Wer zu wenige Stunden arbeitet, muss sich der KV erklären
Mit finanziellen Sanktionen muss bisher eine Praxis rechnen, die zu viele Stunden im Quartal gearbeitet haben will oder sich zu viele Patienten mit einer anderen Praxis teilt. Hinzu kommt nun eine Prüfung des Versorgungsauftrages. Wer weniger als die seit September 2019 vorgeschriebenen 25 Stunden pro Woche arbeitet, muss mit einer Neuberechnung seines Honorars auf der Grundlage der Erfüllung des ermittelten Versorgungsauftrages rechnen.
Die künftigen Prüfungen beziehen sich auf alle Vertragsärzte und auf im MVZ angestellte Ärzte. Sie erfolgen anhand der abgerechneten Fälle sowie der EBM-Positionen samt der Zeitvorgaben für die ärztliche Leistungserbringung. Es können auch weitere Prüfmechanismen zur Anwendung kommen.
Um einschätzen zu können, ob ein Versorgungsauftrag nicht erfüllt wurde, müsste die KV jeweils eine konkrete Einzelfallprüfung durchführen. Da dies aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist, hat die KBV ein Drei-Punkte-Raster für ein Auswahlverfahren entwickelt. Als Referenzgröße für dieses Screening werden die in der Zulassungsverordnung benannten 25 Sprechstundenzeiten pro Woche herangezogen.
Ansatz der Kalkulations- oder der Plausibilitätsminuten
Im ersten Schritt der Prüfung wird die Summe der Arbeitszeit je Arzt auf Basis der Abrechnungsdaten ermittelt. Im zweiten Schritt wird der Referenzwert weiter operationalisiert und die tatsächlich ermittelte Zeit mit diesem Referenzwert verglichen. Bei Auffälligkeiten wird in einem dritten Schritt festgelegt, ob und wie eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden soll.
Schritt 1: Die Arbeitszeiten eines Vertragsarztes werden je Quartal auf Basis der Abrechnungsdaten vor sachlich-rechnerischer Richtigstellung ermittelt. Im Anhang 3 des EBM-Kapitels VI wird je Gebührenordnungsposition (GOP) aus den Prüf- und Kalkulationszeiten der jeweils höhere Wert ausgewählt. Die höhere Auswahl erfolgt, da einige Leistungen weder eine Prüf- noch eine Kalkulationszeit aufweisen (z.B. Nrn. 01100 bis 01102 EBM) und somit nicht berücksichtigt werden. Beispiel: Die Echokardiographie mit physikalischer Stufenbelastung nach Nr. 33030 EBM hat eine Kalkulationszeit von 40 Minuten und eine Plausibilitätszeit von 35 Minuten, die Spiroergometrie nach Nr. 13660 eine Kalkulationszeit von 17 Minuten und eine Plausibilitätszeit von 15 Minuten. In diesen Fällen wird bei der Ermittlung der arztindividuellen Sprechstundenzeit die jeweils höhere Zeitangabe zugrunde gelegt.
Zwei Jahre Schonfrist für Neugründungen
Die Summe der Zeiten je Vertragsarzt wird errechnet, indem die zuvor ermittelten Zeiten mit den abgerechneten GOP-Häufigkeiten multipliziert und dann für alle Leistungen pro lebenslanger Arztnummer (LANR) addiert werden.
Ergänzend wird für jede LANR die Anzahl der Arztfälle ermittelt und unter Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten ein Referenzwert in Minuten pro Fall für jede Fachgruppe festgelegt, der mit der Zahl der Arztfälle multipliziert wird. Ferner werden für jeden Arzt die der Terminservicestelle gemeldeten durchschnittlichen Sprechzeiten pro Woche berücksichtigt.
Ärzte, deren Zulassung weniger als acht Quartale zurückliegt (Neugründungen), werden zunächst keiner Prüfung unterworfen.
Schritt 2: In jeder KV wird die Anzahl der Werktage des Quartals ermittelt. In Anlehnung an die Zulassungsverordnung werden bei voller Zulassung für jeden Werktag fünf Stunden (= 25 Wochenstunden) unterstellt. Daraus ergibt sich für jeden Tätigkeitsumfang eine Stundenzahl pro Quartal.
Vergleich der empirischen mit der Referenzzeit des Arztes
Urlaube und/oder Fortbildungszeiten werden pauschal mit einer Stundenzahl von zehn Tagen pro Quartal berücksichtigt, krankheitsbedingte Abwesenheiten mit vier Tagen im Quartal. KV-Spezifische Besonderheiten sollen ebenfalls berücksichtigt werden.
Nach dem skizzierten Vorgehen ergibt sich eine Referenzgröße in Stunden, die je Tätigkeits- bzw. Zulassungsumfang unterschiedlich hoch ausfällt. Liegen die empirisch ermittelten Zeiten eines Arztes unter diesem Referenzwert, soll eine differenzierte Einzelfallprüfung erfolgen.
Schritt 3: Bei einer Einzelfallprüfung sollen weitere Sachverhalte berücksichtigt werden. Dazu zählen insbesondere:
- überdurchschnittliche Praxisausfallzeiten z.B. infolge einer längeren Krankheit bzw. Vertretung aufgrund von anderen Umständen (z.B. Mutterschutz),
- die Teilnahme an Selektivverträgen, die nicht über die KV abgerechnet werden (z.B. DMP),
- die Teilnahme an der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung,
- eine Tätigkeit als Durchgangs- oder Kur-Arzt,
- überdurchschnittlich hohe Anteile an Leistungen, für die keine Prüf- oder Kalkulationszeiten vorliegen (z.B. Palliativversorgung nach Nr. 03370, Impfungen, Laborleistungen),
- KV-spezifische Abrechnungsregelungen oder
- überdurchschnittlich viele abgesagte oder nicht wahrgenommene Sprechstundentermine.
Grundsätzlich soll bei der Prüfung untersucht werden, wie Auffälligkeiten erklärt werden können und ob sie durch das Verhalten des Vertragsarztes beeinflussbar sind.
Soweit datentechnisch möglich, sollen diese Tatbestände schon im Screening berücksichtigt werden, um ungerechtfertigte Aufforderungen zur Stellungnahme an die Vertragsärzte zu vermeiden. Vermutlich werden die KVen rückwirkend einen Zeitraum von mindestens einem Jahr kontrollieren.
Prüfraster orientiert sich an Norm der Fachgruppe
Der Vergleich der arztindividuellen Zeiten mit einem fachgruppenspezifischen Referenzwert ist problematisch. Nur wenn eine Fachgruppe in ihrem Abrechnungsspektrum homogen ist, wird der einzelne Arzt nicht auffallen. In der sehr heterogenen Gruppe der Internisten wird deshalb wichtig sein, dass der Referenzwert nach den schwerpunktorientierten internistischen Fächern ausgerichtet wird.
Im Detail ist das Prüfraster teilweise nicht logisch aufgebaut. Bei der arztindividuellen Berechnung der Stundenzahl sollen auch die der Terminservicestelle gemeldeten durchschnittlichen Sprechstundenzeiten pro Woche berücksichtigt werden. Die KBV sieht allerdings vor, dass eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zwar die vorgeschriebene Stundenzahl je Arzt melden muss, die resultierende Summe an Sprechstunden aber von einem einzigen Mitglied der BAG oder des MVZ – sofern fachgleich – abgearbeitet werden kann. Es ist somit möglich, dass ein Arzt in einer BAG oder einem MVZ glaubt, die Mindestzeit erfüllt zu haben, seine Sprechstundenzeit aber rechnerisch auf alle Mitglieder der Gemeinschaft verteilt wurde.
Fälle aus Sonderregelungen, DMP und ASV erfassen
Abweichungen von den pauschal eingeplanten Zeiten sollten deshalb für spätere Nachfragen dokumentiert werden, also z.B. Fortbildungen, Urlaubs- und Krankheitszeiten, die über die berücksichtigten zehn bzw. vier Tage im Quartal hinausgehen.
Die Praxis sollte auch in der Lage sein, Fälle aus Sonderverträgen oder Sonderregelungen zu quantifizieren, die zeitlich nicht erfasst werden – etwa bei der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung oder im Rahmen von DMP. Das ist auch bei EBM-Leistungen erforderlich, die keine Zeitvorgaben haben (wie z.B. die Nr. 01435 oder selbst erbrachte Laborleistungen). Solche Leistungen werden nur pauschal durch die Berücksichtigung der höheren Zeitvorgabe bei anderen GOP erfasst.
Die wiederum sind meist im technischen Bereich angesiedelt. Nur wer viele technische Leistungen erbringt, die mit einem hohen Zeitwert in die Berechnung eingehen, erreicht also einen adäquaten Ausgleich für den Leistungsanteil ohne Zeitvorgaben. Ebenfalls dokumentiert werden sollten Fälle, in denen Patienten nicht zum vereinbarten Sprechstundentermin erscheinen.
Bei einer hohen Anzahl an Patienten, die vom Zeitraster des EBM nicht erfasst werden, empfiehlt es sich, dies bereits im Vorfeld der KV mitzuteilen und diese zu fragen, wie solche Fälle bei der Prüfung zeitlich berücksichtigt werden.
Die geprüften 25 Stunden müssen jedenfalls ausschließlich für Kassenpatienten verwendet werden; die Privatpatienten gehen extra. Damit muss man auch die Sprechstundenzusammensetzung an dem neuen Prüfraster orientieren.
Medical-Tribune-Bericht