Digitale Pflegeakte Das nächste Level der Heimbetreuung
Für viele Ärztinnen und Ärzte laufen Besuche im Pflegeheim eher chaotisch ab. Das Heimpersonal ruft spontan an, um zeitnah einen Besuch zu erbitten. Weitere telefonische Rücksprachen sind schwierig, weil Heim und Praxis sich gegenseitig nicht gut erreichen. Vor Ort stellt sich dann heraus, dass nicht nur ein Bewohner behandlungsbedürftig ist, sondern mehrere. Der Tagesablauf gerät so schnell durcheinander. Die hausärztliche Internistin Dr. Irmgard Landgraf hat dieses Problem nicht mehr. Sie betreut über 100 Heimbewohner seit 20 Jahren neben ihrem Praxisalltag. Sie nutzt dafür die digitale Pflegeakte, mit der viele Heime intern arbeiten – und zu der sie Ärzten einen Zugang gewähren können.
In der digitalen Akte finden sich nicht nur die Anmerkungen des Pflegepersonals, sondern auch alle bekannten Vitalwerte, die Medikation sowie ärztliche Befunde. Dr. Landgraf gewinnt dadurch einen sehr guten Überblick über den Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten und kann bei Verschlechterungen früh reagieren. Außerdem bietet die Akte Kommunikationsmodule, durch die die Ärztin sich asynchron mit den Pflegekräften austauschen kann, z.B. durch Kurzmitteilungen.
Praxismanagement im Podcastformat
Die erste Staffel des Podcasts O-Ton Innere Medizin ist ein gemeinsames Projekt von Medical Tribune und der AG Hausärztliche Internisten der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Bisherige Folgen in der Reihe „Praxismanagement“ sind:
- Medizintechnik – rechnet sich das?
- Klimaschutz in der Arztpraxis
- Wie eine gute Teamleitung zu einem guten Team führt
- Volles Wartezimmer – voll das Problem?
- Ärztliche Angestellte in der Praxis – für wen sich das lohnt
- Medikamente im Alter: Auf Risiken und Nebenwirkungen achten Fallmanager
Tipps für hausärztliches Management finden Sie hier.
Schwere Krankheitsverläufe gingen drastisch zurück
Klagt ein Patient etwa über Schmerzen beim Wasserlassen, trägt das Team dies in die Akte ein, die Ärztin checkt die Einträge mindestens zweimal am Tag. Sie bittet die Pflegekräfte um eine erste Urinuntersuchung, deren Ergebnisse wiederum in die Akte eingetragen werden. Stellt die hausärztliche Internistin fest, dass es sich um einen Harnwegsinfekt handelt, rezeptiert sie ein Antibiotikum und bestellt es bei der Apotheke. Die beliefert das Heim innerhalb weniger Stunden. Beim nächsten Besuch prüft die Medizinerin dann, wie es dem Patienten geht. „So wird aus einem Harnwegsinfekt eben keine Urosepsis“, betont sie.
Die Arbeit über die Akte hat die Situation aller Beteiligten verbessert: Erkrankte werden früh versorgt, die Zahl der dramatischen Krankheitsverläufe und der Krankenhauseinweisungen ging drastisch zurück. Den Heimbewohnern bleiben also Strapazen erspart, die Krankenkassen sparen Geld. Die digitale Präsenz der Ärztin entlastet außerdem die Pflegenden, die dadurch mehr Zeit haben, sich den Bewohnern emotional zuzuwenden. Zudem steigert die Zusammenarbeit die Kompetenz der Pflegekräfte. Sie wissen, dass sie ihre Beobachtungen zum Zustand der älteren Menschen sofort kommunizieren können und damit ernst genommen werden. Schon seit vielen Jahren gelinge so eine wertschätzende, multiprofessionelle Teamarbeit, berichtet Dr. Landgraf. Die Ärztin kann vor ihren Besuchen im Heim besser einschätzen, was sie erwartet und entsprechend planen.
Podcast
O-Ton Innere Medizin gibt es alle 14 Tage donnerstags auf den gängigen Podcast-Plattformen.
Tipps von Kolleginnen und Kollegen für die organisatorischen Fragen des Praxisalltags gibt es hier.
Manche Heime scheuen sich, Ärzten vollen Zugriff zu geben
Technisch wird der Austausch durch einen Zugang der Praxis zur digitalen Pflegeakte möglich. Der IT-Spezialist des Heims richtete ihn der Ärztin ein. Datenschutzrechtlich sei das kein Problem, berichtet Dr. Landgraf. Sie meldet sich in mehreren Schritten an und authentifiziert sich. Bei Bedarf könne der Zugang der Ärzte auch so justiert werden, dass sie nur die Akten der Patienten sehen können, die sie versorgen.
Möchten Niedergelassene ihre Heimpatienten ebenfalls digital betreuen, muss das Heim über netzwerkfähige digitale Pflegeakten verfügen. Laut einer Erhebung der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege nutzten 2017 etwa Dreiviertel der Heime eine digitale Dokumentation. Die Frage sei aber, wofür sie sie nutzen, gibt Dr. Landgraf zu bedenken. Es gebe auch Einrichtungen, die sowohl auf Papier als auch digital arbeiten oder Ärzten nur einen passiven Zugang ermöglichen, über den sie nichts eintragen können.
Angesichts der demografischen Entwicklung müsse das Modell in den kommenden Jahren Standard werden, meint Dr. Landgraf. Im Innovationsfondsprojekt „CoCare“ in Baden-Württemberg sei die Kooperation von Heimen und Praxen über eine gemeinsame Akte bereits positiv bewertet worden. Die Zahl der Klinikeinweisungen sank auch dort stark. „Anders wird die Versorgung bald gar nicht mehr zu stemmen sein“, schließt die Internistin.
Wie die Akte im Detail funktioniert, ob die Dokumentation des Pflegeheims auch in das Praxisverwaltungsystem übertragen wird und welche politischen Ansätze es bereits gibt, um diese Form der Kooperation weiter in die Fläche zu bringen, berichtet Dr. Landgraf in einer neuen Folge O-Ton Innere Medizin.
Medical-Tribune-Bericht