MVZ in der Primärversorgung Wie rentabel muss die Hausarztpraxis sein?

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Der irische Investor steht schon in den Startlöchern – die erworbene  Tagesklinik öffnet den Weg zur MVZ-Gründung. Der irische Investor steht schon in den Startlöchern – die erworbene Tagesklinik öffnet den Weg zur MVZ-Gründung. © iStock/Dina Mariani

Ausgehend von einem kleinem Städtchen im Mittelrheintal will der irische Gesundheitskonzern Centric Health in den deutschen Markt der Primärversorgung einsteigen. Niedergelassene vor Ort sprechen sich dagegen aus.

Der irische Konzern Centric Health steht in den Startlöchern: Mit der Gesundheitscampus Loreley GmbH hat er sich eine Tagesklinik gekauft, die ihm als Sprungbrett in die deutsche Gesundheitswirtschaft dient. Für den Konzern, der zum Portfolio von Five Arrows gehört, einem Private-Equity-Fonds der Rothschild-Bank mit Sitz im steuerlich attraktiven Luxemburg, ist das die Eintrittskarte zu dem in Deutschland gesetzlich eingeschränkten Gründerkreis für MVZ. Der Konzern kündigte an, zunächst in Oberwesel ein MVZ zu gründen, aber bald auch in der Region und in ganz Deutschland im hausärztlichen Bereich aktiv werden zu wollen.

Konzern will deutschlandweit  im Gesundheitsmarkt agieren

Man habe sich allerdings trotz Verkauf der Oberweseler Tagesklinik für konservative orthopädische Leistungen Einflussmöglichkeiten auf deren Entwicklung gesichert, sagt Michael 
Brahm, Betriebswirt und seit 30 Jahren Vorsitzender des Kolping-Förderverein Krankenhaus & Seniorenzentrum Oberwesel e.V. Der Verein ist bislang noch 65%iger Gesellschafter der Inhaberin des Gesundheitscampus, also der Krankenhaus GmbH St. Goar - Oberwesel; weitere Anteilseigner sind die Stadt Oberwesel und die Verbandsgemeinde Hunsrück-Mittelrhein. So werden zwei von fünf stimmberechtigten Beiratsmitgliedern der Tagesklinik von der Krankenhaus GmbH entsandt werden. „Wir haben nicht nur verkauft und sind weg“, sagt Brahm. Die Geschäftsführung der Klinik werden sich ein Vertreter von Centric Health und jemand aus dem bestehenden Managementteam teilen. Außerdem wurde mit dem Käufer vereinbart, die Tagesklinik über 15 Jahre zu betreiben und betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2024 auszuschließen – sofern es nicht zu dauerhaften Verlusten kommt.

Investor soll Arbeitsplätze und Versorgung sichern

Die Tagesklinik, eine Nachfolgerin der in 2020 geschlossenen Klinik an der gleichen Stelle, stand 2021 kurz vor dem finanziellen Aus. Von dem Einstieg des Investors erhofft sich die Krankenhaus GmbH ihre wirtschaftliche Stabilisierung, die Sicherung der 120 Arbeitsplätze und auch die langfristige Sicherstellung der haus- und fachärztlichen Versorgung in der Region durch neue MVZ-Strukturen.

Dass hinter dem Unternehmen Centric Health ein Finanzgeber stehe, das sehe man positiv, sagt Brahm. Eine solche Initiative benötige Kapital, und das sei vorhanden. MVZ-Strukturen seien die richtige Antwort auf die aktuellen Entwicklungen. „Für uns als Verkäufer war das gute Funktionieren des Mutter-Unternehmens in Irland das überzeugendste Argument.“ 
Aber auch Axel Strähnz, seit 17 Jahren Hausarzt in Oberwesel, hat sich die vorhandenen MVZ-Strukturen von Centric Health angeschaut. „Was ich in den Niederlanden dazu erfahren habe, scheint typisch für kapitalorientierte MVZ-Ketten: Hat ein Kollege weniger ‚gebracht‘ als der andere, wird ihm nahegelegt, mal öfter die Leistung xy anzubieten.“ Man müsse einfach immer ein bisschen on top machen zur regulären Versorgung. In Holland ließe sich auch beobachten, dass die Bewertungen der Praxen heruntergehen, sobald die alten Praxischefs ausscheiden. Die Praxen wandelten sich dann zu Maschinerien, am Eingang werde den Patienten schon eine Preisliste in die Hand gedrückt. 

Die Niedergelassenen in Oberwesel und Umgebung haben deswegen anlässlich des Kaufgesuches einen öffentlichen Brief verfasst, mit dem sie sich an den Verbandsbürgermeis­ter und die entsprechenden Gremien wenden, mit der Bitte, dem Verkauf der Tagesklinik im Zusammenhang mit einer MVZ-Gründung nicht zuzustimmen.
„Wir befürchten, dass mit der Übernahme durch einen Investor in Zukunft hauptsächlich finanzielle profitorientierte Gesichtspunkte in der medizinischen Versorgung eine Rolle spielen werden“, steht in dem Brief, der von neun Ärztinnen und Ärzten aus der Region unterschrieben ist.  

Rendite mit Hausarztpraxen zu erwirtschaften, scheint Strähnz auf jeden Fall nicht der richtige Weg zu sein. Auch für die jungen Ärzte, die man gerade in Weiterbildung habe, um die Versorgung in der Region zu sichern, werde das zum Problem. Sie werden sich im Wettbewerb um Patienten bzw. Privatpatienten etwa was Öffnungszeiten oder Investitionen betrifft, mit dem Investor messen müssen, sagt er. Auch die aktuell noch guten Angebote von Arzt-suchenden Kommunen würden sich dann wohl kaum noch rechtfertigen lassen vor dem Steuerzahler – selbst wenn die Kommunen eigentlich inhabergeführte Praxen bevorzugen würden. „Wir fürchten, dass die Investoren mit ihrer Markt- und Finanzmacht die inhabergeführten Praxen vom Markt verdrängen“, erklärt Strähnz, ein gelernter Chirurg. „Da hätte ich auch im Krankenhaus bleiben können, aus dem ich ausgestiegen bin, als die DRGs kamen und man uns vorschreiben wollte, wie viele Knieoperationen wir machen sollen.“ 

Der Käufer beschreibt sich  als Betreiber und Partner  

Zukünftiger Geschäftsführer von Centric Health Deutschland wird Simon Astfäller sein, ein Betriebswirt mit Erfahrungen im Gesundheitswesen. Er beschreibt das Verhältnis von Arzt zu Betreiber als eine Partnerschaft; der Arzt leite die Praxis nach dem Verkauf weiter, wie er es für richtig hält. „Die behandelnden Ärzte gestalten die Therapien, notwendigen Behandlungen und medizinischen Angebote für ihre Patienten natürlich auch weiterhin ohne Beeinflussung.“
Neben einer Angebotserweiterung der Tagesklinik sowie der Gründung eines Hausarzt-MVZ in den Klinikräumlichkeiten liege der Fokus des Unternehmens auf dem Aufbau einer hausärztlichen MVZ-Kette. Mit mehreren Praxen aus der Region habe bereits der Findungsprozess begonnen. „Ich rechne damit, dass wir im Sommer die ersten Praxen in unserem Unternehmen begrüßen werden können“, so Astfäller. 

Der Eintritt in das Unternehmen bedeute jedoch nicht, „dass sich sofort alles verändert“. Funktionierende Praxismanagement-Strukturen könnten erhalten bleiben. Bestimmte Grundsysteme wie etwa die Buchhaltung müssten allerdings der Idee von Centric Health entsprechend funktionieren. Strukturen, die die zukünftigen ärztlichen Partner in den Bereichen Verwaltung, Technik und Personal unterstützen sollen, würden gerade – parallel zum Anwerbeprozess – aufgebaut. Der neue Betreiber würde sich dann um die Nachfolgeplanung kümmern sowie den Arzt bei der Finanzbuchhaltung, der Personalplanung und in IT-Sachen unterstützen. Und Centric Health investiere auch in die Praxen, sagt Astfäller: „Wir finden die besten Leute und geben ihnen die besten Räume – dann kommt die Investitionskraft von ganz allein.“ In den Praxen in Irland spüre man diese Kultur. 

Aber kann ein Private-Equity-Unternehmen, das von Investitionserträgen lebt, tatsächlich eine Partnerschaft eingehen? Die an sich wünschenswerte Kapitalzufuhr in das Gesundheitssystem ist an eine Reihe von Problemen gebunden, sagt zum Beispiel Dr. Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen. So werde das Kapital meist nur auf wenige  Jahre befristet bereitgestellt. Außerdem kämen auf die Arztpraxis-Ketten weitere Eigentümerwechsel zu. Und es würden Renditeanforderungen in der Höhe von anderen „alternativen Investments“ gestellt sowie die Gewinnabflüsse aus dem Gesundheitssystem deutlich intransparenter.

Besonders die Intransparenz wird problematisch gesehen

Das unübersichtliche Marktgeschehen moniert auch Rainer Bobsin, langjähriger Beobachter des Marktes. Die Besitzgesellschaften seien häufig in Steueroasen anzutreffen, während es gleichzeitig keine Pflicht zur Veröffentlichung von Besitzverhältnissen gebe. 

Auch viele ärztliche Verbände unterstützen die Forderung nach einem Transparenzregister für MVZ. So unterstreicht der Virchowbund, dass jeder Patient wissen sollte, wem der wirtschaftliche Ertrag aus der Gesundheitseinrichtung zufließt. MVZ-Neugründungen sollten außerdem nur als gemeinnützige GmbH möglich sein und Spekulation mit raschen Wiederverkäufen verhindert werden. 

Centric Health sei mehr ein Betreiber als ein Investor, sagt Astfäller zu Bedenken dieser Art. „Transparenz ist uns grundsätzlich willkommen, weil wir davon ausgehen, dass die Patienten gerne zu uns kommen. Auch ein Transparenzregister lehnen wir nicht ab.“ Unpassende medizinische Angebote von Ärzten an Patienten könne sich Centric Health nicht leisten. „Genauso sind wir auch auf gute Kooperation mit den Ärzten angewiesen. Sagt ein Arzt, es fehlten ihm Investitionen, werden wir uns engagieren. Bleiben die Strukturen einer Arztpraxis aber über die Übernahme hinweg unverändert, ist unsere Erwartungshaltung die Kontinuität. 

Auch sollen die Praxen dauerhaft betrieben werden. So agiere das Unternehmen auch in Irland und den Niederlanden. Zwar müsse Kapital verzinst werden. Aber das funktioniere nach der gleichen Logik wie in Einzelpraxen, wo Freiberufler neben dem Arztlohn auch einen Unternehmerlohn erwirtschaften. „Bei uns bekommt der Arzt seinen Arztlohn. Über den Unternehmerlohn finanziert Centric Health dann seine Dienste und sich selbst“, erklärt Astfäller. Darüber hinaus spare man über die Serviceleistungen: Datenschutz und Buchhaltung für viele Praxen sei günstiger als die gleiche Leistung für eine Einzelpraxis. 

Die KV Rheinland-Pfalz wollte sich auch auf Anfrage nicht zu dieser neuen Entwicklung im Primärversorger-Markt äußern.

Medical-Tribune-Recherche