Werden Sie zum Praxis-Prepper Mit 50 auf den Ruhestand vorbereiten
Wie viel ist Ihnen Ihre Praxis wert? Gibt es überhaupt einen Wert, der erfassen kann, wie viel Zeit, Mühe und Herzblut Sie investiert haben? Bis die Räumlichkeiten, die organisatorische Struktur, das Team und Ihre Arbeitsbedingungen genau so geworden ist, wie es Ihr Anspruch verlangt?
Aber klar – für jemanden, der kaufen möchte, stellt sich die Frage nach dem Wert natürlich anders. Da geht es um die Zukunft, ob Investition und zukünftiges Potenzial in Relation stehen. Potenzielle Käuferinnen und Käufer schauen auf Zahlen, Fakten und Daten. Für sie geht es um wirtschaftliche Eckdaten, Zustand, Ausstattung, Lage, Wettbewerbssituation und Patientenstruktur.
Auch Sachverständige folgen unterschiedlichen Kriterien
Und trotzdem: Einen objektiv richtigen Praxiswert, der sich aus solchen Eckdaten ergeben könnte, gibt es nicht. In einer aktuellen Studie ließ Professor Dr. Thomas Sander, Inhaber des Lehrstuhls für Praxisökonomie an der medizinischen Hochschule Hannover, zehn Sachverständige für die Wertermittlung von Arztpraxen 23 verschiedene Praxen bewerten. Der Unterschied in der Wertermittlung der Sachverständigen betrug mehrere 100 %.
Praxisberater Wolfgang Apel formulierte es deswegen so: Eine Praxis ist immer genau so viel wert, wie ein Käufer bereit ist, dafür zu zahlen. Und deswegen sollte eine Praxis, sagt er, zwei Prämissen erfüllen: Sie sollte dem Praxisinhaber Freude machen – aber natürlich auch „irgendwann mal“ für potenzielle Käufer interessant sein.
Letzteres ist aber leider immer öfter nicht der Fall. Und manchmal ist das Problem hausgemacht. „Die meisten Mediziner erreichen mit Anfang oder Mitte 50 den Höhepunkt ihrer Praxis“, beschreibt Apel die Situation, in der die Weichen oft falsch gestellt werden. Das Team funktioniert, die Praxisausstattung ist auf einem Topniveau: Was man sich bei der Niederlassung noch nicht leisten konnte, wurde angeschafft, die Innenausstattung passt, es gibt eine moderne Website und die Social-Media-Kanäle sind gepflegt. „In dieser Situation setzt bei manchen ein Maß an Zufriedenheit mit sich und der eigenen Praxis ein, das dazu führt, dass die Praxis nicht mehr weiterentwickelt wird.“ Das kann zu einem späteren Zeitpunkt auf die Füße fallen.
Etwa die Hälfte aller Praxisinhaber wird in rund 15 Jahren im rentenfähigen Alter sein. Die Zahl der Medizinstudierenden wird diese Lücke genauso wenig füllen können wie die Zuwanderung von Medizinerinnen und Medizinern aus dem Ausland – es wird also einfach nicht genügend Nachfolger für die abzugebenden Praxen geben. Einen Käufer finden dann nur Praxen, die zu diesem Zeitpunkt auf der Höhe der Zeit sind und den Vorstellungen der Nachfolgenden entsprechen.
Was also tun? „Praxisinhaber sollten ihren 50. Geburtstag als Startdatum ansehen, um darüber nachzudenken, wie ihr Ausstieg gelingt“, rät Apel. Dabei ist es erst mal unwichtig, wann dieser Ausstieg stattfinden soll. „Es geht darum, eine Strategie zu entwickeln, wie sie in den nächsten 10, 15 oder 20 Jahren dafür sorgen, ihre Praxis up to date zu halten, sodass sie zu jedem Zeitpunkt ein attraktives Angebot für einen potenziellen Übernehmer darstellt.“ Aber: Wonach gucken die potenziellen Käuferinnen und Käufer, was schreckt sie ab? Es gibt drei Punkte, an denen eine Praxis altert und an Attraktivität verliert, erklärt Apel.
Unser Experte
Wolfgang Apel ist Betriebswirt und seit 17 Jahren als Praxisberater tätig. Er veröffentlicht regelmäßig den Podcast „Unternehmen Arztpraxis“.
1. Die Praxis ist zu klein
Der Großteil der heute existierenden Praxen sind Ein-Behandler-Praxen. Die meisten jungen Ärztinnen und Ärzte wollen sich aber nicht alleine mit den Herausforderungen herumschlagen, die das Unternehmen Arztpraxis mit sich bringt. Sie lassen sich nicht alleine, sondern in einer Berufsausübungsgemeinschaft nieder. Damit wird es für die klassische Ein-Behandler-Praxis in der Zukunft nur noch einen kleinen Markt geben.
Aber auch wenn sich durch Digitalisierung und Homeoffice die Mietpreise für Arztpraxen wieder auf einem nicht mehr ganz so irrationalem Niveau befinden – nur mit Blick auf den Verkauf in ferner Zukunft in eine größere Praxis umziehen? Das erscheint doch etwas viel Aufwand.
„Betrachten Sie die Gesamtsituation“, rät Apel. Denn: Viele ältere Kolleginnen und Kollegen erwägen ganz unabhängig vom Thema Praxisverkauf, dass sie gerne in einem bestimmten Alter ihre Arbeitszeit reduzieren würden. Damit das nicht mehr als nötig zu Lasten des Umsatzes – und damit zu Lasten des Praxiswerts – geht, macht es Sinn, sich den Sitz irgendwann mit einem angestellten Arzt zu teilen, in welchen Proportionen auch immer. Solchen Überlegungen steht aber oftmals die Größe der eigenen Räumlichkeiten entgegen. In diesem Fall kann ein Umzug möglicherweise auch schon lange vor einem Verkauf eine ganz neue Perspektive mit sich bringen.
Und die dritte Fliege, die sich neben der Attraktivitätssteigerung und möglichen Altersteilzeit mit dieser Klappe „erschlagen“ lässt: Der angestellte Arzt, die angestellte Ärztin ist natürlich auch immer eine möglicherweise kaufinteressierte Person.
2. Das Team ist „zu alt“
Ein anderes Problem ist in manchen Praxen die Zusammensetzung des Teams. „Oft altert der Praxisinhaber einfach gemeinsam mit seinen MFA“, sagt Apel. Das ist für das Team natürlich auch eine schöne Erfahrung. In der Konsequenz heißt das aber, dass die Praxis mit einem Team ins Verkaufsrennen einsteigt, dessen Perspektive früher oder später der verdiente Ruhestand ist – und nicht der Neustart unter neuer Führung.
Gleichzeitig werden innerhalb der nächsten acht Jahre mit den geburtenstarken Jahrgängen etwa 30 % der MFA vom Markt verschwinden. Nachrücken werden deutlich weniger. „Die Praxen müssten einfach viel mehr dafür tun, ihr Team jung zu halten“, unterstreicht Apel.
Und warum bilden die Praxen dann nicht viel mehr aus? Unter anderem, weil sie schlechte Erfahrungen mit der Ausbildung gemacht haben. Die Frustration entsteht oft dadurch, dass Leute eingestellt wurden, die wenig Chancen hatten, eine interessante Ergänzung des vorhandenen Praxisteams zu werden, erkärt der Praxisberater.
Etwa 14 % der auszubildenden MFAs und ZFAs haben heute Abitur. Und der Prozentsatz steigt von Jahr zu Jahr. Solche Auszubildenden sind eine Bereicherung für eine Praxis, weil sie das Team dabei unterstützen, den Anforderungen, die eine moderne Versorgung stellt, nachzukommen. Das macht Arbeitgeber und Team zufrieden und sorgt für eine dauerhafte Verjüngung – und die macht die Praxis attraktiv für junge Praxisübernehmende.
3. Die Technik ist überholt
Und die dritte Schwachstelle: die aus der Zeit gefallene Technik. Bei manchen älteren Praxen zieht sich dieser Mangel durch die gesamte technische Ausstattung. „Wer eine solche Praxis kaufen möchte, muss Spaß daran haben, wirklich komplett alles neu aufzubauen“, so Apel. Dass sich diese Notwendigkeit aber, sofern sich überhaupt ein Käufer findet, auf den Preis auswirkt, ist selbstredend.
Und selbst eine Kleinigkeit wie ein veralteter Internetauftritt wirkt sich aus. Jede Praxis hat im Schnitt pro Jahr einen Abgang von 6 % ihrer Patienten. Das bemerkt im Alltag niemand und die Gründe sind einfach nachzuvollziehen: Durchschnittlich ziehen 5 % der Bundesbürger jedes Jahr in eine neue Stadt und rund 1,3 % der Menschen in Deutschland sterben – wobei diese Quote mit Blick auf das Durchschnittsalter der Patienten einer Praxis auch höher sein kann.
Gleichzeitig müssen sich aber junge Patientinnen und Patienten Ihrer Stadt früher oder später ihre Ärzte suchen und es kommen jedes Jahr 5 % neue Einwohner in eine Stadt. Das ermöglicht einen kontinuierlichen Zugewinn auch an Jüngeren – allerdings nur, wenn Praxisinhaber darauf achten, ihre Außendarstellung und ihre technische Ausstattung kontinuierlich zeitgemäß zu halten.
„Deswegen ist so wichtig, sich relativ früh mit diesen Gedanken zu beschäftigen – kurz vor Schluss lässt sich das Steuer kaum noch rumreißen“, so der Praxisberater. Und am Schluss ist eine Praxis eben nur so viel wert, wie ein Nachfolger dafür zahlen möchte.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht