Zahl der MVZ in Private-Equity-Besitz auch 2020 gestiegen

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

An- und Verkäufe in der Gesundheitswirtschaft durch Private-Equity-Investoren sind kaum nachvollziehbar – da nicht meldepflichtig. An- und Verkäufe in der Gesundheitswirtschaft durch Private-Equity-Investoren sind kaum nachvollziehbar – da nicht meldepflichtig. © madamlead – stock.adobe.com

Die Einkaufstour von Privat-Equity-Investoren in der Gesundheitswirtschaft dauert ungebrochen an, speziell in der ambulanten Versorgung und der Pflege. Manche Einrichtungen erleben schon ihre ersten und zweiten Wiederverkäufe.

Mit mindestens 164 hat die Zahl der getätigten Käufe seitens Private-Equity-Unternehmen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen im vergangenen Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht. Wie viele einzelne Einrichtungen und MVZ dabei ihren Besitzer gewechselt haben, weiß allerdings niemand. Selten betrifft ein Kauf nur einen Standort. Von einem Kauf vor ein paar Jahren ist etwa bekannt, dass damit 160 Pflegeheime ihren Besitzer gewechselt haben. 

Dass die Situation unübersichtlich ist und es keine belastbaren Zahlen gibt, liegt in erster Linie an fehlenden Veröffentlichungspflichten. Systematische Recherchen, die versuchen, Zusammenhänge herzustellen, scheitern früher oder später an abenteuerlich verschlungenen Konzernstrukturen und verlieren ihre letzte Spur in den Steueroasen, in denen sich die Fonds verstecken.

Wer eine annähernde Vorstellung zum Kaufverhalten von renditegetriebenen Unternehmen hat, ist der Buchautor Rainer Bobsin. Er beobachtet die undurchsichtige Marktsituation schon seit Jahren – so gut es eben geht. In akribischer Kleinstarbeit trägt er Informationshäppchen aus Wirtschaftsregistern, von Informationsdienstleistern, dem Bundeskartellamt und der Europäischen Kommission, aus Zeitungsmeldungen und von Internetseiten der Private-Equity-Gesellschaften und ihrer Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen zusammen und veröffentlicht sie einmal im Jahr.

Für 2020 steht die Veröffentlichung kurz bevor. Sie wird zeigen: Der Trend zum MVZ als Investitionsobjekt hält an. Während Bobsin im Jahr 2018 noch etwa 425 MVZ-/Praxisstandorte in Private-Equity-Besitz ausfindig gemacht hatte (ohne Zahnarzt-MVZ) und 2019 dann über 600, geht er für 2020 von rund 750 Standorten aus – trotz Corona-Widrigkeiten in vergangenem Jahr, die das Geschäft zumindest etwas gebremst haben dürften.

In Berlin sind auch Hausärzte und Internisten mit im Boot

Gerade in den letzten zwei Jahren lässt sich verstärkt beobachten, so Bobsin, dass der Bereich der ambulanten Versorgung verstärkt im Ziel der Kaufinteresses liegt, neben dem Pflegebereich. In der Regel geht es den Investoren um kapitalintensive Fachbereiche wie Labor, Radiologie oder Ophthalmologie. Seit dem vergangenen Jahr bietet die Sanecum-Gruppe, ein deutschlandweit tätiges Gesundheitsunternehmen, in Berlin in vier Policum-Standorten ein Versorgungsangebot, das neben anderen Fachbereichen explizit auch den haus- und kinderärztlichen anbietet. Aber was ist eigentlich das Problem mit Private-Equity-Unternehmen? Es liegt in der Natur der Sache: Private-Equity-Gesellschaften erzielen ihre Rendite in erster Linie beim Wiederverkauf der Unternehmen. Die Zielparameter der Investoren orientieren sich vorrangig daran, das Unternehmen möglichst gewinnbringend wieder verkaufen zu können – statt am Geschäftszweck. Darin unterscheiden sich Private-Equity-Unternehmen (und Family-Equity-Unternehmen, wenn sie nach dem gleichen Prinzip arbeiten) von anderen privaten Investoren.

Private-Equity-Investoren sammeln Geld von Anlegern, um damit Unternehmen zu kaufen. Nach Ablauf des Fonds erhalten die Anleger ihr Kapital zurück und ihren entsprechenden Anteil am Gewinn. Geschäftszweck der Investoren ist damit der möglichst schnelle Wiederverkauf mit möglichst hohem Gewinn. Von 71 betrachteten Konzernen wurden inzwischen 36 Unternehmen aus der Hand von Private-Equity weiterverkauft, davon zwei bereits zum zweiten Mal (Alloheim, Deutsche Fachpflege Holding) und zwei weitere schon zum dritten Mal (Casa Reha, DPUW Deutsche Pflege und Wohnen). Bei den Verkäufen handelt es sich in den meisten Fällen um Secondary Buyouts, d.h., die Unternehmen wurden von Private-Equity-Investoren an Private-Equity-Investoren verkauft.

Dr. Peter Velling, Vorsitzender des Bundesverband der MVZ (BMVZ), unterstreicht diese Differenzierung: „Solange ein nicht-medizinischer Träger mit guter Medizin im Ergebnis auch Geld verdient, kann ich den Unterschied zur Niederlassungspraxis nicht erkennen. Und das sage ich als Arzt, der selbst lange niedergelassen war und heute angestellt im MVZ tätig ist.“ Jede Form der Niederlassung müsse sich wirtschaftlich rechnen und notwendige Investitionen müssten nun mal getätigt werden. Außerdem zögen immer mehr Ärztinnen und Ärzte dauerhaft die Anstellung der Einzel-Selbständigkeit vor. „Problematisch ist es aber tatsächlich, wenn ein Investor gezielt nur für einen kurzen Zeitraum in die Versorgung einsteigt und die eigentliche Rendite im Wiederverkauf des MVZ sieht“, sagt Dr. Velling. Von den 66 Private-Equity-Inves­toren, die von Bobsin als Käufer von Gesundheits- oder Pflegeeinrichtungen identifiziert wurden, sind 53 als Fondsgesellschaften einzustufen. Die weltweite Niedrig-/Null-/Negativzinspolitik der vergangenen Jahre ist der Grund dafür, dass Anleger ihre Gelder verstärkt Private-Equity-Gesellschaften überließen, in der Erwartung, so überdurchschnittliche Verzinsungen zu erzielen. Bobsin erklärt: „Die Private-Equity-Fonds stehen mittlerweile vor dem Problem, dass sie mehr Geld einsammeln, als sie ausgeben können. Deswegen investieren sie immer mehr im Gesundheits- und Pflegesektor.“ Der Finanzierungsexperte Dr. Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik beschreibt es mit den Worten: „Der Fonds wird zum eigentlichen Eigentümer der Unternehmen.“  In einer Studie hat Dr. Scheuplein untersucht, wie sich Unternehmen, die von Finanzinvestoren aufgekauft werden, nach der Übernahme entwickeln. Das Ergebnis: vergleichsweise schlecht. Konkret zeige sich das in schwacher Beschäftigung, mehr Schulden, weniger Eigenkapital und einem damit höheren Insolvenzrisiko. Besonders betroffen seien Firmen, die von einem Investor zum nächsten verkauft werden.  Bobsin konnte im untersuchten Bereich der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in Deutschland schon viele „Exits“ identifizieren. Von den 71 betrachteten Konzernen wurden 36 von Private-Equity-Gesellschaften einmal weiterverkauft, einige zweimal, andere schon dreimal. In den meisten Fällen wurden die Unternehmen an einen anderen Private-Equity-Investor verkauft – der nächs­te Verkauf ist damit vorgezeichnet. Etwa vier Jahre betrug die Haltedauer im Schnitt bei den hier betrachteten Unternehmen.  Untersuchungen mit haltbaren Aussagen zu den Auswirkungen von Private-Equity-Übernahmen auf die gekauften Unternehmen speziell der Gesundheits- und Pflegebranche in Deutschland liegen nicht vor, sagt Bobsin. Den Mangel an belastbaren Daten bestätigt ein Rechtsgutachten für die Bundesregierung von November 2020, das die rechtlichen Rahmenbedingungen für MVZ beleuchten soll. Bezüglich der Zusammenhänge zwischen Versorgungsqualität und MVZ-Trägern kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass sich die Bedenken des Gesetzgebers, von nicht-ärztlichen MVZ-Trägern gingen Gefahren für die Versorgungsqualität aus, „derzeit weder bestätigen noch entkräften lassen“. 

Arzt im MVZ in „größerer innerer Unabhängigkeit“?

Und: Beim Vergleich der Tätigkeit des im MVZ angestellten Arztes mit dem Niedergelassenen spreche einiges dafür, dass der Arzt im MVZ seiner Behandlungstätigkeit unter gewissen Aspekten in größerer innerer Unabhängigkeit nachgehen könne als der niedergelassene Vertragsarzt, da er keine finanzielle Verantwortung für das Unternehmen trage.  Für den angestellten Arzt mag das in bestimmten Konstellationen zutreffen, sagt Bobsin.  Für den ärztlichen Leiter eines MVZ  in Private-Equity-Besitz sehe das oft anders aus. Viele Verträge enthielten Benchmarking-Systeme und monatliches Reporting gegenüber der Zentrale. Besonders schwierig stellt es sich Bobsin vor, wenn Earn-Out-Klauseln im Kaufvertrag vereinbart wurden. Über diese werden Teile des Kaufpreises an Umsatzziele gebunden. Ehemaligen Praxisinhabern ist wahrscheinlich viel daran gelegen, diese Ziele zu erreichen. Es geht schließlich um ihr Lebenswerk.

 

Private Equity im Bereich der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in Deutschland Rainer Bobsin, 2021 www.offizin-verlag.de Erscheinungstermin: Mitte 2021

Medical-Tribune-Recherche

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Dr. Peter Velling, Vorsitzender des BMVZ Dr. Peter Velling, Vorsitzender des BMVZ © BMVZ