Interessenkonflikte Schwere Kritik an medizinischen Fachgesellschaften
International gibt es schon lange den Trend, Beeinflussungen der Wissenschaft zu vermeiden und Interessenkonflikte klar zu benennen. Den deutschen medizinischen Fachgesellschaften wird nun vorgeworfen, sie würden die Zusammenarbeit mit der Industrie geradezu als „natürliche Symbiose“ darstellen und die Nachteile, die für Patienten entstehen, verschweigen. Noch dazu hätten sie kein Problembewusstsein dafür, wie abhängig sie bereits vom Geld der Industrie seien.
Die Kritik kommt von den Organisationen Transparency Deutschland, Leitlinienwatch und MEZIS („Mein Essen zahl‘ ich selbst“) und richtet sich an die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Diese hatte zwei Positionspapiere zur Zusammenarbeit mit der Industrie veröffentlicht, die deutliche Reaktionen hervorrufen.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), selbst AWMF-Mitglied, schließt sich der Kritik an. Sie meint, die AWMF gebe sich mit einem „verharmlosenden Formelkompromiss“ zufrieden. Es werde Transparenz gefordert und versprochen, jedoch nichts gegen die „Manipulation durch Pharmawerbung“ bei Fortbildungen unternommen. Es sei belegt, dass durch Sponsoring finanzierte Veranstaltungen von Teilnehmern nicht als Werbung erkannt würden – selbst wenn Interessenkonflikte deklariert würden. Pharmasponsoring könne die Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig gefährden.
Die AWMF entgegnet nun in einer Stellungnahme, Interessenkonflikte zwischen wissenschaftlicher Medizin und der Industrie seien unvermeidbar. Man müsste dafür auf Austausch verzichten – und dies sei mit Blick auf die Weiterentwicklung der Behandlungsmöglichkeiten nicht erstrebenswert. Die DEGAM regt an: „Wer wissenschaftlichen Austausch mit der Pharmaindustrie sucht, sollte sich direkt an die Abteilung Forschung und Entwicklung wenden, die typischerweise auf den Kongressständen nicht vertreten ist.“
An der Kofinanzierung von Fortbildungen und Kongressen führt aus Sicht der AWMF für viele Fachgesellschaften kein Weg vorbei. Wichtiger sei es daher, Interessenkonflikte jeder Art durch ein standardisiertes Regelwerk sichtbar zu machen und wissenschaftliche Neutralität zu sichern. Die Arbeitsgemeinschaft sehe ihre Aufgabe darin, solche Regelwerke zu definieren. Maximalforderungen oder gar eine „unterschwellige Kriminalisierung“ würden dabei nicht helfen. Denn sie würden dort, wo eine Kooperation zwischen Medizin und Industrie notwendig ist, eine offene Kontaktaufnahme behindern. Der Umgang mit Interessenkonflikten müsse immer wieder neu beleuchtet und ggf. gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden.
Transparency Deutschland, Leitlinienwatch und MEZIS sehen das anders. Sie wollen eine gesetzliche Regulierung, die die Geldflüsse aller Akteure im Gesundheitswesen offenlegt. Zusätzlich haben sie sechs Forderungen formuliert.
Die Forderungen der Transparenz-Organisationen
- neben allgemein akzeptierten gemeinsamen Interessen von Medizin und Industrie gleichwertig gegensätzliche Interessen und mögliche Risiken benannt werden. Die Ärzteschaft sei für das umfangreiche Beeinflussungs-Repertoire der Pharmakonzerne zu sensibilisieren.
- sämtliche Interessen und daraus mögliche Interessenkonflikte der beteiligten Mediziner in den entsprechenden Publikationen veröffentlicht und vor allem „selbst und fremd bewertet“ werden.
- Sachverständige mit Interessenkonflikten grundsätzlich von Leitliniengremien ausgeschlossen werden. Im Ausnahmefall sei zu begründen, weshalb nicht auf Autoren mit Industriekontakten verzichtet werden konnte.
- gezielt darauf hingearbeitet wird, Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen ohne die finanzielle Unterstützung der Industrie durchzuführen.
- Stände der pharmazeutischen Industrie bei Kongressen auf das für die Informationsvermittlung sinnvolle Maß begrenzt werden. Überdimensionierte Marketing-Auftritte führten dazu, dass weniger finanzkräftige, aber dennoch wichtige Anbieter und Verbände nur am Rande wahrgenommen würden.
- auf eine ärztliche Fortbildung durch Herstellerfirmen („Industriesymposien“) völlig verzichtet wird.
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