„Wir sehen noch Potenziale“ KV-Terminservicestellen vermitteln nur die Hälfte der möglichen Buchungen
Jüngst forderten die Krankenkassen, die Praxen sollten mindestens 25 % ihrer Termine in einem zentralen Terminspeicher für digitale oder telefonische Buchungen zur Verfügung stellen. Mit Blick auf die jährlichen Angebots- und Abrufzahlen der KVen würde das bedeuten, dass im bundesweiten Durchschnitt Praxen 47-mal mehr Termine anbieten und die Versicherten 83-mal mehr Termine abrufen müssten. Das hat das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) ausgerechnet.
Volker Dentel, Geschäftsführer der kv.digital GmbH, berichtet: Die Buchungshäufigkeit über den 116 117-Terminservice ist immens gestiegen, von 788.000 Buchungen von Januar bis August 2023 auf über eine Million im diesjährigen Vergleichszeitraum. Das sei ein klares Zeichen dafür, dass digitale Lösungen Einzug in den Praxisalltag hielten und von den Nutzern positiv aufgenommen würden. Allerdings sei die Prozentzahl der gebuchten Termine über die letzten Jahre bei 50 bis 60 % gleich geblieben.
Einheitliches Verfahren zur Ersteinschätzung
Seit 2020 müssen die KVen für alle akuten Anliegen mindestens telefonisch rund um die Uhr erreichbar sein, um ein Versorgungsangebot je nach Dringlichkeit vermitteln zu können. Genutzt wird dafür, wie Zi-Vorstandschef Dr. Dominik von Stillfried erläutert, ein einheitliches Ersteinschätzungsverfahren über die Software SmED.
Eine erweiterte Variante der Ersteinschätzung nutzt die KV Bayerns. Das Besondere: DocOnLine basiert nicht nur auf dem Ersteinschätzungsverfahren SmED und der Weiterleitung in die etablierten Versorgungsstrukturen, Patientinnen und Patienten erhalten je nach Indikation auch die Möglichkeit, den Arzt oder die Ärztin per Videoschaltung zu sprechen. Stellt sich im Gespräch heraus, das sich etwas in der Videosprechstunde nicht abschließend behandeln lässt, kann der Patient oder die Patientin an die Disposition der KV zurückverwiesen werden, damit diese einen physischen Arzt-Patienten-Kontakt vermittelt.
„Mit DocOnLine vereinen wir digitale und analoge Stärken“, so Fabian Demmelhuber, Leiter des Referats Versorgungsinnovationen der KVB. „Ich gehe aber davon aus, dass spätestens im nächsten Jahr weitere Bundesländer nachziehen werden.“ Demmelhuber verweist auf weitere Potenziale. So läuft z. B. zurzeit ein DocOnLine-Projekt mit Pflegeheimen, gefördert vom Freistaat. Den Heimen soll die Möglichkeit gegeben werden, digital auf ärztliche Ressourcen zuzugreifen. Das könnte helfen, den ärztlichen Fahrdienst zu reduzieren und Einweisungen ins stationäre Setting zu vermeiden. 2025 beginnt die Umsetzung. „Wir sehen aber auch Potenziale in ausgewählten Regionen, wo wir heute schon möglicherweise Unterversorgung feststellen“, sagt Demmelhuber mit Blick auf die Videosprechstunde.
Braucht es bei den Steuerungsbemühen nicht auch finanzielle Anreize für die Erkrankten, ein solches Angebot zu nutzen? Auf die von Moderator von Stillfried aufgeworfene Frage antwortete Dentel, dass sich das Angebot erst langsam durchsetzt. Noch wüssten nicht alle gesetzlich Versicherten von der Möglichkeit, Arzttermine digital über die Webseite www.116117.de buchen zu können. Ohne Vermittlungscode bietet das Online-Buchungssystem Termine für Augen-, Haus-, Kinder- und Frauenärztinnen und -ärzte sowie für Psychotherapie an.
Die Aufgabe bestehe darin, eine graduelle Steigerung dergestalt zu erreichen, dass das digitale Terminangebot der Praxen abgerufen wird und Versicherte im Falle dringlicher Anliegen rechtzeitig Termine vorfinden könnten, bemerkte Dr. Carsten Braun, 1. Vorstandsvorsitzender der KV Baden-Württemberg. „Die Aufgaben der Sicherstellung werden immer problematischer“, so der KV-Chef. 33 % der KV-Mitglieder arbeiteten in Teilzeit und 27 % der Ärztinnen und Ärzte seien angestellt. Zwar gebe es steigende Kopfzahlen, aber die Versorgungsanteile seien in Baden-Württemberg rückläufig. Es gibt laut Dr. Braun 963 freie Hausarztsitze im Ländle und der Trend zur Einzelpraxis ist rückläufig. Das stelle insbesondere eine Herausforderung für den ländlichen Raum dar. Die Bevölkerung werde lernen müssen, länger zu warten und weiter zu fahren, um einen Arzt oder eine Ärztin zu sehen – „und trotzdem wahrscheinlich finanziell höhere Belastungen tragen müssen als bisher“.
Es braucht aber auch den Hausarzt als Gatekeeper
Gerade im ländlichen Raum könne die digitale Terminbuchung und ein verstärktes telemedizinisches Angebot wie DocOnLine sehr weiterhelfen, zeigt sich Dr. Braun optimistisch. Die Terminvermittlung könne nicht nur für den Bereitschaftsdienst, sondern generell ein wesentlicher Bestandteil der Sicherstellung werden. Neben der besseren Patientensteuerung im fachärztlichen Bereich brauche es den hausärztlichen Gatekeeper. Wichtig sei auch, dass die ermittelte Versorgungsebene von den Patienten eingehalten werde. So lasse sich Überlastung im System vermeiden und Wirtschaftlichkeit garantieren. „Es ist letzten Endes auch für den Patienten komfortabel, manches Angebot von zu Hause aus wahrzunehmen.“
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Kristine Lütke äußerte sich wohlwollend über die Initiative der KVen. Ersteinschätzung und Weiterleitung an die richtige Stelle seien essenziell, da sich auch die Krankenhausstrukturen ändern werden. Bezüglich der Patientensteuerung kann sie sich grundsätzlich eine Bonusregelung für die Versicherten vorstellen. „Als Liberale bin ich immer dafür, dass man Anreize setzt und weniger mit Malusregelungen arbeitet.“ Allerdings müsse dabei auch auf die Kassenlage geschaut werden. Nach einer Honorar-Entbudgetierung für die Hausärztinnen und -ärzte sei eine Entbudgetierung des fachärztlichen Honorars aus FDP-Sicht „der logische nächste Schritt.“