Über den Tellerrand schauen Wie Hausärzte von Apotheken profitieren können

Praxisführung Autor: Yvonne Emard

© Pavlo Syvak - stock.adobe.com

Die Adler-Apotheke von Johannes Jaenicke im rheinland-pfälzischen Rhaunen ist seit Jahrzehnten ein Familienbetrieb. Den Lebensbedingungen auf dem Land ist es zu verdanken, dass die Apotheke in den letzten Jahren den Service der Medikamentenverblisterung für die Bewohner etabliert und so professionalisiert hat, dass mittlerweile ganz Deutschland mit verblisterten Tabletten aus Rhaunen beliefert wird. Inwieweit auch Hausärzte von dem Verblisterungs- und

Rezeptservice der Apotheke profitieren können, erklärt Jaenicke im Interview mit doctors|today.

doctors|today: Herr Jaenicke, mitten im ländlich-idyllischen Hunsrück ist Ihre Apotheke angesiedelt, die mit über 40 Mitarbeitenden wöchentlich über 1.000 Kunden bedient und beliefert – und zwar deutschlandweit. Wie ist es zu dieser unternehmerischen Entwicklung gekommen?

Jaenicke: Das System, so wie wir es jetzt betreiben, ist seit über 20 Jahren gewachsen. Damals entstand es aus einem Bedürfnis zunächst einiger weniger Familien, in denen die älteren Verwandten pflegebedürftig, aber ohne Heimplatz zu Hause lebten und die Pflege von den eigenen Kindern übernommen wurde. Nicht selten haben wir hier im sehr ländlichen Bereich die Konstellation, dass die Kinder der zu pflegenden älteren Menschen mittlerweile in der weiter entfernten Stadt wohnen, was die Pflegesituation erschwert. Immer häufiger kamen Kunden mit der Frage auf uns zu, ob wir nicht Tages- oder Wochendosetten mit der Medikation der pflegebedürftigen Eltern zusammenstellen könnten. Diesem Versorgungsproblem haben wir uns angenommen, zunächst im Kleinen. Jetzt – 20 Jahre später – nehmen über 1.000 Kunden pro Woche sogar deutschlandweit unser Angebot der Verblisterung von Medikamenten in Anspruch. Mittlerweile arbeiten wir natürlich maschinell und professionell im großen Reinraum mit hohen Sicherheitsstandards.

doctors|today: Ein zentraler Aspekt Ihrer Arbeit besteht also in der Verblisterung der Medikamente. Wie kann man sich den Weg von der Verordnung durch den Arzt bis zur individuellen Blisterpackung in der Hand des Patienten vorstellen?

Jaenicke: Der Arzt stellt dem Patienten die Rezepte und einen Dosierplan aus und wir gehen diesen zusammen mit dem Patienten durch und schauen, was davon verblistert werden kann und welches Blisterintervall sich anbietet – je nach Empfindsamkeit der Tabletten und Einnahmeintervall. Dementsprechend erhalten die Kunden dann automatisch bis auf Widerruf einmal pro Woche oder alle zwei Wochen ihre Medikation verblistert per Post und müssen sich um nichts weiter kümmern. Vor allem geraten keine Tabletten mehr durcheinander, denn die Verwechslungsgefahr ist bei der Einnahme mehrerer Medikamente ja nicht ganz klein.

doctors|today: Für die Patient:innen ist das ein wertvoller Service. Aber wo liegen die Vorteile für die behandelnden Hausärzt:innen?

Jaenicke: Es gibt mehrere Punkte, die zu einer Entlastung des Arztes beitragen. Zunächst geht es um die Verlässlichkeit der Medikamenteneinnahme. Nicht selten wundern sich Hausärzte, warum sich z.B. Blutdruck oder Blutzuckerspiegel unter einer bestimmten Medikation nicht verbessern. Hier stellt sich oft die Frage, ob die Patienten die Medikation korrekt einnehmen und den Dosierplan verstanden haben. Nicht nur, dass sich der Arzt durch die Verblisterung darauf verlassen kann, dass sein Patient genau den Dosierplan erhält, den er angesetzt hat, und sich die Gefahr z.B. von Doppelmedikation deutlich verringert. Wir sehen darüber hinaus durch die Verblisterung auch eine bessere Compliance bei den Patienten. Hierdurch und durch eine Reduzierung von Medikationsfehlern aufgrund des kontrollierten Dosierplans zeigt sich übrigens auch eine Verringerung der Krankenhausaufenthalte. Ebenso verschieben sich Umzüge ins Pflege- oder Altenheim nach hinten, weil die Patienten länger zu Hause bleiben können. Dies kann auch für den Arzt relevant sein, da der Patient – je nach Lage des Heims – auch länger Bestandspatient in der Praxis bleiben kann.

doctors|today: Das sind die "menschlichen Vorteile" Ihres Services. Gibt es auch wirtschaftliche Vorteile für die Hausärzt:innen?

Jaenicke: Ein wichtiger wirtschaftlicher Vorteil liegt darin, dass wir mit der Verblisterung auch das Rezeptmanagement übernehmen. Das heißt, wenn Patient X täglich eine Blutdrucktablette nehmen muss, verblistern wir 7 Tabletten pro Woche und wissen, dass die verordnete Packung 100 Tage reicht. Wir haben alle Medikamente eines Patienten im Blick und koordinieren die Bestellung der Folgerezepte beim behandelnden Arzt. Auf diese Weise können wir die Rezeptanforderungen aller Kunden, die bei demselben Arzt in Behandlung sind, bündeln. Nicht selten haben multimorbide Patienten mehrere Praxis-Kontakte pro Monat wegen Rezeptanforderungen einzelner Medikamente, und das bindet viel Praxispersonal und Zeit. Indem wir das Rezeptmanagement übernehmen, wird der Patientenfluss in der Praxis geregelter, transparenter und die Rezeptanfragen kommen gebündelt. Falls gewünscht, können sogar feste Tage für den Eingang der Rezeptanforderung vereinbart werden. Dadurch, dass dieser Prozess organisierbarer wird, erreichen wir eine Entlastung der Vor-Ort-Praxis bei gleichzeitig positivem Nutzen für die Patienten.

doctors|today: Die Initiierung dieses Services und auch die Kostenübernahme liegen aber bei der Patient:in?

Jaenicke: Ja genau, der Patient entscheidet über die Verblisterung und trägt die Kosten als IGeL-Leistung. Ein Angebot, für das die Krankenkasse die Kosten übernimmt, ist die Medikationsanalyse, bei der uns der Patient alle Medikamente inkl. möglicher Nahrungsergänzungsmittel vorlegt und wir genau schauen, wie passt das zusammen und gibt es mögliche Interferenzen. Wichtig hierbei ist uns aber immer, dass der Patient mit dem Ergebnis der Analyse nicht verunsichert wird.

doctors|today: Gibt es weitere Serviceangebote, die für Hausärzt:innen in der Zusammenarbeit mit Ihnen als Apotheker interessant sein könnten?

Jaenicke: Je nach Offenheit und Interesse des Arztes können wir sogenannte Empfehlungsbriefe ausstellen. Da uns die Medikationspläne der Patienten vorliegen, können wir aus der Sicht des Apothekers schauen, ob es z.B. Optimierungsmöglichkeiten gibt bezüglich Medikamenteninteraktion, Einnahmezeitpunkt oder besserer Eignung eines Medikaments für das entsprechende Alter oder Geschlecht. Wir greifen selbstverständlich nicht in die grundsätzliche Therapie ein, sondern bieten einfach eine zusätzliche Meinung und konkrete Empfehlung, was man theoretisch optimieren könnte. Wir haben bereits viele sehr gute Kontakte zu Hausarztpraxen und stehen gerne im Austausch. So profitieren alle: die Ärzte, die Patienten und die Apotheken.

Das Interview führte Yvonne Emard

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (7) Seite 52-53
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.