Stressmanagement Entspannt bleiben!

Praxisführung Autor: I. Bohmann

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Hausärzte erleben Dauerstress und seine Folgen nicht nur an ihren Patienten. Oft ist auch die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit bedroht. Doch Stress und seine Auslöser kann man managen.

Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge bereitet unbewältigter Dauerstress den Boden für einen Großteil aller Krankheiten. Daher verwundert es nicht, dass die WHO dieses Thema zur Herausforderung des 21. Jahrhunderts erklärt hat. Der gesamtwirtschaftliche Schaden durch Produktionsausfall, medizinische Behandlung, Krankengeld oder Rentenzahlungen ist immens. Hausärzte erleben die Folgen von Dauerstress nicht nur an den Patienten. Oft ist auch die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit bedroht.

Stress macht krank

Dem adäquaten Umgang mit der starken Beanspruchung, die mit den verantwortungsvollen und manchmal auch frustrierenden Aufgaben in der Hausarztpraxis verbunden sein können, wird selten Beachtung geschenkt. Daher ist das Thema in doppeltem Sinne relevant für die Hausarztpraxis. Prädestinierende Faktoren sind z. B. Arbeitsverdichtung, ständige Erreichbarkeit, Reiz- und Informationsüberflutung, Konkurrenzkampf, erwartete Mobilität, prekäre Arbeitsverhältnisse und mangelnde Wertschätzung. Aber auch Arbeitslosigkeit, Unterforderung (Boreout) und erlebte Minderwertigkeit können krank machen. Soziale Beziehungen nehmen in Zeiten der Globalisierung quantitativ und qualitativ ab. Virtuelle Kontakte können echte Begegnungen nicht ersetzen. Auch dadurch sinkt die Lebensqualität, und das Gefühl von Sicherheit, Verbundenheit, Stimmigkeit und Sinn nimmt ab. Negative Emotionen herrschen dann vor. Den Begriff „Stress“ hat Hans Selye 1936 in die Medizin eingeführt. Auf Belastungen aller Art reagiert der Körper mit der Ausschüttung von Cortisol und Katecholaminen. Diese evolutionäre Reaktion versetzt uns in die Lage, rasch und adäquat auf Anforderungen zu reagieren, und kann damit überlebenswichtig sein, auch wenn uns heute kein Säbelzahntiger mehr begegnet. Das Adaptationssyndrom ist also eine gesunde Reaktion. Problematisch wird es, wenn Leistungsfähigkeit und Anforderungen nicht in Balance sind oder auf starke Beanspruchung keine Erholung folgt. Dann entsteht oft ein Teufelskreis, der sich in allen Lebenskontexten negativ auswirkt und die Gesundheit bedroht. Bewegungsmangel wirkt als Katalysator.

Stress-Resistenz lernen

Da chronischer Stress individuell und ganzheitlich erlebt wird, gibt es kein Standardrezept zum Umgang damit, aber Lösungsansätze auf verschiedenen Ebenen. Nicht alle, die mit gestiegenen Leistungsanforderungen und komplexerer und schnellerer Arbeitswelt konfrontiert sind, fühlen sich gestresst. Persönlichkeitsfaktoren und Copingstrategien (Bewältigungsstrategien) spielen für die Stresskompetenz eine entscheidende Rolle. Um mit dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky zu sprechen: Ein ausgeprägter Kohärenzsinn bewirkt eine gute Stressresistenz und wirkt sich damit günstig auf die Gesundheit aus. Menschen mit einem hohen Kohärenzsinn schätzen die eigenen Möglichkeiten realistisch ein, akzeptieren Unveränderliches (Restriktionen) und wählen aus einem großen Repertoire an Lösungsalternativen die situativ optimale aus. Man könnte sie als lebenskompetent bezeichnen. Die Begriffe „Kohärenzsinn“ und „Resilienz“ werden oft synonym verwendet. Es geht um die Fähigkeit, Widrigkeiten und Herausforderungen zu meistern und an ihnen sogar zu wachsen. Nach dem Neurobiologen Gerald Hüther bewirkt jede gemeisterte Herausforderung neue Bahnen und Vernetzungen im Gehirn. Dopamin- und Serotoninausschüttung ist mit positiven Emotionen verbunden. Dabei kommt es nicht darauf an, nur eigene Ressourcen zu nutzen. Das Vertrauen auf die Unterstützung durch andere oder der Glaube an eine schützende höhere Macht können ebenfalls hilfreich sein. Welche Lösungswege gibt es nun, oder: Wie kann der Kohärenzsinn gestärkt werden? Die Fähigkeit, sich gut und gesund durch den Alltag zu steuern, kann man zum Glück lernen. Da die Entstehung von Dauerstress ein individuelles, ganzheitliches Geschehen ist, kann auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden.

Stressoren meiden

Zunächst ist zu entscheiden, was als Stressor erlebt wird. Hier kommt die subjektive Wahrnehmung und Bewertung ins Spiel. Was für den einen Menschen „Stress“ bedeutet, kann für einen anderen irrelevant sein oder sogar „Flow“ bedeuten, ein Begriff des Glücksforschers Mihaly Csikszentmihalyi.

Flow bedeutet das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit und ist immer mit Anstrengung verbunden. Flow kann nicht nur bei Hobbys wie Bergsteigen oder Klavierspielen erlebt werden, sondern auch bei geistiger oder handwerklicher Tätigkeit im Arbeitskontext. Flow-Erleben kann z. B. durch folgende Frage erfasst werden: „Bei welcher Tätigkeit vergessen Sie alles um sich herum?“ Wenn ein Stressor identifiziert ist, wird nach dem Kognitionspsychologen Richard Lazarus zunächst entschieden, ob die Copingstrategien zur Bewältigung ausreichen. Wenn dies bejaht werden kann, besteht kein weiterer Handlungsbedarf. Ansonsten sollte geprüft werden, ob der Stressor umgangen werden kann. So könnte jemand, der an einer verkehrsreichen Straße wohnt und den Lärm nicht ausblenden kann, umziehen. Oder die Stelle wechseln, wenn das Betriebsklima nicht stimmt und die eigenen Werte in der Firma nicht gelebt werden können. Nicht immer lässt sich ein Stressor vermeiden. Wenn die äußeren Verhältnisse kurzfristig nicht zu ändern sind, kann man Haltung und Verhalten ändern.

Die eigene Haltung und Einstellung zu ändern klingt einfach, ist aber nicht unbedingt leicht. Ein Beispiel: Ein Familienvater braucht seinen aktuellen, als stressig erlebten Job, um seine Familie zu ernähren. Sich bewusst zu machen, wofür er arbeitet, was er damit sicherstellt, schafft schon eine gewisse Distanz. Stützende Glaubenssätze oder ein positives Lebensmotto können die Stressresistenz eines Menschen steigern. Darüber hinaus können Strategien auf körperlicher, mentaler, arbeitsorganisatorischer und sozialer Ebene die Stresskompetenz erhöhen und damit die körperliche und psychische Gesundheit erhalten.

Entspannungstechniken

Als langfristige, unspezifische Strategie ist die Senkung des allgemeinen Erregungsniveaus sinnvoll. Dies kann auf vielen Wegen geschehen. Hier leisten die Progressive Muskelrelaxation und das Autogene Training nach wie vor gute Dienste. Als wirkungsvoll haben sich auch das Achtsamkeitstraining nach dem Verhaltensmediziner Jon Kabat-Zinn – ein Programm zur Stressbewältigung durch gezielte Lenkung von Aufmerksamkeit – und bestimmte Formen der Meditation erwiesen. Unterstützend wirken Sportarten und Hobbys, die Spaß machen. Und da der Mensch ist, was er isst, spielt auch die Ernährung eine Rolle. Dabei ist nicht nur wichtig, was man isst, sondern auch, wie man isst: bewusst, in Ruhe, mit Genuss und zumindest gelegentlich in Gesellschaft.

Das beste Mittel gegen chronischen Stress ist die innere Klarheit über die eigenen Stärken, Werte und Lebensziele. Wer seinem Leben einen Sinn geben kann, den wirft so schnell nichts aus der Bahn. Wer in einer Sinnkrise steckt und diese nicht im sozialen Umfeld lösen kann, sollte sich nicht scheuen, rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oft ist der Allgemeinmediziner der Ansprechpartner für Hilfesuchende. Ein wertschätzendes und einfühlsames Gespräch kann manchmal Wunder wirken. So hat der Hausarzt, der seine Patienten, deren Lebensumfeld und die Angebote vor Ort am besten kennt, viele Möglichkeiten, Anregungen zur Stressresistenz und damit zur Wiederherstellung oder zum Erhalt der Gesundheit zu geben.

Das Salutogenesemodell von Aaron Antonovsky

Der Kohärenzsinn ist eine Grundhaltung, die sich aus folgenden drei Komponenten zusammensetzt:Gefühl von Verstehbarkeit: Inwieweit verstehe ich, was mit mir und in meinem Umfeld geschieht?Gefühl von Handhabbarkeit: Habe ich selbst Einfluss auf dieses Geschehen? Kann ich meine Lebensumstände selbst mitgestalten oder muss ich sie passiv über mich ergehen lassen (Selbstwirksamkeit)?Gefühl von Sinnhaftigkeit, Bedeutsamkeit: Kann ich meinem Leben und dem, was um mich herum geschieht, einen Sinn zuordnen? Ist es wert, dafür Energien und Ressourcen einzusetzen?

Möglichkeiten zur Stressbewältigung

  • Reizmanagement: Stressoren erkennen und wo möglich vermeiden oder entschärfen
  • Erregungsmanagement: Das individuelle Erregungsniveau durch gezielte, regelmäßige Entspannung senken
  • Selbstmanagement: Stärkung von Selbstvertrauen und Selbststeuerung
  • Achtsamkeit: Bewusst und gelassen betrachten, was gerade geschieht
  • Fokussierung auf Kompetenzen und Lösungen
  • Klare Werteverankerung
  • Zeitmanagement, Arbeitsorganisation
  • Genusstraining
  • Unterstützende Strategien: Bewegung, soziale Unterstützung, ausgewogene Ernährung, kognitive Techniken
Kontakt
Dr. med. Irmgard Bohmann
Institut für persönliche Entwicklung und Gesundheit
www.bohmann.de

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (2) Seite 18-21
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.