Der Diabetes-Patient Was muss die MFA wissen?
Diabetes ist eine chronische Erkrankung, die nicht zu heilen ist. Da Diabetes nicht wehtut, wird er häufig von den Patienten gar nicht als Krankheit beachtet. Die positive Seite: An Diabetes mellitus selbst stirbt man in der Regel nicht, eher an den Folgeerkrankungen. Damit diese erst gar nicht auftreten, kann der Patient sehr viel selbst tun. Die Praxisteams können den Patienten aktiv unterstützen, indem sie seine Eigeninitiative wecken und stärken – etwa zum Besuch von Patientenschulungen zum Thema Typ-2-Diabetes. Was der Patient dort lernt, sollte der Mindeststandard an Wissen für eine MFA in der Hausarztpraxis sein.
Was heißt „Diabetes“?
Diabetes ist griechisch und bedeutet „hindurchfließen“. Mellitus ist lateinisch und steht für „honigsüß“. Die Übersetzung lautet also „honigsüßer Durchfluss“ und beschreibt das ursprüngliche Diabetes-Hauptsymptom, die Ausscheidung von Zucker im Urin. Im 17. Jahrhundert wurde der honigsüße Geschmack im Urin noch durch die „Finger-Schleck-Probe“ erkannt. Zum Glück für uns MFAs gibt es dafür heute zuverlässige Urinteststreifen. Im 18. Jahrhundert wurde erstmals die Bauchspeicheldrüse in Zusammenhang mit Diabetes mellitus gebracht. Im 19. Jahrhundert entdeckten Forscher im Extrakt aus Kälberpankreas das Gewebe der Inselzellen, die Langerhansschen Inseln. Daraufhin wurde in einem Experiment Hunden das Pankreas entfernt. Das Ergebnis war, dass die Hunde an Diabetes erkrankten. Erst im 20. Jahrhundert wurden die „Inseln“ als Produktionsstätten blutzuckersenkender Substanzen erkannt, nämlich des Hormons Insulin. Erst im 21. Jahrhundert wurden langwirkende und schnellwirkende Analoginsuline auf den Markt gebracht.
Ein Patient, der an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt ist, hat meist ein Problem mit Übergewicht, zudem bildet seine Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin. Nicht jeder Typ-2-Diabetiker ist übergewichtig, aber 80 % der Erkrankten haben auch eine Adipositas. Jetzt wäre es für die kompetente MFA hilfreich zu wissen, wie Insulin die Energie aus unserer Nahrung „zaubert“. Das Bauchspeicheldrüsenhormon sorgt dafür, dass der Zucker aus den Kohlenhydraten über die Blutbahn zu den Zellen gelangt. Kohlenhydrate aus der Nahrung werden mit Hilfe von Verdauungsenzymen gespalten und in Glukosebausteine zerlegt. Das Insulin öffnet die Zellen und ermöglicht so die Aufnahme von Glukose. Ein Teil der Glukose wird in Glykogen umgewandelt und, in Leber- und Muskelzellen gespeichert, bei Bedarf wieder in Glukose zurückgebaut. Kombiniert mit der Adipositas ist dies natürlich eine Doppelbelastung: Die Bauchspeicheldrüse bildet auf der einen Seite zu wenig Insulin, auf der anderen Seite brauchen vermehrte Fettzellen mehr Insulin.
Wie kommt Zucker in den Urin?
Damit sind wir beim Stichwort Nierenschwelle – einer sehr intelligenten Funktion des Körpers. Die Niere hat eine eingebaute „Schranke“, die bei zu hohem Zuckergehalt im Blut diesen überschüssigen Zucker herausfiltert und über den Urin ausscheidet – allerdings erst ab einem Blutzuckerspiegel von ca. > 170/180 mg/dl. Die Ausscheidung von Zucker im Urin ist also ein Hinweis auf zu hohen Zucker im Blut. Jetzt könnte der Patient glauben, der erhöhte Zucker sei eigentlich kein Problem, „denn die Niere macht das schon“. Dem ist entgegenzusetzen, dass diese Schwelle erst ab ca. 170/180 mg/dl greift, dass die Niere dieser Aufgabe auf Dauer nicht gewachsen ist und dadurch sogar Schaden nimmt. Eine Untersuchung, die wir für die Überprüfung eines Nierenschadens regelmäßig (quartalsweise) durchführen, ist z. B. der Micraltest. Das ist eine Untersuchung mit Hilfe eines Urin-Sticks auf Mikroalbuminurie, d. h. auf kleinste Eiweißteilchen im Urin, die erst dort hingelangen, wenn die Niere bereits Schaden genommen hat. Viele Kolleginnen führen diesen Test im Labor mehrmals täglich durch, sind sich aber nicht bewusst, was sie da eigentlich messen. Ein Patient, der sich um seinen Diabetes kümmert, könnte aufgrund des Eintrags in seinem blauen Diabetes-Gesundheitspass durchaus die Frage stellen, was „Mic“ bedeutet.
Blutzuckerwerte
Der normale Bluzuckerwert liegt bei 90 – 120 mg/dl, wobei die Zielwerte abhängig sind von Nebendiagnosen und biologischem Alter. Von einer Hyperglykämie (Überzuckerung) sprechen wir bei Werten von nüchtern >110 mg/dl bzw. nach dem Essen >140 mg/dl. Die Hypoglykämie (Unterzuckerung) beginnt bei Blutzuckerwerten <50 mg/dl. Die laborchemische Diagnose für Diabetes mellitus liegt bei folgenden Werten:
- Spontanblutzuckerspiegel ≥200 mg/dl,
- Nüchternblutzuckerwerte ≥126 mg/dl,
- Erhöhung des 2-Std.-Wertes im oralen Glukosetoleranztest auf ≥200 mg/dl (Werte im venösen Plasma gemessen). Die Werte sollten in einer Wiederholungsbestimmung überprüft werden.
Was sagt eigentlich das HbA1c aus?
Der HbA1c-Wert wird auch als Langzeit-Blutzucker oder Blutzuckergedächtnis bezeichnet. Hb steht für roten Blutfarbstoff, an den sich die Glukose bindet. Er ist ein Maß für den mittleren Blutzuckerwert der letzten acht Wochen.
Gar kein Zucker für den Diabetiker?
Es gibt langsame und schnelle Zucker. Der Fabrikzucker ist ein künstlicher Zucker, geht schnell ins Blut und sollte eher vermieden werden, der Fruchtzucker hingegen ist ein pflanzlicher Zucker und sollte eher bevorzugt werden.
Klassifikation des Diabetes mellitus
Typ I: absoluter Insulinmangel durch Pankreasinsuffizienz oder Antikörper-Bildung gegen das Hormon
Typ II: Insulinresistenz (vermindertes Ansprechen der Zellen des menschlichen Körpers auf das Hormon Insulin, vor allem die Muskulatur, die Leber und das Fettgewebe reagieren weniger empfindlich gegenüber Insulin) oder gestörte Insulinausschüttung
Gestationsdiabetes, GDM oder Typ-4-Diabetes: erstmaliges Auftreten in der Schwangerschaft
Risikofaktoren: Übergewicht, ein Alter über 30 Jahre, erbliche Vorbelastung
Die Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes beginnen mit der Fettverteilung im Körper. So ist der „Apfeltyp“ (Fettansammlung am Bauch) gefährdeter als der „Birnentyp“ (Fettansammlung um Hüfte/Po). Diabetes wird auch im Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom gesehen. Dabei spielen vier Faktoren eine Rolle: Fettleibigkeit, Hypertonie, erhöhte Blutfettwerte und Insulinresistenz – klassische Zeichen für Überernährung und Bewegungsmangel. Gerne werden diese als „tödliches Quartett“ bezeichnet und als der entscheidende Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten gesehen. Häufig ergibt sich die Diagnose „Diabetes mellitus Typ 2“ als Zufallsbefund beim Gesundheits-Check. Typische Symptome, die uns Patienten mitunter nebenbei am Empfang mitteilen, sind vermehrter Durst, schlechte Wundheilung, Harndrang, Müdigkeit. Nur wenn wir uns als MFA der Bedeutung dieser Symptome bewusst sind, werden wir diese wichtige Info an den Arzt weitergeben.
Folgeerkrankungen vermeiden
Diabetes-Folgeerkrankungen betreffen Augen, Nieren, Nerven und Gefäße. Als Prophylaxe für die Entstehung von Folgeerkrankungen sollten wir unseren Patienten mit auf den Weg geben, dass die eigenständige Fußpflege und Fußinspektion, die regelmäßige Untersuchung beim Augenarzt und der vierteljährliche Besuch beim Hausarzt zur Kontrolle von Blutwerten, Urin, Reflex- und Fußstatus wichtige Bausteine sind. Die Folgeerkrankungen entstehen durch zu viel Zucker in den Blutbahnen, die Gefäße leiden durch Ablagerung, Schädigung und Verengung.
Diabetes-Therapie
Als Therapie gibt es drei Möglichkeiten, die auch kombiniert gut einsetzbar sind:
- Ernährungsumstellung
- Orale Antidiabetika (Tabletten mit Wirkstoffen, die die Bauchspeicheldrüse anregen, mehr Insulin zu bilden)
- Insulin (Zuckertransport ins Gewebe)
Durch Gewichtsreduktion ist die Medikamenteneinnahme deutlich reduzierbar, manchmal kann man sogar ganz darauf verzichten. Außerdem reduziert sich auch das Risiko von Folgeerkrankungen. Je jünger der Patient, desto wichtiger ist es, Übergewicht abzubauen und den HbA1c-Wert unter 7 zu bekommen. Je älter der Patient, desto weniger streng muss man mit Gewicht und HbA1c sein.▪
Tipps zum Insulin
- Insuline gehören in den Kühlschrank. Vor Gebrauch schwenken. Schnellere Insulinaufnahme: Injektion in den Bauch, langsamere Insulinaufnahme: Injektion in Oberschenkel und Gesäß.
- Richtig injizieren: Hautfalte bilden und senkrecht zur Hautoberfläche einstechen. Die Injektion erfolgt ins Unterhaut-Fettgewebe (s.c.). Regelmäßig die Spritzstelle wechseln!
Iris Schluckebier
Medizinische Fachangestellte und QM-Visitorin
59174 Kamen
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (1) Seite 26-27
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.