Was ist meine Praxis wert – und wie viel bekomme ich tatsächlich dafür?
Falls Sie am liebsten eine handliche mathematische Formel hätten, mit der sich schnell und zuverlässig der Wert Ihrer Praxis berechnen lässt: So etwas gibt es leider nicht. Es gibt auch keine rechtlich verbindliche Methode zur Ermittlung des Praxiswerts. In der Bewertungspraxis durchgesetzt hat sich allerdings das modifizierte Ertragswertverfahren. Die darin verankerten Grundsätze entsprechen der herrschenden Meinung in Betriebswirtschaft und Rechtsprechung.
Grundsätzlich lässt sich festhalten: Der Praxisgesamtwert ergibt sich aus der Summe des materiellen und des immateriellen, also ideellen Praxisvermögens. Beim materiellen Praxisvermögen handelt es sich um den Fortführungszeitwert des zum Bewertungsstichtag vorhandenen betriebsnotwendigen Praxisvermögens, also z.B. medizinisch-technische Geräte.
Der ideelle Wert repräsentiert dagegen das zukünftige Erfolgspotenzial der Praxis, also quasi den Erfolg, den ein typischer fiktiver Praxisübernehmer in der Zukunft mit der Praxis erzielen könnte. Die prognostizierten künftigen Erträge werden dabei mittels eines Kapitalisierungszinssatzes auf den Bewertungsstichtag abgezinst, um den Barwert (Gegenwartswert) der künftigen Ertragskraft zu erhalten.
Ein – etwas vereinfachtes – Beispiel kann die Bewertungsmethode erläutern. Die Musterpraxis könnte etwa einen prognostizierten künftigen Jahreserfolg von 300 000 Euro haben (übertragbare Einnahmen abzüglich übertragbare Ausgaben). Der kalkulatorische Arztlohn berechnet sich über ein fiktives Bruttogehalt, das ein niedergelassener Arzt in einem Anstellungsverhältnis erzielen könnte, könnte bei 100 000 Euro liegen. Der Einkommenssteuersatz beträgt 35 %, der Kapitalisierungszinssatz 4,5 %, was der Rendite einer im Vergleich zur Praxisinvestition gleichartigen Alternativinvestition entspricht. Den materiellen Wert der Praxis belegen wir im Beispiel mit 40 000 Euro.
Auch die Person des Abgebers spielt zunächst eine Rolle
Zwar zeichnen sich Arzt- und Zahnarztpraxen über diese genannten Werte hinaus häufig auch durch bestimmte immaterielle Faktoren aus, die durch die prägende Tätigkeit des jeweiligen Arztes bedingt ist. Da im Rahmen des modifizierten Ertragswertverfahrens von einem fremden bzw. anderen Arzt auszugehen ist, verbrauchen sich die personengebundenen immateriellen Faktoren und stehen nur zeitlich begrenzt zur Verfügung. Im vorliegenden Beispiel gehen wir für die Ermittlung des ideellen Praxiswerts von einem Verflüchtigungszeitraum von drei Jahren aus.
Kalkulation des Praxiswerts einer „Musterpraxis“ | ||||
---|---|---|---|---|
So setzt sich der Praxiswert zusammen | Jahr 1 | Jahr 2 | Jahr 3 | |
Prognostizierter zukünftiger Jahreserfolg | 300 000 | 300 000 | 300 000 | |
Kalkulatorischer Arztlohn | -100 000 | -100 000 | -100 000 | |
Zukünftiger Jahreserfolg nach kalkulatorischem Arztlohn | 200 000 | 200 000 | 200 000 | |
Ertragssteuern 35% | -70 000 | -70 000 | -70 000 | |
Zukünftiger Jahreserfolg nach Steuern | 130 000 | 130 000 | 130 000 | |
Barwertfaktor (bei Kapitalisierungszins von 4,5%) | 0,957 | 0,916 | 0,876 | |
Barwert | 124 402 | 119 045 | 113 919 | |
Ideeller Wert | 357 365 | |||
Materieller Wert | 40 000 | |||
Praxiswert | 397 365 |
Aus der vorliegenden Bewertung würde sich also ein Praxiswert in Höhe von 397 365 Euro ergeben. Die prognostizierten zukünftigen Erträge sind dabei um den kalkulatorischen Arztlohn zu kürzen, um zu berücksichtigen, dass der Übernehmer seine Arbeitskraft nicht mehr alternativ verwerten kann.
Der errechnete Wert entspricht dem Praxiswert ohne Berücksichtigung der Wertbeiträge aus der steuerlichen Praxiswertabschreibung. Denn der ideelle Praxiswert kann steuerlich abgeschrieben werden, wodurch sich steuerliche Entlastungen und damit positive Wertbeiträge ergeben. Nach Berücksichtigung der steuerlichen Wertbeiträge aus der Praxiswertabschreibung ergibt sich somit ein insgesamt erhöhter Praxiswert.
Der Kaufpreis entspricht selten dem Praxiswert
Wichtig ist, präsent zu haben, dass sich der Praxiskaufpreis meistens vom Praxiswert unterscheidet. Das Preisbildungsgeschehen wird unter anderem von den Verhandlungsstrategien der Parteien und vom regionalen Angebot und der Nachfrage bestimmt.
Beim Kauf bzw. Verkauf von Arztpraxen besteht die Herausforderung oftmals darin, dass weder Käufer noch Verkäufer eine realistische Wertvorstellung von dem Praxiswert haben. Oft ist sie beim Verkäufer unrealistisch hoch, weil sie mit Emotionen verbunden ist – schließlich verkauft er so etwas wie sein Lebenswerk, in dem viel Herzblut und Mühe drin liegt. Demgegenüber steht das gleichermaßen verständliche Interesse des Käufers, die Praxis kostengünstig zu erwerben.
Wie lassen sich die Interessen möglichst neutralisieren?
Helfen kann dann oft ein Sachverständiger für die Bewertung von Arztpraxen, der auf dem gutachterlichen Weg einen neutralen Praxiswert ermittelt. Er beurteilt über die genannten „Grundrechenarten“ hinaus z.B. das Marktumfeld, die Steuerwirkung und wie lange im konkreten Fall der Ergebniszeitraum anzusetzen ist.
Die allgemeine Bezeichnung „Sachverständiger“ ist allerdings nicht rechtlich geschützt. Es können also auch weniger qualifizierte Personen als solche auftreten. Hilfreich kann es sein, auf die öffentliche Bestellung und Vereidigung (ö.b.v.) des Sachverständigen zu achten. Hierzu gibt es auch ein Verzeichnis bei der Industrie- und Handelskammer.
Medical-Tribune-Bericht