Eine Ärztegenossenschaft stellt sich dem Nachfolgeproblem
Das grundsätzliche Problem sei schnell beschrieben, so Frank Bletgen, Geschäftsführer von ÄGIVO eG, der Ärztegenossenschaft Gesundheitsversorgung im Vorderen Odenwald. „Wir sind die Struktur, die machen soll und machen kann – aber wir werden nicht ausreichend unterstützt.“
Dass die Krise in der Hausarztversorgung im Kreis Bergstraße um sich greift, habe man oft betont. Zuletzt auch im Sommer dieses Jahres gegenüber der Gesundheitsdezernentin des Kreises Bergstraße, Diana Stolz. Man habe von Praxisschließungen und unterbesetzten Praxen in Lorsch, Einhausen, Bensheim und Mörlenbach berichtet. Und darüber, dass die Kassenärztliche Vereinigung zwar den Sicherstellungsauftrag hat, aber auch nur den Mangel niederlassungswilliger Hausärzte verwalten kann.
Ärzte wollen bedarfs- und wohnortnah versorgen
Mit der ÄGIVO dagegen stünde zur Sicherstellung der Versorgung ein freier ärztlicher Träger für MVZ zur Verfügung, der über die Anstellung von Ärzten eine bedarfsorientierte und vor allem auch wohnortnahe haus- und fachärztliche Versorgung aufbauen könnte. „Die ÄGIVO ist in der Lage, Lösungen für die schnellen Veränderungen zu schaffen“, sagt Bletgen. Und komme direkt aus der Ärzteschaft.
Dafür müsse allerdings der Kapitalbedarf für Investitionen und den Aufbau der Struktur über Förderungen bereitgestellt werden. Über den Kapitalmarkt bekäme die Genossenschaft nur eingeschränkt Mittel. Und die Deckungsbeiträge für Finanzierungskosten bei gleichzeitiger Vorhaltung von Organisationsstruktur und Fixkosten für die angestellten Ärzte müssen erst einmal erwirtschaftet werden. Gerade bei Nachfolgeprojekten, bei denen schon länger vergeblich eine Lösung gesucht wird, besteht ein hoher Kapitalbedarf, weil z.B. die Versorgung schon gedrosselt ist und lange nicht investiert wurde.
Die Ärztegenossenschaft aus dem Odenwald
Für den abgebenden Arzt kann das zu lange dauern
Dann muss die nächste Haushaltsplanung abgewartet werden oder ein Nachtragshaushalt muss her. Dabei gilt es, viele haushaltsrechtliche Vorgaben und Prüf- und Genehmigungsverfahren zu beachten. Von Antragstellung beim Land bis zur Bewilligung dauert es gut drei bis vier Monate. Rechnet man noch ein, dass ein Arzt, der seinen Sitz an das MVZ geben möchte, drei Jahre dort angestellt sein muss, kommt man auf eine Vorlaufzeit von rund fünf Jahren, bevor der Arzt endlich abgeben kann. Für viele dauert das zu lange. Sie haben diesen Vorlauf nicht einkalkuliert oder müssen aus persönlichen Gründen in absehbaren Zeiträumen aufhören. „Flexibel ist anders“, kommentiert das Bletgen. Sein Vorschlag beinhaltet, die Genossenschaft so in bestehende Versorgungnetzwerke zu integrieren, dass eine Förderung kurzfristig erfolgen kann. Dafür sei es EU-beihilferechtlich vielleicht auch notwendig, die ÄGIVO mit der Daseinsvorsorge der Gesundheitsversorgung zu betrauen. Als betrauungsfähig gelten Leistungen der Grundversorgung wie etwa der öffentliche Personennahverkehr, die unter normalen Bedingungen nicht rentabel erbracht werden könnten. Und um Grundversorgung geht es ja auch der ÄGIVO. Man strebe ein Gesundheitsnetzwerk an, das nicht nur die Hausärzte ersetze, sondern die ambulante und stationäre Versorgung zu einem verbindlichen Kooperationsgefüge bringe. Die Idee der Betrauung zugunsten ambulanter Versorgung ist neu. Nicht so im stationären Sektor, wo einige Kommunen darüber die Existenz ihrer Krankenhäuser sichern. Auf Anfrage beim Kreis Bergstraße, ob die Betrauung der ÄGIVO den Weg zur flexibleren Förderung öffnen könnte, sagt ein Sprecher, dass nach seiner Kenntnis von dieser Möglichkeit im Gesundheitsbereich bislang nur für Krankenhäuser sowie Einrichtungen der Langzeitpflege Gebrauch gemacht wird. Der Kreis begrüße das Konzept der ÄGIVO grundsätzlich. Aber die fachliche ambulante Versorgung sei keine öffentliche Aufgabe des Kreises, sondern auf Ebene der Länder angesiedelt. Eine finanzielle Unterstützung der ÄGIVO durch den Kreis sei nicht möglich. Ob die Kommunen tätig werden, liege im Entscheidungsermessen der gemeindlichen Gremien. Auch sei möglicherweise mit Blick auf das EU-Beihilferecht und den Gleichbehandlungsgrundsatz ein Eingriff in den Wettbewerb von Belang. Die Studie „Kommunen als Träger Medizinischer Versorgungszentren“, die 2018 im Auftrag des Bayerischen Gesundheitsministeriums erstellt wurde, betont den gesetzgeberischen Willen, dass den Kommunen mehr Einfluss bei der Ausgestaltung von Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, auch im Gesundheitswesen, eingeräumt werden soll. Entsprechendes finde sich z.B. im 7. Altenbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2016) wie auch in dem 2015 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz.Geringe Förderung aus Sicht des Beihilferechts unkritisch
Kommunalrechtlich würden Landkreise, Städte und kreisangehörige Gemeinden in diesem Zusammenhang als Kommunen betrachtet. Das sei auch versorgungspolitisch sinnvoll. Und zu den MVZ-Fördermöglichkeiten durch Kommunen führt die Studie aus, dass z.B. eine De-Minimis-Förderung eine Wettbewerbsverfälschung vermeide. Sie ermögliche eine Förderung in Höhe von 200 000 Euro über den Zeitraum von drei Jahren, und – wenn es sich um eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse handle, wovon bei einem MVZ auszugehen sei – sogar bis zu 500 000 Euro. Die Studie zitiert auch einen MVZ-Beihilfefall – den bislang einzigen: Das Ärztehaus in der kleinen Gemeinde Durmersheim, das ein von der Gemeinde renoviertes Schulgebäude mit 950 m² für 8,40 Euro pro Quadratmeter gemietet hat. Mehrere Ärzte sowie ein Berufsverband hatten Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingelegt, die Miete verfälsche den Wettbewerb. Die Kommission war der Auffassung, dass angesichts der Marktlage, der Stellung des betreffenden Unternehmens sowie der Handelsströme der Dienstleistungen die Maßnahme nicht mehr als nur marginale Auswirkungen auf den Wettbewerb habe.Medical-Tribune-Recherche