Kapitalinteressen statt Allgemeinwohl – bedrohen Investoren die ambulante Gesundheitsversorgung?

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Die „Anregungen“ aus der Geschäftsführung nehmen zu, berichten Ärzte – genauso wie der Druck. Die „Anregungen“ aus der Geschäftsführung nehmen zu, berichten Ärzte – genauso wie der Druck. © iStock/SasinParaksa

Private-Equity-Unternehmen und vergleichbare renditegesteuerte Kapitalinvestoren sind, was MVZ-Übernahmen betrifft, weiter auf dem Vormarsch. Experten äußern sich besorgt dazu.

Es reiche von „abendlichen Rapports zur Höhe des täglichen Honorarumsatzes“ bis zur Belehrung, dass der Erhalt des oberen Backenzahnes „unwirtschaftlich“ im Vergleich zur Extraktion und nachfolgenden Implantation sei.

Dr. Wolfgang Eßer, Chef der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), äußerte sich anlässlich einer Anhörung des Bundestag-Gesundheitsausschusses zu Kapitalinteressen in der Gesundheitsversorgung sehr anschaulich zu den Auswirkungen der steigenden Zahl von MVZ-Übernahmen durch Kapitalinvestoren. Im zahnärztlichen Bereich häuften sich Klagen von angestellten Ärzten über den enormen betriebswirtschaftlichen Druck, den die Eigentümer auf sie ausübten.

In einem Antrag thematisiert die Fraktion Die Linke die Gefährdung der ambulanten Versorgung durch Aufkäufe, die internationale Kapitalgesellschaften tätigen. Dabei bezieht sie sich u.a. auf eine Analyse der KZBV.

Demnach haben die abgerechneten Punktmengen je Fall für konservierend-chirurgische Behandlungen im Zeitraum Januar 2017 bis Juni 2018 bei den Investor-MVZ (121,77) weit über denen der Einzelpraxen (86,20) gelegen. Auch Berufsausübungsgemeinschaften (BAG: 90,93) und nicht investorgesteuerte MVZ (107,77) liegen darunter. Bei Zahnersatzleistungen lag das Honorar je Fall in den Investor-MVZ (435,99) ebenfalls deutlich höher als bei Einzelpraxen (290,67), BAG (299,06) und nicht investorgesteuerten MVZ (385,74). Hier sehe man deutliche Hinweise auf eine renditeorientierte Leistungserbringung.

Private-Equity-Gesellschaften spiel­­ten hier eine große Rolle. Ihr Geschäftsmodell bestehe darin, Unternehmen zu erwerben und nach wenigen Jahren mit möglichst großem Gewinn wieder zu verkaufen, schreibt die Fraktion. Unternehmenszusammenlegungen, Stellenstreichungen und Lohn-Dumping dienten dazu, den Wiederverkaufspreis zu erhöhen. Durch Zusammenlegungen und Verknüpfungen mit anderen Versorgungsbereichen erlangten größere private Unternehmen mehr Macht im Gesundheitssystem.

MVZ-Kennzahlen mit einem Register offenlegen

Das gehe zulasten der Selbstverwaltung und demokratisch gewählter Institutionen, monieren die Abgeordneten. Zudem würden Beitragsmittel für private Gewinne zweckentfremdet und die flächendeckende Versorgung durch die Konzentration auf die rentablen Versorgungsbereiche und Regionen gefährdet.

Um dem entgegenzutreten sei es notwendig, ein weitgehend öffentliches Register einzuführen, das die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden MVZ listet, meint Die Linke. In diesem Regis­ter müssten die Private-Equtiy-geführten MVZ erkennbar sein samt Angaben zu Beschäftigtenzahlen, Arztsitzen, Versorgungsumfang, Immobilienbesitz, Renditen und Gewinnausschüttungen.

Die KZBV hatte schon im Vorfeld der Anhörung vor der zunehmenden Vergewerblichung des Gesundheitswesens gewarnt. Derzeit können nur durch aufwändige, kostenintensive und dennoch lückenhafte Recherchen die bewusst verschachtelten Inhaberstrukturen aufgedeckt werden. „Wir fordern den Gesetzgeber auf, diese undurchsichtige Informationslage durch die gesetzlich vorgegebene Einführung eines verpflichtenden MVZ-Registers deutlich zu verbessern und unter dem Aspekt des Patientenschutzes auf Praxisschildern und -webseiten klar kenntlich zu machen, wem ein MVZ tatsächlich gehört“, so die KZBV.

Für die Sicherstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung müsse man den Bestrebungen von Private Equity-Gesellschaften und versorgungsfremden Investoren konsequent entgegentreten. Diese zielten darauf ab, den Versorgungsmarkt als Renditeobjekt zu erschließen und weiter zu kommerzialisieren.

Markus Rudolphi von der Bundes­ärztekammer wies darauf hin, dass die Mehrheit der Bevölkerung in ländlichen Regionen lebt, neue MVZ aber in der Regel in Ballungsgebieten angesiedelt werden. Zur Versorgungsqualität der unterschiedlichen Träger könne er sich im Gegensatz zur KZBV auf keine Recherchen beziehen. Man müsse allerdings die Rückmeldungen von Kollegen ernst nehmen, dass die von Geschäftsführungen an sie herangetragenen „Anregungen“ zugenommen haben.

Mit dem Kauf einer Klinik im bundesweiten MVZ-Geschäft

Die KBV legte ihre Statistik vor: Demnach waren Ende 2018 bundesweit 3173 MVZ zugelassen. In denen arbeiteten 19 740 Ärzte (im Schnitt 6,2 Ärzte pro MVZ). Das entspricht ca. 11 % aller vertragsärztlich tätigen Ärzte. Mit einem Anteil von 42 % an der Trägerschaft aller MVZ stellen Krankenhäuser vor Vertragsärzten und anderen Trägern die größte Gruppe unter den MVZ-Gründungsberechtigten dar. Diese Trägerschaft könnte das Einfallstor für Hedgefonds und andere Investoren darstellen: Mit dem Kauf einer vergleichsweise kleinen Klinik werde die bundesweite Berechtigung zur Gründung von MVZ erworben.

Hinweise auf signifikant häufigeren Abrechnungsbetrug oder zur selektiven Auswahl eines spezifischen Leistungsspektrums von Investor-MVZ liegen der KBV nicht vor. Eine Ungleichheit zu Gemeinschafts- oder Einzelpraxen ergebe sich aber schon daraus, dass es investorengestützte MVZ aufgrund ihrer Größe und Integration in Wertschöpfungsketten leichter falle, Vertragsarztsitze zu erwerben, als einzelnen Ärzten.

In einem MVZ könne nach dem Ausscheiden eines Arztes die Nachbesetzung über das Einholen einer Genehmigung erfolgen – ohne Überprüfung der Versorgungsnotwendigkeit und ohne Ausschreibung, wie sie in BAG oder Einzelpraxen notwendig sind.

Um zu verhindern, dass weite Teile der Versorgung in „Großkonglomerate“ mit abhängig beschäftigen Ärzten überführt werden, bekräftigt die KBV Vorschläge, die sie schon fürs Terminservice- und Versorgungsgesetz gemacht hatte. Dazu gehören z.B. die Begrenzung des Leis­tungsspektrums von Dialyse-MVZ auf Dialysen sowie das Beschränken des Leistungsspektrums von Klinik-MVZ auf das des Krankenhauses und die Betriebsstätte des MVZ im Einzugsgebiet der Klinik.

Die KBV unterstreicht, alle Versuche zu unterstützen, die durch mehr Transparenz und das Schaffen gleicher Voraussetzungen die persönliche Prägung der vertragsärztlichen Versorgung zu erhalten.

Medical-Tribune-Bericht