MVZ im Fadenkreuz: Verdacht auf Abrechnungsbetrug, Bestechung und Bestechlichkeit

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Im Fokus der Ermittler steht die Alanta Health Group, zu der fünf eigenständige Unternehmen gehören. Im Fokus der Ermittler steht die Alanta Health Group, zu der fünf eigenständige Unternehmen gehören. © iStock/wildpixel

Es gibt das Antikorruptionsgesetz fürs Gesundheitswesen und seit 2018 auch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, ausgelöst u.a. durch kriminelle Machenschaften. Da möchte man annehmen, jetzt sei Schluss mit solchen Problemen. Doch falsch gedacht.

Mitte Dezember vollstreckte die Staatsanwaltschaft Hamburg zahlreiche Durchsuchungsbeschlüsse in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Sachsen wegen des Vorwurfs der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen im besonders schweren Fall sowie des bandenmäßigen Abrechnungsbetrugs. 480 Polizeibeamte und sechs Staatsanwälte waren zuerst mit 58 Durchsuchungsbeschlüssen vor Ort, später wurden elf weitere Durchsuchungsbeschlüsse durch das Amtsgericht Hamburg erlassen und vollstreckt. Von einer der größten Durchsuchungsmaßnahmen, die die Korruptionsabteilung der Staatsanwaltschaft jemals durchgeführt hat, berichtet eine Sprecherin der Behörde.

Drei Apotheker und sechs Mediziner beschuldigt

Im Fokus der Ermittler steht die Alanta Health Group, zu der fünf eigenständige Unternehmen gehören, u.a. die ZytoService Deutschland GmbH, der Pharmagroßhändler Vivatis Arzneimittel und die SKH Stadtteilklinik Hamburg GmbH. Mit letzterer verknüpft sind Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in ganz Deutschland. Zu den 14 beschuldigten Personen zählen drei Apotheker, neun Ärzte und zwei in leitender Funktion in Unternehmen der Apotheker beschäftigte Personen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Apothekern vor, die Ärzte „durch Gewährung verschiedener Vorteile an sich zu binden, um auf diese Weise zu erreichen, dass die Ärzte Rezepte insbesondere für hochpreisige Krebsmedikamente nur noch über die von den Beschuldigten betriebenen Apotheken und Unternehmen einlösen“. Auch die Stadtteilklinik wird näher beleuchtet. Vermutet wird, dass die Apotheker über verschiedene Unternehmen die Stadtteilklinik erworben und betrieben haben, um hierüber bundesweit MVZ führen und so Einfluss auf die in diesen Zentren angestellten Ärzte nehmen zu können. „Apothekern selbst ist die Gründung Medizinischer Versorgungszentren grundsätzlich nicht erlaubt“, argumentiert die Staatsanwaltschaft. Verankert ist das in § 95 Abs. 1 SGB V.

In einer Stellungnahme bezeichnet die Alanta Gruppe alle Vorwürfe als gegenstandslos. Das Geschäftsmodell stehe in vollständigem Einklang mit geltenden Gesetzen. Zu keinem Zeitpunkt sei in die Therapiefreiheit von Ärzten eingegriffen worden: „Wir sind davon überzeugt, dass die Ärzte und das medizinische Personal ihre Patienten nach den aktuell gültigen Therapieleitlinien bestmöglich versorgen.“ Auch seien sämtliche MVZ durch gesetzlich vorgegebene Genehmigungsverfahren bestandskräftig zugelassen worden. Die an die SKH Stadtteilkinik Hamburg angebundenen MVZ seien zudem medizinisch vollständig unabhängig. Der Blick der Staatsanwaltschaft richtet sich auch auf die ZytoService GmbH, das nach eigenen Angaben deutschlandweit führende Unternehmen zur Herstellung von patientenindividuellen parenteralen Infusionslösungen für onkologische und immunologische Therapien, parenterale Ernährungen und Antibiotika-Therapien.

Zeit online und das NDR-Magazin Panorama haben hinter die Kulissen geschaut und unter der Überschrift „Krebsmedikamente: Wie man sich einen Onkologen kauft“ über ihre Recherchen berichtet. Demnach sollen sich 2002 drei Apotheker verbündet haben, um die Herstellung von Infusionen im Großlabor zu professionalisieren.

ZytoService bietet die volle Breite der zugelassenen onkologischen Arzneimittel, Antibio­tika und weiterer Parenteralia sowie Pumpen und Hilfsmittel an. Jährlich werden u.a. mehr als eine halbe Million Zytostatika, parenterale Ernährungen, Antibiosen und sonstige sterile Infusionslösungen hergestellt. Der Gewinn betrug 2017 über zwölf Mio. Euro. Von einem „Zyto-Imperium“ spricht der Newsletter „Apotheke adhoc“.

Die SKH Stadtteilklinik im sozialen Hamburger Brennpunktviertel Mümmelmannsberg, ursprünglich auch zur ZytoService GmbH gehörig, ist heute wie ZytoService selbst eine Tochter der Alanta Group. Die Klinik bietet aktuell 15 Betten an. Allerdings agiert sie darüber hinaus bundesweit als Träger von 15 MVZ: sieben hämatologisch-onkologische, drei gynäkologische, vier gastroenterologische Zentren und ein haus­ärztlich-internistisches MVZ. Ärzte haben dafür ihre Sitze verkauft und sind jetzt als Angestellte der MVZ tätig. Ein Blick auf die Geschäftsführungen von SKH und den Zentren zeigt die Verflechtung. So sind die SKH-Geschäftsführer zugleich MVZ-Geschäftsführer. Das offenbaren Wirtschaftsdatenbanken wie Companyhouse oder Northdata.

Verordnungen wurden der Schwesterfirma zugeleitet

Nach einem internen Bericht der DAK, so Zeit online und Panorama, fungiert die SKH wie ein „Strohmann“, damit sämtliche Verordnungen der Schwesterfirma ZytoService zugeleitet werden können. Ob die Verflechtungen und die MVZ-Gründungen tatsächlich auf juristisch sicherem Boden erfolgt sind, müssen die Ermittler nun herausfinden. Bei vorläufiger Bewertung sei von einem Gesamtschaden von mindestens 8,6 Mio Euro auszugehen, erklärt die Staatsanwaltschaft. Sie verweist darauf, dass Bestechlichkeit und Bestechung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden können.

Haftstrafen in ähnlichem Fall

Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Zyto-Apotheker und kooperierende Ärzte in Hamburg ermittelt wird. Im März 2019 wurden wegen gewerbs- und bandenmäßigem Betrugs ein Apotheker (Z.) zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt, ein niedergelassener Allgemeinmediziner (D.) zu zehn Monaten auf Bewährung und ein Facharzt für Innere und Onkologische Medizin (Dr. F.) zu sechs Monaten Haft auf Bewährung. Der Apotheker hatte sich mittels eines Strohmanns 51 % der Anteile an einem MVZ gesichert. Die Anteile gingen von Dr. F. an D. und schließlich an Z., obwohl alle Beteiligten wussten, dass MVZ seit 2012 nicht mehr von Apothekern oder anderen nichtärztlichen Leistungserbringern gegründet bzw. betrieben und Leistungen somit auch nicht abgerechnet dürfen. Ermittelt worden war, weil die Stelle zum Fehlverhalten im Gesundheitswesen der Techniker Krankenkasse die Staatsanwaltschaft informiert hatte.

LG Hamburg 18. Große Strafkammer, Urteil vom 11.3.2019, Az.: 618 KLs 2/17, 618 KLs 2/17 - 3490 Js 94/15

Die Arbeitsgemeinschaft der Zytostatika herstellenden Apotheken (PareZu) fordert inzwischen in Konsequenz aus den Geschehnissen in Hamburg ein Verbot überregionaler MVZ-Strukturen. Sie verlangt vom Gesetzgeber zudem ein Bekenntnis zu regionalen Strukturen. Auch die Beteiligung von Finanzinvestoren sollte gesetzlich unterbunden werden.

Medical-Tribune-Bericht