DSGVO: Tückische Falle beim Praxisverkauf
Die Ausgestaltung der seit Mai 2018 geltenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verläuft an vielen Punkten langsam. Praxisinhaber wissen oft nicht, wie sie sich juristisch unangreifbar verhalten. Eine der Unsicherheiten: die Vertragsgestaltung bei Praxisverkauf. Denn bei der Praxisübergabe spielen Patientendaten nun mal eine entscheidende Rolle.
50 % Niedergelassene werden in den nächsten 10 Jahren über 55 Jahre alt sein und somit über eine Praxisabgabe nachdenken. Unabhängig davon, ob sie einen Nachfolger haben oder nicht: Aufzeichnungen, die im Rahmen von Dokumentationspflichten angefertigt wurden, müssen für die Dauer von 10 Jahren nach Abschluss der Behandlung aufbewahrt werden, sofern nicht von Gesetzes wegen noch längere Aufbewahrungspflichten vorgeschrieben sind. Bei Aufgabe der Praxis müssen Ärztinnen und Ärzte diese Aufzeichnungen „in gehörige Obhut“ geben. So steht es in § 10 Abs. 4 Muster-Berufsordnung.
Anfangs löste man diese Herausforderung, indem man die Karteikarten des abgebenden Arztes in den Keller brachte und immer, wenn ein alter Patient beim neuen Arzt auftauchte, schnell mal runter ging und die Akte hochholte. Denn mit dem Besuch des Patienten war ein neuer Behandlungsvertrag zustande gekommen, mit dem implizit die Zustimmung zur Datenverarbeitung gegeben wurde. Tauchte der Patient nicht mehr auf, musste der neue Arzt die betreffenden Aufzeichnungen bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfrist unter Verschluss halten.
Heute nennt man das System das Zwei-Schrank-Modell – nicht jede Praxis hat schließlich einen Keller. Das digitale Zeitalter hat an diesem System zunächst wenig verändert – statt zwischen zwei Schränken oder zwei Stockwerken bewegt man sich heute zwischen zwei Festplatten oder Segmenten hin und her. Gelöscht wird irgendwann, lieber mal ein bisschen später, falls doch noch eine Anfrage einer Versicherung eintrudelt.
Verwahrervertrag ist vielleicht nicht mehr ausreichend
Da die Verantwortung für den Umgang mit den Daten beim abgebenden Arzt verbleibt – siehe Berufsordnung –, wird den Vertragspartnern empfohlen, einen Verwahrervertrag abzuschließen, auch Treuhand-Vertrag oder Münchner Erklärung genannt, mit der sich der Übernehmer gegen Vertragsstrafe dazu verpflichtet, nach dem Zwei-Schrank-Modell vorzugehen.
In Zeiten der DSGVO könnte eine solche Ergänzung des Kaufvertrages aber nicht mehr ausreichend sein. Denn die Grundverordnung stellt klare Anforderungen an die vertragliche Gestaltung der Verantwortlichkeiten. Dumm nur, dass sich in der Verordnung zwei verschiedene Ansätze finden lassen, die hier zum Tragen kommen könnten: Es könnte sich nämlich bei dem Prozedere einmal um einen gemeinsamen Verantwortungsbereich nach Art 26 DSGVO handeln. Oder aber es geht um einen Übergang des Verantwortungsbereich, also um eine Auftragsdatenverarbeitung nach Art 28 DSGVO.
Wie man das Kind nennt, ist leider gar nicht egal: Die beiden Varianten bedingen eine unterschiedliche vertragliche Gestaltung. Entscheidet man sich für die Falsche, könnte das möglicherweise böse Konsequenzen haben.
Dirk R. Hartmann, Fachanwalt in der Kanzlei Broglie, Schade & Partner GbR in Wiesbaden, sagt dazu: „Angesichts der noch ungeklärten Rechtslage gehen wir zunächst davon aus, dass wir es hier mit einer Auftragsdatenverarbeitung zu tun haben. Denn unverändert liegt die Verantwortlichkeit beim Abgebenden. Will er, dass sie auf den Käufer übergeht, verarbeitet dieser die Daten im Auftrag.“ Der sicherste Weg in Anbetracht der Unklarheiten, wäre damit also, zusätzlich einen Vertrag über eine Auftragsdatenverarbeitung abzuschließen.
Was sagen die Körperschaften zu diesen neuen Anforderungen und dazu, was sie für die Praxis bedeuten? Leider noch nicht viel. Sowohl die überregionalen wie auch die regionalen Körperschaften haben auf Nachfragen entweder auf andere Einrichtungen verwiesen oder das Problem auch nach umfassender Schilderung nicht als solches erkannt. Die Landesärztekammer Bayern geht davon aus, dass die DSGVO bezüglich Verwahrervertrag „keine neuen Erkenntnisse oder gar Verpflichtungen mit sich bringt“, und auch die KV in München schickt auf Anfrage ein Formblatt aus den Vor-DSGVO-Zeiten. Die BÄK und einige regionale Körperschaften antworteten auf wiederholtes Nachhaken, dass man sich zu dem Thema eingehend in Beratung befinde, verwiesen aber darauf, dass dieser Prozess noch ein Weilchen dauern könne. Das ist verständlich. Aber was sollen die Ärzte machen, die jetzt abgeben wollen und nicht erst in sechs Monaten?
In der Kanzlei, in der Hartmann beschäftigt ist, hat man gerade mit mehreren Praxen zu tun, die ganz akut vor der Frage nach der rechtssicheren Gestaltung des Kaufvertrages stehen. Dabei ergibt sich die Brisanz des Problems nicht nur über die zu befürchtenden Bußgelder und Schadensersatzansprüche. Es drohen auch zivilrechtliche Konsequenzen, die im Ernstfall dafür sorgen könnten, dass der gesamte Kaufvertrag nichtig ist. Denn nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig. Rechtsanwalt Hartmann erklärt: „Werden Patientendaten verkauft, ohne dass die vorgeschriebene vertragliche Regelung zu ihrem Schutz vorliegt, liegt angesichts der hohen Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht ein Verstoß gegen das gesetzliche Veräußerungsverbot vor.
Mit der Folge, dass der gesamte Kaufvertrag nichtig ist! In einem solchen Fall könnte der Käufer vom Praxisverkäufer tatsächlich den Kaufpreis zurückverlangen, und zwar ohne die Zulassung zurückgeben zu müssen. Und dabei beziehe ich mich auf eine gefestigte Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Patientenkartei.“
Letztlich ist der Preis für die Rechtssicherheit nicht hoch
Er will bei seinen Mandanten selbstverständlich kein Risiko eingehen und rät im Zweifel zu dem zusätzlichen Auftragsdatenverarbeitungs-Vertrag. Und wenn es sich künftig juristisch herauskristallisieren würde, dass es sich doch um eine gemeinsame Verantwortlichkeit handelt, die gleichermaßen eine ganz spezifische Vereinbarung bedingen würde? „Das sollte mit der Treuhanderklärung, die wir ja heute schon regelmäßig zwischen Verkäufer und Käufer abschließen, eigentlich abgedeckt sein“, so Hartmann.
Vor dem Hintergrund, wie unsicher die Rechtsinterpretation gerade ist und dass es immerhin um den Verkauf einer Praxis geht, scheint der zusätzliche Abschluss eines weitgehend formalisierten Vertrages, wie es der Vertrag über die Auftragsdatenverarbeitung ist, ein überschaubarer Aufwand. Nur: Wissen muss man‘s halt.