Ärztemangel Suche nach angestellten Ärzten: Selbst der Headhunter braucht vier Jahre

Niederlassung und Kooperation Autor: Isabel Aulehla

Anwärter auf eine Anstellung in einer Praxis legen neben dem Gehalt oft Wert auf weiche Kriterien wie eine gute Einarbeitung und strukturierte Abläufe. Anwärter auf eine Anstellung in einer Praxis legen neben dem Gehalt oft Wert auf weiche Kriterien wie eine gute Einarbeitung und strukturierte Abläufe. © iStock/nortonrsx

Viele Niedergelassene versuchen verzweifelt, Mediziner in Anstellung als Unterstützung zu gewinnen. Doch diese haben zahlreiche Optionen. Zwei Hausärztinnen berichten, welche Erwartungen die Bewerber mitbringen und worauf es ankommt.

Hausärzte, die Kollegen in Anstellung suchen, haben es schon seit Jahren äußerst schwer. Die massive Arbeitsbelas­tung, der die Praxen während der Pandemie ausgesetzt waren, habe den Beruf in den Augen potenzieller Bewerber nicht unbedingt attraktiver gemacht, vermutet Dr. Sabine Thiel, Hausärztin im hessischen Schlangenbad. „Ich habe mich an einen Headhunter gewandt, der auf Allgemeinmediziner spezialisiert ist. Er meinte, vier bis sechs Jahre seien eine realistische Wartezeit.“

Ihre Praxis liegt im Einzugsgebiet Wiesbadens, ist Lehrpartner der Universität Mainz und läuft nach Angaben der Medizinerin hervorragend. Trotzdem gestaltet sich die Suche nach Unterstützung mühsam. „Ich habe den Eindruck, dass der nachwachsenden Generation die enge Patientenbindung in einer Hausarztpraxis zu viel Verantwortung bedeutet. Sie arbeiten lieber in großen Einrichtungen, in denen Kontakte anonymer und austauschbar sind.“ 

Hinzu komme, dass die Behandlung der meist älteren und multimorbiden Patienten sehr anspruchsvoll sei. „Sie nehmen teilweise bis zu zehn Medikamente parallel. Da den Überblick zu behalten, ist schwierig.“ Dementsprechend schrecke es manche Bewerber ab, wenn sie hören, dass die Praxis 80 Einwohner eines Pflegeheims betreut. „Aber so sieht der Beruf nun mal aus.“

Derzeit wird Dr. Thiel von einer angestellten Kollegin und einer Weiterbildungsassistentin unterstützt. Da Letztere nicht im hausärztlichen Bereich bleiben möchte, muss die Stelle bald nachbesetzt werden. Doch lange bürokratische Prozesse erschweren die Mitarbeitersuche unnötig. So würde Dr. Thiel gerne eine Medizinerin anstellen, die Teile ihrer Weiterbildung in Rom absolviert hat und nach Deutschland zurückkehren möchte. Es werde jedoch ein Dreivierteljahr dauern, bis die Qualifikationen anerkannt seien, teilte die Kammer mit. „Bis dahin darf die Kollegin leider nichts in der Praxis machen“, berichtet Dr. Thiel. Um die Arbeitsbelastung in der Phase der Personalknappheit etwas zu reduzieren, ermöglicht die Medizinerin ihren MFA die Weiterqualifikation zur NäPa oder Verah. 

Die einzige Möglichkeit, das Problem langfristig zu lösen, sieht Dr. Thiel auf der politischen Ebene. So müsse die Tätigkeit von Allgemeinmedizinern dringend besser vergütet werden, um Hausarztpraxen für den Nachwuchs attraktiver zu machen.

Derzeit orientiert sich das Entgelt für einen Facharzt im ambulanten Bereich oft am Tarifgehalt eines Oberarztes in kommunalen Krankenhäusern. Im ersten Jahr liegt dieses bei 7761,27 Euro pro Monat. „Der Betrag hat schon seine Richtigkeit und ist für eine Praxis mit hoher Scheinzahl auch kein Problem, sofern dafür die langersehnte Unterstützung kommt“, erklärt Dr. Thiel. Allerdings würden die Verdienstmöglichkeiten in einer Hausarztpraxis den Nachwuchs derzeit trotzdem nicht reizen. Denn: „Im ländlichen Raum müssen sie auf die Annehmlichkeiten der Großstadt verzichten.“ Erschwerend komme hinzu, dass MVZ oft höhere Gehälter zahlten als Niedergelassene. Obwohl ihr Betrieb eine Lehrpraxis der Uni Mainz ist und Dr. Thiel manchmal Seminare für Medizinstudierende gibt, stößt sie in diesem Zusammenhang nur auf wenig Nachfrage, berichtet sie. Es sei daher dringend nötig, die Allgemeinmedizin im Studium präsenter zu machen.  Die Hausärztin Dr. Susanne Springborn hat Glück: Ihre Praxis, die in einem allgemeinmedizinisch unterversorgten Randbezirk Wiesbadens liegt, erreichen immer wieder Initiativbewerbungen. „Wir sind lokal sehr gut vernetzt. Ich denke, das trägt dazu bei“, sagt sie. Die Praxis führt sie gemeinsam mit einer selbstständigen und einer angestellten Ärztin. Bei Bewerbungsgesprächen würden oft ähnliche Punkte nachgefragt, bemerkt Dr. Springborn: „Bewerber legen großen Wert darauf, dass sie sich bei Bedarf flexibel um ihre Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern können. Dem kommen wir nach, auch wenn es manchmal wehtut.“ 

Worauf Bewerber im Arbeitsvertrag Wert legen

Laut einer Umfrage der Apobank und des Instituts DocCheck Research unter 700 ambulant angestellten Ärzten sind diesen drei Aspekte besonders wichtig: flexible Arbeitszeiten, gute Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung sowie eine betriebliche Altersversorgung. Gerade Letztere werde jedoch nur äußerst selten angeboten, berichtete Rechtsanwalt Andreas Höffken, Geschäftsführer des Marburger-Bund-Landesverbands Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz bei einer Online-Veranstaltung der Apobank. Bei einer stichprobenartigen Prüfung von Arbeitsverträgen der Gewerkschaftsmitglieder hätten sich nur in 3 % der Fälle entsprechende Regelungen gefunden. Sehr verbreitet sei hingegen das Arbeiten in Teilzeit (54 %). Allerdings würden nur in 30 % der Fälle die konkreten Tage und Uhrzeiten definiert. Auch zur Vergütung von Überstunden sei in den Verträgen oft nichts zu lesen, erklärte Höffken. So würden zwar 71 % der Verträge zum Leisten von Überstunden verpflichten. Aber nur in einem Drittel davon sei etwas zur Bezahlung festgehalten. Ebenfalls eine Ausnahme sei im ambulanten Bereich eine regelmäßige, dynamische Erhöhung des Gehalts. Sie findet sich nur in 10 % der untersuchten Verträge. Um dies zu ändern, kann das Entgelt entweder an den Tarifvertrag der kommunalen Kliniken gekoppelt werden, sodass es sich erhöht, wenn der Marburger Bund erfolgreich verhandelt. Oder Arbeitgeber und Bewerber einigen sich auf eine Prozentgröße, um die sich das Gehalt jährlich erhöht. Höffken präsentierte entsprechende Musterformulierungen.

Gute Struktur ist ein wichtiges Kriterium

Abgesehen vom Gehalt auf Tarifniveau sind es eher weiche Kriterien, die für die Bewerber eine Rolle spielen. Sie erwarten, geduldig eingearbeitet zu werden und legen Wert auf einen gut strukturierten Praxisablauf, berichtet Dr. Springborn. „Aber den brauchen wir ohnehin für uns selbst. Eine gute Struktur steigert die Lebensqualität.“ Zudem sei es wichtig, dass Aufgaben fest verteilt sind und zuverlässig übernommen werden. Natürlich seien auch eine offene Fehlerkultur und ein umgängliches Miteinander unverzichtbar.  Unterm Strich sei die Beschäftigung neuer angestellter Ärzte im ersten Jahr eher ein Verlustgeschäft, berichtet Dr. Springborn. Es dauere, bis sie die Patienten sowie deren Familien kennen. Und auch die Tück­en der Budgetierung müssen sie erst mal durchschauen. Doch mit der Zeit würden sie in die Tätigkeit ­hineinwachsen.

Medical-Tribune-Bericht

Dr. Susanne Springborn, Hausärztin in Wiesbaden Dr. Susanne Springborn, Hausärztin in Wiesbaden © zVg
Dr. Sabine Thiel, Hausärztin in Schlangenbad Dr. Sabine Thiel, Hausärztin in Schlangenbad © zVg