
Migräne bei Männern oft übersehen Atypische Symptome erschweren die Diagnose

Migräne wird vor allem als Frauenkrankheit gesehen. Dass auch ein Mann Migräne haben kann, wird häufig nicht berücksichtigt, schreiben Dr. Mira Fitzek, Charité – Universitätsmedizin Berlin und Kolleginnen. Tatsächlich gibt es bedeutsame Geschlechtsunterschiede, die stärker erforscht werden und auch in die Diagnosekriterien einfließen müssen, fordern die Expertinnen. Die Gründe für die Divergenz sind komplex. Sie kommen durch das Zusammenwirken biologischer, psychosozialer und kultureller Faktoren zustande.
Die Prävalenz der Migräne in der Gesamtbevölkerung beträgt etwa 15 %, liegt bei Männern jedoch dreimal niedriger als bei Frauen. Diese Differenz bildet sich um die Pubertät herum aus, was hormonelle Einflüsse nahelegt.
Daten zu Unterschieden in den Schmerzcharakteristika stammen vor allem aus Post-hoc-Evaluationen. Wenn man ICHD-3*-Kriterien zugrunde legt, scheinen Männer mit Migräne häufiger atypische Symptome zu haben. Das heißt, die Kernsymptome
- unilateraler Schläfenschmerz,
- pulsierender Charakter und
- Verschlechterung bei Bewegung
treten bei ihnen seltener auf. In einigen Publikationen wird berichtet, dass Migräneattacken beim Mann kürzer andauern als bei der Frau. Andere Studien konnten diesen Unterschied nicht zeigen.
Die Schmerzintensität scheint bei Patienten geringer als bei Patientinnen, zumindest bei der episodischen Migräne. Männer berichten seltener über assoziierte Symptome wie
- Nausea,
- Erbrechen,
- Photo-, Phono- und Osmophobie.
Migräneattacken mit Aura kommen bei ihnen häufiger vor als bei Frauen. Psychologische Komorbiditäten wie Depression und Angst hingegegen scheinen eine geringere Rolle zu spielen. Männer mit Migräne haben ein erhöhtes Risiko für ischämische Ereignisse im Vergleich zu Männern ohne Migräne. Dieser Zusammenhang gilt auch für Frauen, er ist bei ihnen sogar stärker ausgeprägt.
Die wichtigsten Trigger bei beiden Geschlechtern sind Stress und helles Licht. Gerüche scheinen v. a. bei Frauen Attacken auszulösen, bei Männern sind es eher exzessiver Schlaf und Alkohol. Zum Einfluss von Geschlechtshormonen gibt es zahlreiche Beobachtungen, aus denen sich aber kein definitiver Schluss ziehen lässt. Testosteron scheint aber antinozizeptive Effekte zu haben und die Schmerzempfindlichkeit zu modulieren.
Nur wenige Publikationen haben sich bisher den Unterschieden beim Ansprechen auf Migränetherapeutika gewidmet. Eine Metaanalyse ergab, dass Männer und Frauen gleich häufig zwei Stunden nach Einnahme eines Triptans schmerzfrei sind. Das Risiko für eine Wiederkehr der Cephalgien war bei Männern aber deutlich niedriger. Bei den Ditanen, die am 5-HT1F-Rezeptor** ansetzen, haben sich bisher keine geschlechtstypischen Besonderheiten beim Ansprechen gezeigt. Auf Gepante wiederum sprechen Männer schlechter an als Frauen. CGRP***-gerichtete Prophylaktika scheinen bei beiden Geschlechtern gleichermaßen zu wirken.
Stereotypendenken verzögert Diagnose und Therapie
Gesellschaftlichen Normen folgend bemühen sich Männer generell seltener um ärztliche Hilfe als Frauen. Das gilt insbesondere für eine auch in Fachkreisen oft als Frauenleiden fehleingeschätzte Erkrankung wie Migräne. Sie geben zudem weniger gerne zu, dass eine Attacke ihre Alltagstauglichkeit einschränkt. Das mag teilweise mit einem geringeren Schweregrad zu tun haben, sicher aber auch mit dem Selbstverständnis vieler Männer, Schwächen nicht zugeben zu wollen. Dieses Verhalten birgt allerdings die Gefahr, Diagnose und Therapie zu verschleppen.
Dass die Männer häufiger atypische Symptome haben, kann auch an den ICHD-3-Kriterien liegen, die vor allem anhand von Frauen entwickelt wurden und somit ein Bild der typisch weiblichen Symptomatik repräsentieren. Dieses Bild muss durch mehr geschlechtsspezifische Forschung und Lehre, die Revision der Diagnosekriterien sowie die Entstigmatisierung in der klinischen Praxis zurechtgerückt werden, meinen die Autorinnen.
* International Classification of Headache Disorders, 3rd edition
** Subtyp der 5-Hydroxytryptamin-Rezeptoren
*** Calcitonin Gene-Related Peptide
Quelle: Fitzek MP et al. J Headache Pain 2025; 26: 3; DOI: 10.1186/s10194-024-01936-7