenden Vermeidung von Diabetes-Folgeerkrankungen", so der Diabetologe.
Gutes Zeichen: Kostenerstattung durch die Krankenkassen
Hauck wie auch Schreiber sind zudem überzeugt, dass die Digitalisierung bei der Diabetesbehandlung nicht mehr aufzuhalten ist. Das zeige auch der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von Mitte Juni, wonach der Einsatz von Systemen zur kontinuierlichen Glukosemessung bei Diabetikern, die einer intensivierten Insulinbehandlung bedürfen, von den Krankenkassen erstattet werden soll.