Hochwasser „Von meiner Praxis ist nichts geblieben“

Niederlassung und Kooperation Autor: Ruth Bahners

Die Praxis von Hausärztin Näkel in Dernau ist komplett zerstört. Sie hat eine Notfallpraxis in ihrem Wohnhaus eingerichtet. Die Praxis von Hausärztin Näkel in Dernau ist komplett zerstört. Sie hat eine Notfallpraxis in ihrem Wohnhaus eingerichtet. © „Hausärztin nach Flutkatastrophe“, Filmbeitrag von KVTV RLP vom 16.08.2021

Auch noch Wochen nach der Flutkatastrophe kann in den betroffenen Regionen der Ahr und Eifel von Normalität in der medizinischen Versorgung keine Rede sein. Die Flut hat materielle wie psychische Schäden hinterlassen.

Allein in Rheinland-Pfalz sind nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) 34 Praxen ganz zerstört oder so stark beschädigt, dass sie komplett funktionsunfähig sind. Weitere 18 Praxen seien derart in Mitleidenschaft gezogen, dass sie den Betrieb bis auf Weiteres nur eingeschränkt aufnehmen konnten.

So versank zum Beispiel im Trierer Stadtteil Ehrang die Radiologische Praxis Fischer & Fischer in den Fluten der Kyll. Die Praxis liegt im Untergeschoss des Krankenhauses von Ehrang. Das gesamte medizinische Gerät einschließlich der tonnenschweren MRT wurde zerstört. Auf der Website der Praxis findet sich der Hinweis: „Unsere Praxis bleibt aufgrund eines Hochwasserschadens bis auf Weiteres geschlossen. Eine telefonische Kontaktaufnahme ist derzeit leider nicht möglich.“

Chroniker und Verletzte können nicht warten

Auch die Hausärztin Astrid ­Näkel in Dernau im Ahrtal hat die Flut schwer getroffen. Ihre Praxis wurde von den Wassermassen der Ahr vollständig zerstört. „Von meiner Praxis, die ich 13 Jahre betrieben habe, ist buchstäblich nichts mehr geblieben“, erzählt sie. Doch die Ärztin hat nicht aufgegeben. Sie hat im Erdgeschoss ihres Wohnhauses in den ehemaligen Gästezimmern eine Notfallpraxis eingerichtet. Die KV RLP habe sie dabei unbürokratisch unterstützt.

Eingerichtet hat Näkel die Ausweichpraxis mit eigenem Material sowie Sachspenden und einem geliehenen EKG. Hier versorgt sie nun ihre Patienten. Vor allem die Chroniker bräuchten ihre Medikamente. Wegen der Aufräumarbeiten komme es zu vielen Verletzungen, die sich durch den Schlamm und die Fäkalien entzündeten. Auch das Impfen und die psychotherapeutische Betreuung seien wichtige Aufgaben.

Die KV RLP hat sich aber auch selbst in der Notfallversorgung engagiert. Vor dem Bahnhof in Bad Neuenahr parkt seit Ende Juli der Medibus. Hier werden zwischen 10 und 16 Uhr kleinere Blessuren behandelt, Rezepte ausgestellt sowie Tetanus- und Hepatitis-Impfungen angeboten. Die rollende Arztpraxis hat die KV zusammen mit der Deutschen Bahn bereitgestellt, weil die ärztliche Bereitschaftspraxis wegen der fehlenden Brücken auf der anderen Ahrseite schwer erreichbar ist. Dr. Peter Heinz, Vorsitzender des Vorstands der KV RLP unterstreicht: „Im Namen unserer Mitglieder und den Patientinnen und Patienten vor Ort danke ich der Deutschen Bahn, dass wir dieses Angebot unentgeltlich nutzen dürfen.“

Aktuell geht die KV RLP für die bei ihr im Land betroffenen Mitgliedspraxen von über 14 Millionen Euro aus, die die Kolleginnen und Kollegen brauchen, um ihre berufliche Existenz wiederaufzubauen. Das seien jedoch nur Schätzungen.

Auch im Bereich der KV Nordrhein (KVNO) haben die Wassermassen schwere Verwüstungen hinterlassen. Dr. Oliver Funken, Hausarzt in Rheinbach und Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein, konnte seine im zweiten Stock gelegene Praxis vorübergehend nicht nutzen. Zwar seien nur der Keller und das Erdgeschoss überflutet gewesen. Doch da hochgiftiges Hydrauliköl der Aufzugsanlage ausgelaufen sei, konnte die Praxis nicht erreicht werden.

Dr. Funken wich in ein Altenheim aus, das ihm Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Durch Mundpropaganda fanden die Patienten den Weg in die Ausweichpraxis. Telefon und Internet gab es erst mal nicht.

Inzwischen konnte Dr. Funken mithilfe seiner Familie den Praxisbetrieb wieder am gewohnten Ort aufnehmen, die giftigen Wassermassen wurden entsorgt. Die Dependance erhält er aufrecht, damit auch die Patienten versorgt werden können, die nicht in der Lage sind, Treppen zu steigen. Denn der Aufzug funktioniert noch nicht wieder.

„Die KV Nordrhein hat mit ihrem unbürokratischen Vorgehen die betroffenen Praxen unterstützt“, so Dr. Funken zur MT. Die KV richtete einen internen Krisenstab ein, der für eine möglichst schnelle und unbürokratische Hilfe sorgen sollte. „Die Bereitschaft, sich untereinander zu helfen, ist enorm groß – das fängt bei der kurzfristigen Patienten-Übernahme an und reicht bis zum Bereitstellen von Praxisräumen für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen“, sagt der Vorstandsvorsitzende der KVNO, Dr. Frank ­Bergmann.

Möbel, Geräte, Medikamente – alles zerstört und unbrauchbar

In Nordrhein waren 80 Praxen nach dem Unwetter nicht mehr oder nur bedingt arbeitsfähig. Am schwersten betroffen war der Bereich Aachen mit 30 Praxen, hier vor allem Stolberg und Eschweiler. Aber auch der Kreis Euskirchen mit 16 Praxen habe stark unter den Wassermassen gelitten. In vielen Praxen gebe es weder fließendes Wasser noch Strom. Außerdem wurden zum Teil das Inventar, medizinische Geräte, Medikamente, Impfstoffe und Akten zerstört oder unbrauchbar gemacht. Der Gesamtschaden liege bei rund 20 Millionen Euro, schätzt die KV.

Auch die KVNO hatte Sofortmaßnahmen eingeleitet, um die betroffenen Praxen zu unterstützen. Dazu gehörte, dass kurzfristige Praxisverlegungen ohne den üblichen bürokratischen Aufwand ermöglicht wurden. Unterstützt wurden die Praxen auch bei der Suche nach Übergangsräumlichkeiten.

Ganz wichtig sei, dass Abschlagszahlungen für die Praxen weiterhin gezahlt würden, damit es auf keinen Fall zu Liquiditätsproblemen komme. Die Hilfsbedarfe konnten von den Praxen direkt an die KV gemeldet werden. Für das unkomplizierte Verschreiben oder Nachordern von Medikamenten oder Impfstoffen hat die KVNO mit den Kassen Ausnahmeregelungen abgestimmt. Bei den Nachbestellungen von Sprechstundenbedarf reiche z.B. der Vermerk „Hochwasser“, um Nachfragen der Krankenkassen zu vermeiden, so Dr. Funken.

Zur Linderung der akuten ökonomischen Folgen können Arztpraxen auch Soforthilfe beim jeweiligen Bundesland beantragen. Jede Praxis, deren Antrag genehmigt wird, erhält 5000 Euro. Die KVen und Ärztekammern der betroffenen Regionen rufen außerdem zu Spenden für die geschädigten Praxen auf. Die KV RLP meldet den Eingang von bisher rund 360.000 Euro Spendengeldern, darunter rund 250.000 Euro Einzelspenden von etwa 660 Praxen. 34 betroffene Praxen habe sie schon mit einer Soforthilfe von jeweils 10.000 Euro unterstützt. Die KVNO meldet eine Gesamtspendensumme von bisher rund 650.000 Euro. Großspenden stammten von den KVen Westfalen-Lippe, Thüringen und der apoBank.

Hier können Sie spenden

Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz
IBAN: DE83 3006 0601 0042 1510 81
Verwendungszweck: Spende Flutkatastrophe Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein
IBAN: DE84 3006 0601 0031 4179 16
Verwendungszweck: Spendenkonto Fluthilfe

Neben den materiellen Problemen hat die Flutkatastrophe auch psychische Probleme bereitet. Etliche Menschen haben Angehörige verloren. So auch ein Arzt in Brück. Seine Frau und seine vierjährige Tochter seien ertrunken, so Medienberichte. Er selbst und der kleine Sohn konnten nach elf Stunden von einem Hubschrauber gerettet werden.

Ärztinnen und Ärzte als Helfende und Hilfsbedürftige

Um den traumatisierten Menschen gezielt helfen zu können, haben das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium und die KVNO gemeinsam ein gruppentherapeutisches Angebot eingerichtet. „Uns ist wichtig, dass jeder, der an dieser Stelle Hilfe benötigt, diese auch bekommt“, betont der KV-Chef, selbst Psychiater und Psychotherapeut. Diese Angebote stehen allen von der Flutkatastrophe Betroffenen unabhängig von ihrem Versicherungsstatus offen. Im Bereich der KV RLP kann die psychotherapeutische Akutbehandlung bis 30. September auch per Videosprechstunde erbracht werden. Das Gebot des persönlichen Kontakts zwischen Therapeut und Patient werde der Situation vor Ort nicht gerecht, so die KV. Auch die stationäre Versorgung wurde durch die Wassermassen stark beeinträchtigt. Das Klinikum Leverkusen musste z.B. geräumt werden, genauso wie das Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen Ehrang in Trier. Auch das Marien-Hospital in Erftstadt-Frauenthal wurde von den Fluten schwer getroffen. In Eschweiler mussten die 300 Patienten des St. Antonius Hospitals evakuiert werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) weist darauf hin, dass das Hochwasser auch auf die Häuser gewirkt habe, die im Zuge der Evakuierungen Patienten aufgenommen haben. Die DKG erwarte Entgegenkommen bei bürokratischen Erfordernissen und Meldeplichten: „Krankenhäuser und ihre Beschäftigten müssen dringend von überflüssiger Bürokratie, z.B. bei den Strukturprüfungen oder den G-BA-Qualitätsprüfungen, entlastet werden, um sich jetzt ausschließlich um die Patienten kümmern zu können.“ Der Verband der Ersatzkassen kündigte bereits unbürokratische Regelungen an, um die finanzielle Stabilität der betroffenen Häuser zu sichern.

Medical-Tribune-Bericht