Leberzirrhose Auch die inapparente hepatische Enzephalopathie beeinträchtigt die Fahrtauglichkeit
Nicht alle Patienten mit gering ausgeprägter hepatischer Enzephalopathie (HE) sind fahruntüchtig – so wie auch nicht alle Gesunden fahrtauglich sind, erklärte Prof. Dr. Tobias Müller von der Klinik für Innere Medizin an den DRK Kliniken Berlin Mitte. Dies spiegelt sich z.B. in einer Studie mit 51 Leberzirrhosepatienten und 48 altersgematchten Kontrollen wider, die zu ihrer Fahrtüchtigkeit befragt wurden und sich einem Test im Fahrsimulator unterzogen. 100 % der Patienten mit einer HE Grad 1 sagten, sie könnten sicher Autofahren, im Fahrsimulator bestätigte sich dies aber nur in 39 % der Fälle. Von den Betroffenen mit minimaler HE (mHE) hielten sich 97 % für fahrtauglich, der Fahrlehrer teilte dieses Urteil nur bei 48 %.
Ohne HE sind die meisten Zirrhotiker fahrtauglich
Patienten mit Leberzirrhose ohne HE gaben zu 90 % an, sie seien fahrtüchtig, der Fahrlehrer bestätigte dies bei 75 %. Zum Vergleich: Die gesunden Kontrollen schätzten sich zu 92 % als fahrtüchtig ein, der Fahrlehrer sah dies in 87 % der Fälle genauso.
Als Arzt muss man seine Patienten mit Leberzirrhose und HE im Hinblick auf eine eingeschränkte Fahrtauglichkeit aufklären und beraten. Dass ein solches Gespräch stattgefunden hat, sollte dokumentiert werden, da die Beweislast im Haftungsfall beim Arzt liegt.
Patienten mit HE, die nicht in der Lage sind, ein Fahrzeug sicher zu führen, und dennoch ins Auto steigen, riskieren nach § 315c Strafgesetzbuch eine Freiheits- oder Geldstrafe. Auch darauf ist hinzuweisen.
Klare Regeln der Bundesanstalt für Straßenwesen zur Begutachtung der Kraftfahreignung gibt es im Hinblick auf HE und Leberzirrhose nicht. Für die orientierende kognitive Untersuchung ist es nach Aussage von Prof. Müller hilfreich, den Patienten Tiere aufzählen zu lassen. Über zwanzig Tiere zu nennen, gilt als normal, sind es weniger als zehn, besteht der Verdacht auf ein starkes kognitives Defizit. Wichtige Hinweise auf eine HE geben auch Angehörige („da stimmt etwas nicht“) und es lohnt sich, nach vermehrten Stürzen und Unfällen in der letzten Zeit zu fragen.
Anamnestisch sind potenzielle Auslöser und prädisponierende Faktoren für eine HE zu eruieren, beispielsweise Stoffwechsel- und Nierenfunktionsstörungen, Infektionen oder Medikamente wie Sedativa, Benzodiazepine oder Diuretika. Ein schnelles und valides mHE-Screening bietet die „EnzephalApp“. Damit wird eine mHE mit einer Sensitivität von 78 % und einer Spezifität von 90 % erkannt, wenn der Getestete für die Off- und On-Aufgaben mehr als 247,9 Sekunden benötigt.
Angehörige möglichst mit ins Boot holen
Im Alltag ist es nach Erfahrung von Prof. Müller selten möglich, die Fahrtauglichkeit eines Patienten mit diskreter hepatischer Enzephalopathie im Fahrsimulator oder durch einen Fahrlehrer testen zu lassen. Er versucht daher, die Angehörigen mit ins Boot zu holen und immer wieder über die Folgen der HE auf die Fahrtüchtigkeit aufzuklären. Getreu dem Motto: Steter Tropfen höhlt
den Stein.
Laut europäischer und amerikanischer Leitlinie soll eine offensichtliche HE behandelt werden, für die verdeckte HE (mHE und HE Grad 1) besteht eine Kann-Empfehlung. „Ich würde das machen“, sagte Prof. Müller mit Blick auf die häufig eingeschränkte Fahrtüchtigkeit der Betroffenen. Laktulose reduziert das Risiko für ein HE-Rezidiv. Einen stärkeren Effekt hat die Kombination von Laktulose plus Rifaximin. Rifaximin verbessert zudem die Ergebnisse im Fahrsimulator bei Patienten mit mHE: Unter der Therapie kam es in einer Studie zu weniger Fahrfehlern, Raserei und falschem Abbiegen als unter Placebo.
Quelle: Kongressbericht Viszeralmedizin 2023