MVZ im Fadenkreuz: Verdacht auf Abrechnungsbetrug, Bestechung und Bestechlichkeit
Mitte Dezember vollstreckte die Staatsanwaltschaft Hamburg zahlreiche Durchsuchungsbeschlüsse in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Sachsen wegen des Vorwurfs der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen im besonders schweren Fall sowie des bandenmäßigen Abrechnungsbetrugs. 480 Polizeibeamte und sechs Staatsanwälte waren zuerst mit 58 Durchsuchungsbeschlüssen vor Ort, später wurden elf weitere Durchsuchungsbeschlüsse durch das Amtsgericht Hamburg erlassen und vollstreckt. Von einer der größten Durchsuchungsmaßnahmen, die die Korruptionsabteilung der Staatsanwaltschaft jemals durchgeführt hat, berichtet eine Sprecherin der Behörde.
Drei Apotheker und sechs Mediziner beschuldigt
Im Fokus der Ermittler steht die Alanta Health Group, zu der fünf eigenständige Unternehmen gehören, u.a. die ZytoService Deutschland GmbH, der Pharmagroßhändler Vivatis Arzneimittel und die SKH Stadtteilklinik Hamburg GmbH. Mit letzterer verknüpft sind Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in ganz Deutschland. Zu den 14 beschuldigten Personen zählen drei Apotheker, neun Ärzte und zwei in leitender Funktion in Unternehmen der Apotheker beschäftigte Personen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Apothekern vor, die Ärzte „durch Gewährung verschiedener Vorteile an sich zu binden, um auf diese Weise zu erreichen, dass die Ärzte Rezepte insbesondere für hochpreisige Krebsmedikamente nur noch über die von den Beschuldigten betriebenen Apotheken und Unternehmen einlösen“. Auch die Stadtteilklinik wird näher beleuchtet. Vermutet wird, dass die Apotheker über verschiedene Unternehmen die Stadtteilklinik erworben und betrieben haben, um hierüber bundesweit MVZ führen und so Einfluss auf die in diesen Zentren angestellten Ärzte nehmen zu können. „Apothekern selbst ist die Gründung Medizinischer Versorgungszentren grundsätzlich nicht erlaubt“, argumentiert die Staatsanwaltschaft. Verankert ist das in § 95 Abs. 1 SGB V.
In einer Stellungnahme bezeichnet die Alanta Gruppe alle Vorwürfe als gegenstandslos. Das Geschäftsmodell stehe in vollständigem Einklang mit geltenden Gesetzen. Zu keinem Zeitpunkt sei in die Therapiefreiheit von Ärzten eingegriffen worden: „Wir sind davon überzeugt, dass die Ärzte und das medizinische Personal ihre Patienten nach den aktuell gültigen Therapieleitlinien bestmöglich versorgen.“ Auch seien sämtliche MVZ durch gesetzlich vorgegebene Genehmigungsverfahren bestandskräftig zugelassen worden. Die an die SKH Stadtteilkinik Hamburg angebundenen MVZ seien zudem medizinisch vollständig unabhängig. Der Blick der Staatsanwaltschaft richtet sich auch auf die ZytoService GmbH, das nach eigenen Angaben deutschlandweit führende Unternehmen zur Herstellung von patientenindividuellen parenteralen Infusionslösungen für onkologische und immunologische Therapien, parenterale Ernährungen und Antibiotika-Therapien.
Zeit online und das NDR-Magazin Panorama haben hinter die Kulissen geschaut und unter der Überschrift „Krebsmedikamente: Wie man sich einen Onkologen kauft“ über ihre Recherchen berichtet. Demnach sollen sich 2002 drei Apotheker verbündet haben, um die Herstellung von Infusionen im Großlabor zu professionalisieren.
ZytoService bietet die volle Breite der zugelassenen onkologischen Arzneimittel, Antibiotika und weiterer Parenteralia sowie Pumpen und Hilfsmittel an. Jährlich werden u.a. mehr als eine halbe Million Zytostatika, parenterale Ernährungen, Antibiosen und sonstige sterile Infusionslösungen hergestellt. Der Gewinn betrug 2017 über zwölf Mio. Euro. Von einem „Zyto-Imperium“ spricht der Newsletter „Apotheke adhoc“.
Die SKH Stadtteilklinik im sozialen Hamburger Brennpunktviertel Mümmelmannsberg, ursprünglich auch zur ZytoService GmbH gehörig, ist heute wie ZytoService selbst eine Tochter der Alanta Group. Die Klinik bietet aktuell 15 Betten an. Allerdings agiert sie darüber hinaus bundesweit als Träger von 15 MVZ: sieben hämatologisch-onkologische, drei gynäkologische, vier gastroenterologische Zentren und ein hausärztlich-internistisches MVZ. Ärzte haben dafür ihre Sitze verkauft und sind jetzt als Angestellte der MVZ tätig. Ein Blick auf die Geschäftsführungen von SKH und den Zentren zeigt die Verflechtung. So sind die SKH-Geschäftsführer zugleich MVZ-Geschäftsführer. Das offenbaren Wirtschaftsdatenbanken wie Companyhouse oder Northdata.
Verordnungen wurden der Schwesterfirma zugeleitet
Nach einem internen Bericht der DAK, so Zeit online und Panorama, fungiert die SKH wie ein „Strohmann“, damit sämtliche Verordnungen der Schwesterfirma ZytoService zugeleitet werden können. Ob die Verflechtungen und die MVZ-Gründungen tatsächlich auf juristisch sicherem Boden erfolgt sind, müssen die Ermittler nun herausfinden. Bei vorläufiger Bewertung sei von einem Gesamtschaden von mindestens 8,6 Mio Euro auszugehen, erklärt die Staatsanwaltschaft. Sie verweist darauf, dass Bestechlichkeit und Bestechung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden können.
Haftstrafen in ähnlichem Fall
LG Hamburg 18. Große Strafkammer, Urteil vom 11.3.2019, Az.: 618 KLs 2/17, 618 KLs 2/17 - 3490 Js 94/15
Medical-Tribune-Bericht