Frauen in der Niederlassung „Sich vernetzen und Role Models suchen“
Wenn es um Karrierechancen geht: Wie stehen die Chancen für Frauen im hausärztlichen Bereich?
Der Anteil an Frauen in Führungspositionen im Gesundheitswesen liegt momentan bei lediglich 36 %, sie sind damit auf der Führungsebene immer noch unterrepräsentiert. Der Frauenanteil in der Hausarztmedizin steigt dagegen stetig an: Knapp die Hälfte der Hausärzte sind weiblich. Das ist ein Mehr von fast 20 % seit 2014. Dieser Trend wird weiter zunehmen: Zwei Drittel der Medizinstudierenden sind Frauen. Außerdem sind 60 % der unter 60-jährigen Hausärzte weiblich. Im hausärztlichen Bereich ist die Anstellungsquote von Frauen überdies sehr hoch: 35 % der Hausärztinnen wählen diese Option.
Eine der höchsten Karrierehürden für Frauen ist die Familienplanung. Wie lassen sich Schwangerschaft und Elternzeit vereinbaren?
Für Selbstständige gibt es da momentan leider keine Konzepte. Als Praxisinhaberin kann es passieren, dass man kein Elterngeld bekommt, weil die Einkünfte aus der Praxis verzögert ausbezahlt werden. Eine Praxisvertretung erwirtschaftet meist geringere Umsätze. Das ist ein reales Problem, das momentan nicht zu lösen ist und für das sich keiner zuständig fühlt. Dies ist auch einer der Hauptgründe, warum Frauen, die nach dem Studium noch mitten in der Familienplanungsphase sind, sich eher nicht niederlassen.
Wo liegen für junge Kolleginnen weitere Stolpersteine auf dem Weg in die Niederlassung?
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein weiteres wesentliches Hemmnis. Als Chefin einer Hausarztpraxis kann ich meine Arbeitszeiten jedoch selbst festlegen und z.B. meine Sprechstunde blockieren, wenn ich einen Termin habe, da bin ich sehr flexibel. Den jungen Frauen ist das aber oft nicht klar.
Welche Strategien, etwa durch New Work, halten Sie im Hausarztbereich für sinnvoll?
Unter „New Work“ verstehe ich Themen, die wir eigentlich schon lange diskutieren, vor allem flexiblere Arbeitszeiten, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können. Zudem muss endlich Bürokratie abgebaut werden, um damit eine neue Berufszufriedenheit aufzubauen: Ärztinnen sollten hauptsächlich für ärztliche Tätigkeiten eingesetzt werden. Die jungen Kolleginnen, die in die Klinik kommen, sind von der dortigen Arbeit jedoch erst mal desillusioniert.
Unsere Gesellschaft sollte auch die tradierten Rollenbilder überprüfen. Eine MFA aus meiner Praxis hat beispielsweise mit 24 Jahren ihr erstes Kind bekommen und jetzt drei Jahre Elternzeit eingereicht. Daraus entsteht für sie bei dem heutigen Tempo ein klarer beruflicher Nachteil. Nach drei Jahren fängt sie in ihrem Job wieder von null an.
Ist Teilzeitarbeit der richtige Weg?
Eigentlich nicht. Denn Teilzeit birgt finanzielle Risiken – bis zur Altersarmut. Arbeitet eine Frau jahrelang so, tappt sie in die Rentenfalle. Wäre der Ansatz nicht sinnvoller: Frauen arbeiten in Vollzeit und die Kinderbetreuung wird vernünftig organisiert? Das Kind wird in der Tagesstätte des Betriebs oder in Praxisnähe untergebracht, die arbeitende Mutter hat flexible Arbeitszeiten.
Ich überlege schon, welche Möglichkeiten es auch für meine MFA geben könnte, in Vollzeit weiterzuarbeiten, wenn das Kind da ist. Ich habe eine Personalwohnung mit drei Heimarbeitsplätzen und sie könnte den PraxisConcierge bedienen, während das Kind bei ihr oder in einer nahen Betreuung ist.
Welche Möglichkeiten bietet das Home-Office?
Dass ich im Home-Office arbeiten kann, gehört für mich und in der heutigen Zeit dazu. Heute beispielsweise bin ich mit Hausbesuchen und Telefonterminen beschäftigt, morgen habe ich Videosprechstunde. Ich kann mich von zu Hause in die Praxis einloggen und alles abarbeiten – Rezepte ausstellen, mich um Verordnungen kümmern. Die Arztzeit wird knapper, daher müssen wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sie zum einen attraktiv sind, zum anderen das vorhandene Versorgungspotenzial genutzt wird. Die „Workation“, also das Arbeiten aus dem Ausland, ist in anderen Branchen weit verbreitet. Bei uns ist das berufsrechtlich aber nicht möglich, weil dies nur vom Praxisstandort aus erlaubt ist. Da hinken wir hinterher.
Wie sieht es im Medizinstudium aus: Wann und wie können sich Frauen auf die Karriere vorbereiten?
Im Medizinstudium wird über Medizin gesprochen. Das Thema Karriere gibt es dort nicht, auch kein Fach zum Thema Niederlassung oder Selbstständigkeit. Das muss man sich alles selbst erarbeiten. Später in der Klinik wird man ebenfalls nicht an Selbstständigkeit oder Niederlassung herangeführt. Das übernehmen dann zum Teil die Verbände. Das Forum „Hausärztinnen“ des HÄV bietet zum Beispiel ein Netzwerk, wo sich Medizinerinnen austauschen können. Im Januar 2025 startet die fünfte Kohorte der „First Five Academy“ für Kolleginnen und Kollegen fünf Jahre nach der Facharztprüfung (siehe Kasten).
Wie waren Ihre Erfahrungen auf dem eignen Karriereweg – was würden Sie heute vielleicht anders machen?
Ich habe drei Kinder, zwei von ihnen kamen während des Studiums, und außerdem den Vorteil, dass meine Mutter als Erzieherin die Kinder betreut hat. Aus diesen familiären Gründen sind wir auch wieder zurück aufs Land gezogen. Ich hatte demnach sehr viel familiären Support, wodurch ich fast dauerhaft in Vollzeit arbeiten konnte.
Heißt das: Wenn Kind und Praxis, dann zurück zu den Eltern?
Ich rate den jungen Kolleginnen schon: Wenn man Familie plant, ist es durchaus sinnvoll, sich die Frage zu stellen: Wo kann ich Unterstützung erhalten? Ich wollte anfangs nicht zurück in meine Heimatgemeinde, im Nachgang bin ich aber sehr dankbar dafür. Sonst hätte ich nicht so arbeiten können, oder mit deutlich mehr Aufwand. Meine Tochter sagt schon: Wenn ich mal Kinder habe, gehe ich arbeiten und du passt auf die Kinder auf (lacht). Das ist schon ein Mindset, das man da mitgibt.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
In unserer Gemeinschaftspraxis in Pfedelbach sind wir ein Führungsteam aus zwei Ärztinnen und einer Praxismanagerin und versuchen, wenig hierarchisch zu arbeiten und die Mitarbeitenden in die Entscheidungen einzubeziehen. Das ist nicht immer einfach. Es gibt eine Praxismanagerin, ich selbst habe in meiner Praxis zusätzlich eine PA und eine Primary Care Managerin für die medizinische Versorgung eingestellt. Es finden auch regelmäßige Team-coachings statt. Zudem leben wir das Teampraxiskonzept HÄPPI unseres Verbandes.
Was raten Sie Ärztinnen, die eine Führungsposition anstreben?
Egal, in welchem Bereich man eine Führungsposition anstrebt: Es ist immer gut, sich zu vernetzen und weibliche Role Models zu suchen. Auch Führungskräfte-Coachings sind hilfreich; die bieten wir auch über den Verband an. In das persönliche Selbstmanagement zu investieren, zahlt sich immer aus.
Netzwerke für Ärztinnen
Um (auch angehende) Kolleginnen konzeptionell im Beruf zu unterstützen, hat der Hausärztinnen- und Hausärzteverband vor acht Jahren das Forum Hausärztinnen gegründet. Dessen Schwerpunkte decken alle Stadien der hausärztlichen Laufbahn ab: vom Studium bis zur täglichen Arbeitswelt. Interessierte können sich an die Mentorin ihres Landesverbandes wenden.
An Kolleginnen und Kollegen in den ersten fünf Jahren nach abgeschlossener Facharztprüfung richtet sich das Angebot „First Five Academy“ des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden- Württemberg. Das nächste zweitägige Startseminar („Auf die Plätze, fertig, Hausärzt:in!“) findet im Januar 2025 statt, auf das spezifische Seminare, Mentoring-Angebote, Qualitätszirkel sowie Beratungen folgen.
Medical-Tribune-Interview