„Eigentlich“, sagt der junge Mann den TV-Reportern, „habe ich schon viel zu viel gearbeitet. Ich brauche mehr Zeit für meine Familie. Sie wissen schon: Work-Life-Balance.“ Man hört so etwas öfter, doch wie lässt sich das konkret umsetzen?
Ausgepowert, übermüdet, leistungsschwach sein, das will keiner. Es zehrt auch an den Nerven. Die Tretmühle Job ist oft erbarmungslos. Arbeit gegen Geld ist das Motto, denn dies sichert den Lebensunterhalt, für viele Menschen gibt es deshalb kein Entrinnen. Zugleich fordert die Familie Zeit und Aufmerksamkeit. Eine Balance zwischen Job und Privatleben ist ein Ideal und wer es sich finanziell leisten kann, der folgt diesem. Da ist zum Beispiel das Sabbatical-Jahr. Gern wird dieser zeitweise Ausstieg aus dem Beruf von Lehrern und Beamten genutzt.
Vom Reisen um die Welt bis zur Auszeit in Berlin
Aber auch Ärzte wollen gelegentlich raus aus dem Hamsterrad des Jobs, selbst wenn dadurch eine Lücke im Lebenslauf entsteht, wie im Blog diagnosefernweh.de von Dr. Johannes Jansen und Dr. Luisa Rüter zu lesen ist. Die beiden Mediziner reisen wegen der „Diagnose Fernweh“ seit 2011 um die Welt, 2019 kam die Sabbat-Auszeit vom Krankenhaus. Ihre Erfahrungen beschreiben sie so: „Als Arzt ist es immer noch normal sich allein mit ,Medizin‘ zu beschäftigen und keine anderen Interessen zu haben.“ Wer sich mehr Zeit für andere Vorlieben wünsche oder sogar eine Auszeit nehmen möchte, werde oft als „nicht fleißig“, „nicht zielstrebig“ und „nicht belastbar“ stigmatisiert. Eine Work-Life-Balance sei bei Ärzten noch nicht vorgesehen. Aber: „Wir haben es einfach gemacht!“
Medizinstudierende denken auch an private Ziele
Eine Online-Umfrage 2020 unter Studierenden aller medizinischen Fakultäten zur „Work-Life-Balance im Arztberuf“, durchgeführt vom Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin in Baden-Württemberg, machte die Erwartungen der 1299 Antwortenden an die spätere Berufstätigkeit deutlich. Genannt wurden Kriterien wie flexible und geregelte Arbeitszeit, wenige Nachtdienste, wenig körperliche und psychische Belastung. Wichtig sei, neben der Arbeit viel Freizeit zu haben. Familie und Beruf müssten miteinander vereinbar sein. Es sei auch wichtig, private Ziele verfolgen zu können, etwa durch einen Beruf in Teilzeit.
„Ein Sabbatical ist ein Wagnis, doch es ist lohnenswert!“, schreibt eine Allgemeinmedizinerin anonym in einem Bericht in der Jobbörse Viantro. Sie hatte bei ihrer Arbeit als Teilhaberin einer Gemeinschaftspraxis auf dem Land eine zunehmende körperliche wie geistige Erschöpfung gespürt. „Der Ort, den ich für mein Sabbatical aussuchte, war Berlin – eine Stadt, die mich schon immer faszinierte, ein unglaublich breites kulturelles Angebot wie auch wunderschöne Natur im Umland bietet und in der ich dazu auch noch ein bisschen Familie habe.“ Die fünf Monate Praxis-Auszeit wurden überbrückt durch den Kollegen und eine Weiterbildungsassistentin.
Auch der Teilzeitjob schafft persönliche Freiräume
Allerdings hängen die Möglichkeiten für das Durchsetzen des Gleichgewichts von Arbeit und Privatleben auch vom Arbeitgeber bzw. von den Möglichkeiten der Selbstständigkeit ab. Eine Wochenarbeitszeit von über 50-60 Wochenstunden in der eigenen Arztpraxis sowie viele Überstunden im Krankenhausbetrieb, oft undokumentiert und ungeplant wie eine Assistenzarztumfrage des Marburger Bundes zeigt, machen ein Gleichgewicht schwierig bis unmöglich.
Ein Ausweg bietet sich laut KBV durch die Arbeit als Angestellter oder in Teilzeit bzw. eben durch die Reduzierung der wöchentlichen Sprechzeiten. Das geht allerdings womöglich zulasten der Kollegen und/oder der Patienten. Das heißt, das schlechte Gewissen spielt auch eine Rolle beim Durchsetzen der eigenen Freiraum-Interessen.
Gemeinschaftspraxis
ermöglicht Flexibilität
„In gut funktionierenden Gemeinschaftspraxen ist eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie gut möglich und man kann trotzdem – auch dank der HzV – gut davon leben.“ Das schrieb Dr. Jana Husemann 2016, damals im Vorstand von Junge Allgemeinmedizin Deutschland (JADE). Ein Jahr zuvor ging sie in die Niederlassung. Jetzt ist sie zudem Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes.
Ist ihre damalige Einschätzung noch aktuell – wie steht es heute um die Work-Life-Balance? Die Ärztin bestätigt ihre einstige Aussage für die persönliche Situation. Eine Gemeinschaftspraxis sei ein gutes Konstrukt, um die Balance zu finden. Es gebe allerdings auch Kolleginnen und Kollegen, die schlecht loslassen könnten, lieber alles alleine machten und die Kontrolle behalten wollten, wie eben der klassische Einzelkämpfer. Dann sei das schwierig. Man müsse zulassen, dass man vertreten werde.
Wie das funktioniere, hänge von der Flexibilität der Kollegen ab und in der Niederlassung gehe das sicher besser als im Krankenhaus. In der (Gemeinschafts-)Praxis bestünden gute Chancen für flexible Arbeitszeiten und gegenseitige Vertretung. Sie selbst habe ein halbes Jahr wegen Elternzeit ausgesetzt, in Kürze werde sie es wieder tun. Und ein Kollege denke auch schon über ein Sabbatical-Jahr nach.