Androgenetische Alopezie: Wann muss behandelt werden?
Androgenetische Alopezie (AGA) ist ein Telogeneffluvium. Es kommt zu einer Verkürzung der Wachstumsphase (Anagen) mit frühem Übertritt in die Ruhephase (Telogen) und damit einer Verkürzung der Haarlänge. Die unterschiedliche Androgensensitivität der Kopfhautregionen sorgt für die typische Verteilung.
Zwischen Männern und Frauen zeigen sich zwar gewisse Unterschiede im Muster des zentralen oder frontalen Haarverlusts. Der Hinterkopf bleibt aber in jedem Fall ausgespart. Das diffuse Telogeneffluvium dagegen betrifft die Gesamtheit der Haarfollikel, schreibt Dr. Pierre A. de Viragh, Dermatologe an der Universitätsklinik, Inselspital Bern.
Eisen- und B12-Mangel simulieren hormonelle Form
Spätestens ab dem Ende der Pubertät haben alle Menschen eine diskrete androgenetische Alopezie, die mit den Jahren zunimmt. Die Diagnose einer AGA ist deshalb nur im Zusammenhang mit der Altersnorm sinnvoll. Wird diese überschritten, kann eine Therapie erfolgen. Allerdings sollte man vorher nach Simulatoren fahnden, die eine konstitutionelle AGA imitieren.
Einer dieser Simulatoren ist das diffuse Telogeneffluvium. Durch den verstärkten Haarverlust bei noch normal scheinender okzipitaler Haarmenge kann es eine übermäßige AGA vortäuschen. Bei schneller Progression müssen Differenzialdiagnosen wie Hypo- und Hyperthyreose, Kollagenosen und chronische Erkrankungen ausgeschlossen werden.
Kopftuch zu eng?
Auf die „Pille“ der dritten oder vierten Generation wechseln
Nicht unterschätzen sollte man auch die hypoöstrogene Alopezie: Jeder Abfall im Östrogenspiegel kann bei Frauen zu einem diffusen oder AGA-ähnlichen Haarausfall führen. Zu den Auslösern zählt neben der Menopause auch die Behandlung mit Antiöstrogenen oder Aromatasehemmern sowie die Kontrazeption mit einem einfachen Gestagenpräparat (Minipille). In all diesen Fällen generiert die Hemmung der Gonadotropine einen relativen Östrogenmangel. Auch die kombinierte orale Kontrazeption und die Hormonersatztherapie mit einem Gestagen der ersten und zweiten Generation können wegen ihrer androgenisierenden Teilwirkung eine iatrogene AGA auslösen. Gleiches gilt für Hormonspiralen und den Hormonersatz mit Tibolon. In solchen Fällen hilft der Wechsel der „Pille“ bzw. der Hormonsubstitution zu einer Kombination mit einem Gestagen neutraler (dritte Generation) oder antiandrogener (vierte Generation) Wirkung.Alopecia areata incognita braucht Immunsuppression
Auch eine moderne Chemotherapie kann eine übermäßige androgenetische Alopezie imitieren. Bestimmte neue Therapieschemata führen zu einem totalen oder partiellen Haarverlust, der permanent anhält – mit definitiver Inaktivität der Follikel. Dabei wird der Haarverlust durch Aromatasehemmer und Antiöstrogene noch verstärkt. Eine fortgeschrittene AGA kann auch die Alopecia areata incognita vortäuschen. Denn sie macht sich im Gegensatz zur bekannteren Alopecia areata nur mit einer diffusen Haarausdünnung, nicht mit Kahlstellen bemerkbar. Therapeutisch wird eine systemische Immunsuppression (Kortisonpulse, Methotrexat) empfohlen. Ähnliche Läsionen finden sich bei Lues und Lupus.Das 100-Haare-Märchen
Fibrosierende Variante bleibt trotz Behandlung irreversibel
Die androgenetische Alopezie kann in seltenen Fällen auch vernarbend verlaufen, mit einer Fibrosierung der Follikel. Eine energische Anti-AGA-Therapie mit einem potenten Hemmer der 5α-Reduktase wie Dutasterid im Off-Label-Einsatz vermag die Progression der fibrosierenden Alopezien in den meisten Fällen zu stoppen. Ein „Zurückwachsen“ der Haare ist nicht möglich.Quelle: de Viragh PA. Swiss Med Forum 2018; 18: 900-906