Praxisnachfolge: Kommunale MVZ sind für abgebende Ärzte potenzielle Rettungsanker
In zwei Jahren ist es vorbei, sagt der Bürgermeister des Rheingauer Städtchens Lorch, Jürgen Helbing. Dann sind die drei Hausärzte, die zurzeit die knapp 4000 Einwohner der westlichsten Gemeinde Hessens versorgen, im Ruhestand und es wird keine Hausarztpraxis mehr im Ort geben. Dabei nur zusehen, will der Bürgermeister aber nicht. Er plant, ein kommunales MVZ zu gründen.
Kommunen als MVZ-Gründer und -Betreiber – gesetzlich erlaubt ist das seit 2012, gewollt spätestens seit 2015. Die großen Gründungswellen blieben trotzdem bislang aus, aktuell gibt es noch nicht mal ein Dutzend kommunaler MVZ bundesweit. Für abgebende Ärzte ist das bedauerlich, denn hier kann eine gute Chance liegen, für die eigene Praxis einen Abnehmer zu finden.
Grundsätzlich können Kommunen als MVZ-Betreiber aktiv werden, sofern sie eine Trägerform finden, die sowohl mit dem Kommunal- wie auch mit dem Sozialrecht vereinbar ist. Zur Verfügung stehen die Anstalt des öffentlichen Rechts, der Eigenbetrieb, die GmbH oder die Genossenschaft. Rechtsanwalt Dr. Florian Hölzel, Wiesbaden, hat sich die Vor- und Nachteile angeschaut.
Der Eigenbetrieb
Die Form des klassischen kommunalen Eigenbetriebs als ein Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge – wie etwa für kommunale Versorgungsbetriebe – bedeutet für MVZ rechtliche Unselbstständigkeit und erlaubt auch keine gleichrangige Beteiligung privater Leistungserbringer. Das wäre ein deutlicher Nachteil. Es ist keine Übertragung der Einrichtung auf private Leistungserbringer möglich. Damit ist eine Integration von Ärzten in dieses MVZ auch für die Zukunft ausgeschlossen.
Darüber hinaus haftet die Kommune mit dieser Trägerform vollständig für eventuelle Regresse. Zwar sind nicht vorsätzlich verursachte Regresse versicherbar und ein gutes Abrechnungscontrolling lässt das Risiko beherrschbar erscheinen – es bleibt aber doch eine Unkalkulierbarkeit bestehen.
Die Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR)
Auch die Anstalt des öffentlichen Rechts lässt in manchen Bundesländern die Gemeinde mit der Vollhaftung für eventuelle Regresse alleine. Und auch hier ist eine gleichrangige Beteiligung privater Leistungserbringer nicht möglich. Verglichen mit dem Eigenbetrieb besteht jedoch eine größere Unabhängigkeit dieser Trägerform.
In einigen Bundesländern gibt es die Möglichkeit, die Einrichtung bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt in eine GmbH umzuwandeln, sodass sie z.B. in die Hände von Ärzten übergehen kann. Kommunale MVZ unter Trägerschaft einer AöR gibt es in Katzenelnbogen (Rheinland-Pfalz), in Schwarzenborn (Hessen) und in Werlte (Niedersachsen).
Die GmbH
Eine häufige Rechtsform von MVZ ist die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die GmbH. Für Kommunen hat diese aber einen Haken: Die Zulassung eines MVZ als GmbH verlangt eine unbegrenzte selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung aller Gesellschafter für Forderungen von KVen und Kassen. Das Kommunalrecht dagegen fordert eine Haftungsbeschränkung – Sozialrecht und Kommunalrecht finden hier nicht zusammen.
Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 wurde den Kommunen deswegen die Option eingeräumt, Sicherheiten etwa über die Bestellung von Hypotheken oder hypothekengesicherten Forderungen einzubringen. Die Höhe der Sicherheitsmittel muss mit den KVen und den Kassen ausgehandelt werden. Da es hierzu noch wenig Erfahrung gibt, müssen dafür längere Zeiträume eingeplant werden. Und das nicht nur bei der Gründung: Mit dem Eintritt eines neuen Arztes, z.B. eines Gynäkologen, muss mit einer Erhöhung der Sicherheitsmittel gerechnet werden. Beispiele für ein kommunales MVZ, das als GmbH betrieben wird, gibt es bislang keine, Verhandlungen zwischen Kommunen, Kassen und KV hingegen schon.
Die Genossenschaft
Eine andere Figur aus dem privaten Recht, unter der Kommunen ein MVZ gründen können, ist die Genossenschaft. Eine solche haftet nur mit dem Vermögen der Genossenschaft – das ist aus kommunaler Sicht ein relevanter Vorteil. Manche Zulassungsgremien haben diese gesetzlich vorgesehene Möglichkeit aus Angst vor ungedeckten Regressen bis vor Kurzem einfach ignoriert. Im Windschatten des TSVG gab es einen Vorstoß aus den Reihen des Bundesrates, die Bürgschaftspflicht auf Genossenschaften auszudehnen. Diese Formulierung wurde jedoch in letzter Lesung ersatzlos gestrichen und damit indirekt die bestehende Regelung nochmals bestätigt.
Als Hürde kann sich dagegen erweisen, dass diese Trägerform partout mindestens drei Gründer mit den vorausgesetzten Gründereigenschaften benötigt – also etwa eine Gemeinde und zwei Ärzte. Mitstreiter finden sich oft unter den abgebenden Ärzten, die bereit sind, noch eine Weile Teil des Neuen zu sein, aber nicht mehr unbeschränkt haften wollen. „Kommunen, die kein Problem haben, Mitgründer ins Boot zu holen, weil etwa ihre abgebenden Ärzte engagiert sind, finden in der Genossenschaft auf jeden Fall ein sehr taugliches Mittel auf dem Weg zum kommunalen MVZ“, meint Rechtsanwalt Dr. Hölzel, der bereits an verschiedenen MVZ-Gründungen mit Kommunen mitgewirkt hat.
Zu den Vorteilen einer Genossenschaft gehört auch, dass sie in eine GmbH umgewandelt werden kann, wobei zum MVZ gehörende Genehmigungen erhalten bleiben sollten. Die Einrichtung kann also zu einem späteren Zeitpunkt ohne das Risiko des Verlusts von z.B. Zulassungen auf einen Einzelarzt übertragen werden.
Beispiele für ärztliche MVZ-Genossenschaften gibt es in Bitburg (Rheinland-Pfalz) und Lindenfels (Hessen), allerdings nicht mit kommunaler Beteiligung. Aber das wird es vielleicht in Lorch geben, wenn es nach Bürgermeister Helbing geht, der die Idee der Genossenschaft verfolgt. Konkrete Gespräche zwischen den Ankerpartnern Ärzte, Kommune und Krankenhaus sollen bald starten. Und mit jedem kommunalen MVZ, das seinen Betrieb aufnimmt, steigt für Ärzte in ländlichen Gebieten die Chance, dass auch ihre Kommune auf diesen Dreh kommt.
Bundessozialgericht: Bewerbung um freien Arztsitz für ein MVZ ist nur mit einem konkret benannten Mediziner möglich
Quelle: BSG-Urteil vom 15.5.2019, Az.: B 6 KA 5/18 R
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