Schmerzmedikation Kritische Kombinationen verordnet

Verordnungen Autor: Cornelia Kolbeck

In der Schmerztherapie können bestimmte Medikamentenkombinationen verheerende Folgen haben. In der Schmerztherapie können bestimmte Medikamentenkombinationen verheerende Folgen haben. © Dmitry – stock.adobe.com

Auf besonders kritische Medikamentenkombinationen in der Schmerztherapie macht die Barmer im aktuellen Arzneimittelreport aufmerksam. Die Ersatzkasse mahnt eine leitliniengerechte Behandlung und Beachtung von OTC-Präparaten an.

Betrachtet wurde im Arzneimittelreport 2023 anhand der Daten von sechs Millionen Barmer-Versicherten ohne Krebsdiagnose die ambulante medikamentöse Schmerztherapie. Wie sich zeigte, erhielt jede bzw. jeder dritte erwachsene Versicherte der Ersatzkasse im Jahr 2021 mindestens eine solche Behandlung. Verordnet wurden dabei vor allem nicht-opioide Wirkstoffe wie Ibuprofen, Metamizol und das NSAR Diclofenac. Knapp 6 % der Versicherten ohne Tumorerkrankung erhielten ein Opioid verschrieben. 

Als ein Problem schilderte Prof. Dr. Christoph Straub, Arzt und Vorstandsvorsitzender der Barmer, dass rund 526.000 Versicherte die NSAR trotz Herzinsuffizienz verschrieben bekamen. Medizinische Leitlinien rieten genau davon ab, weil schon ein nur kurzer Einsatz die Leistung des Herzens deutlich verschlechtern könne. 

Die riskante Einnahme von NSAR bei Herzinsuffizienz ist aber nicht das einzige im Report beschriebene Therapieproblem. Diese Arzneimittel sollten auch grundsätzlich bei eingeschränkter Nierenfunktion nicht eingesetzt werden. Der Report zeigt, dass der Anteil an Patientinnen und Patienten mit Niereninsuffizienz und einer Einnahme eines solchen NSAR in der Altersgruppe ab 80 Jahren 35-mal so hoch ist wie bei unter 65-jährigen. Für den Barmer-Chef birgt eine solche Verordnungspraxis ein völlig unnötiges Risiko für die Patienten: „Es kann und darf in Einzelfällen passieren, aber nicht in dieser Häufigkeit.“

Der Autor des Reports, Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I, Klinikum Saarbrücken, verweist auf eine bekannte Nebenwirkung von Opioiden: die Lähmung der Darmtätigkeit bis zum Darmverschluss. Leitlinienempfehlungen würden die prophylaktische Verordnung von Laxantien vorsehen. Die von ihm analysierten Daten der Barmer aber belegen, dass zwischen 300 und 870 stationäre Aufnahmen pro 100.000 Patienten mit Opioid-Therapie auftreten, weil die Patienten wegen eben dieser Nebenwirkungen stationär behandelt werden müssen. Drei von zehn Patienten würden also keine Laxanzien erhalten, schlussfolgert Prof. Grandt. Verordnung bedeute natürlich nicht gleich Einnahme, aber zumindest sei ja die Verordnung erst einmal erforderlich, damit überhaupt eingenommen werden könne. 

Je mehr Verordner, umso größer das Gefährdungsrisiko

Riskant wird es für Patienten auch, wenn sie Opioide und Tranquilizer kombinieren. Dabei besteht die Gefahr schwerer Nebenwirkungen bis hin zum Tod. Dennoch hat laut Report rund jeder zehnte Barmer-Versicherte (40.100 Personen) eine Opioid- und eine Beruhigungsmittelverordnung gleichzeitig erhalten. Patienten würden damit vermeidbar gefährdet, kritisiert Prof. Grandt.

Je größer die Anzahl verordnender Ärzte, desto höher ist laut Report das Risiko von Patientengefährdung durch Fehler beim Informationstransfer und der Behandlungskoordination. Drei von vier der Patienten mit Schmerztherapie hatten ihre Therapie durch mehrere Ärzte erhalten, jeder fünfte wurde von vier, fünf oder mehr Ärzten pa­rallel mit Schmerzmitteln behandelt. Nur 10 % der Schmerzpatienten erhielten ihre gesamte Arzneitherapie von nur einem Arzt. 

Hinzu kommt, dass Opioid-Patienten meist wegen weiterer Erkrankungen behandelt werden. Im Mittel sind es etwa 13 verschiedene chronische Erkrankungen schon zu Therapiebeginn. Prof. Grandt: „Und wenn man sich die Anzahl der Patienten mit Polypharmazie anschaut, dann ist es mehr als die Hälfte und bei den 80-Jährigen ist das noch mal deutlich stärker ausgeprägt.“

Schmerztherapie sei eigentlich immer eine komplexe Therapie und erfordere eine ausgewogene Risikoabwägung durch den Arzt, betonte der Autor. Es sei aber eine Reihe von Abweichungen von leitliniengerechter Therapie gefunden worden. Klassiker sei Metamizol, ein Arzneimittel, das immer häufiger benutzt werde, obwohl bereits 2009 die deutsche Zulassungsbehörde, das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) auf die Risiken noch einmal hingewiesen und den Einsatz noch einmal deutlich beschränkt habe. 

„Wir haben jetzt (…) tatsächlich aktuelle und belastbare Evidenz zur Verursachung der Agranulozytose, dieser lebensbedrohlichen Knochenmarkschädigung, erheben können“, berichtet Prof. Grandt. Pro Million Anwender von Metamizol gebe es etwa 40 stationäre Krankenhausaufnahmen wegen Agranulozytose. Diese Erkrankung würde vor allem im ersten Behandlungsjahr auftreten, man könne also nicht sagen, eine kurze Therapie mit Metamizol wäre eigentlich unproblematisch. 

Erhöht werde dieses Risiko noch durch die Kombination von Metamizol mit Methotrexat. Die Häufigkeit dieser kombinierten Verordnung liege bei 1 % aller Patienten, die Metamizol erhielten. Das sei nicht viel, könne man denken. Aber 24 % der stationär wegen Agranulozytose behandelten Patienten würden tatsächlich diese Kombination aufweisen.

Anteil Versicherter mit Erstverordnung Opioid, ausgestellt von Ärztin/Arzt in %

Fachgebiet

alle Altersgruppen

beide Geschlechter nach Altersgruppen in Jahren

gesamt

Männer

Frauen

18–64

65–79

80+

Hausarzt Allgemeinmedizin

42,6

42,4

42,7

40,5

43,4

49,4

Orthopädie

17,0

16,4

17,3

17,6

18,2

12,6

Hausarzt Innere Medizin

16,9

15,7

17,6

14,1

18,9

24,3

Chirurgie

7,2

7,9

6,8

8,4

6,5

4,1

Zahnheilkunde

6,3

7,7

5,6

8,7

3,8

1,6

unbekannt

3,6

4,1

3,4

4,2

3,0

2,7

Anästhesiologie

1,3

1,0

1,4

1,3

1,3

1,0

Neurologie

0,8

0,7

0,9

0,8

1,0

0,7

physikalische/rehabilitative Medizin

0,8

0,7

0,9

0,8

0,9

0,5

Innere Medizin

0,6

0,5

0,6

0,4

0,7

1,2

Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde

0,4

0,4

0,4

0,6

0,1

0,1

sonstige Fachgebiete

2,5

2,6

2,5

2,8

2,3

2,0

Quelle: Barmer-Daten 2017–2021; Barmer-Versicherte ohne Tumordiagnose ab 18 Jahren mit neu angesetzter Opioidtherapie in 2019, durchgängig versichert 2017 bis 2021, gesamt n = 142.598, Männer n = 49.759, Frauen n = 92.839

Laut Report wurde Metamizol 2021 knapp sieben Millionen gesetzlich Versicherten verschrieben. Metamizol kann in Einzelfällen schwerste Schädigungen der blutbildenden Zellen verursachen und es gilt gerade bei über 80-Jährigen, die gleichzeitig Methotrexat erhalten, als kontraindiziert. 

„Obwohl diese gemeinsame Verordnung gerade bei über 80-Jährigen in der Medizin als No-Go gilt, kommt sie immer wieder vor“, wundert sich Prof. Straub. „Die Ergebnisse sind absolut beunruhigend.“ Als Ursache sieht auch er, dass vielfach Arzneimittel von unterschiedlichen Ärztinnen und Ärzten zeitlich pa­rallel verordnet werden. Es gebe aber auch mehr als 450.000 Kombinationen zweier Arzneimittel real in der Versorgung und frei verfügbare Arzneimittel, die häufig gar nicht in Medikationsplänen oder ärztlicher Dokumentation erfasst würden. „Deshalb haben wir, um die Risiken der Selbstmedikation zu senken und ein besseres Monitoring möglich zu machen, im Rahmen unserer sogenannten Mehrwertleistungen in der elektronischen Patientenakte auch die Erfassung dieser … frei verkäuflichen Arzneimittel möglich gemacht.“ 

Ohne digitale Unterstützung seien die vielen Arzneiverordnungen nicht mehr zu beherrschen. Prof. Straub hob beispielhaft AdAM hervor, ein Innovationsfondsprojekt für digital unterstütztes ärztliches Medikamentenmanagement bei Polypharmazie, das jedes Jahr bis zu 70.000 Leben retten könnte. „AdAM sollte rasch in die Regelversorgung überführt werden, damit die Arzneimitteltherapie für Millionen Patientinnen und Patienten insgesamt sicherer wird, auch bei Schmerzmitteln.“ 

Quelle: Barmer Pressekonferenz