Praxistipps zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit von Patienten

Autor: Maria Fett

Den Schlüssel vorerst an den Nagel hängen? Das muss z.B. nach einer zweiten Synkope oder einem Schädeltrauma sein. Den Schlüssel vorerst an den Nagel hängen? Das muss z.B. nach einer zweiten Synkope oder einem Schädeltrauma sein. © iStock/belchonock

Synkope, Vorhofflimmern, Parkinson – all diese Diagnosen können die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen. Ganz zu schweigen von den verordneten Medikamenten. Wann also dürfen Patienten wieder ans Steuer? Diese und weitere Fragen klärt ein Experte.

Ob und vor allem wann eine Person mit einer vaskulären oder neurologischen Erkrankung wieder aktiv am Verkehr teilnehmen darf, entscheidet sich zunächst daran, welches Fahrzeug sie bewegen will. Alles bis 3,5 t inkl. selbstfahrende Arbeits- und Zugmaschinen der Forst- und Landwirtschaft lassen sich in Gruppe 1 summieren. Dies betrifft meist Privatfahrer, sagte Dr. Anastasios­ Athanasiadis­, Internist am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus. Wer ein schwereres Fahrzeug führt oder einen Führerschein zur Fahrgastbeförderung besitzt, wird zu den Berufsfahrern gezählt und gehört damit in Gruppe 2.

Schrittmacher schränkt Privatpersonen nicht ein

Laut Begutachtungsleitlinie darf privat ohne Einschränkungen gefahren werden, wenn sich in der Anamnese max. eine Synkope findet. Gleiches gilt für Berufsfahrer, sofern keine Hinweise auf ein erhöhtes Rezidivrisiko vorliegen. Nach wiederholten bzw. unklaren Blackouts muss sich Gruppe 1 ggf. zur erneuten Diagnostik einfinden und darf nach einer individuellen Beurteilung frühestens ein halbes Jahr später zurück auf die Straße (s. Kasten). Noch entschiedener lesen sich die Richtlinien für Fahrer aus Gruppe 2: In diesem Fall heißt es „Finger weg vom Lenkrad“.

Was entscheidet im Einzelfall?

Bei vaskulären Erkrankungen des Nervensystems sprechen folgende Punkte i.d.R. für fahrtaugliche Privatpersonen (Gruppe 1):
  • erfolgreiche Therapie bzw. Reha
  • keine Sehstörungen wie Hemianopsie oder Diplopie
  • keine signifikante Rezidivgefahr (Ursache geklärt und behoben? Sekundärprophylaxe?)
  • keine relevante Hirnleistungsschwäche (Aphasie, Apraxie, Neglect, Demenz, Einsichtsfähigkeit)
  • bei motorischen Einschränkungen gelten „Sicherheitsmaßnahmen für körperbehinderte Kraftfahrer“
Abklären sollte man stationär, nach ein, zwei und vier Jahren wird nachuntersucht. Cave: Berufsfahrer dürfen aufgrund möglicher Rückfälle bzw. erheblicher Leistungseinbußen nicht fahren!

Nach einem Vorhofflimmern dürfen Privat- und Berufsfahrer ohne Einschränkung fahren – sofern keine Bewusstlosigkeit vorlag. Mit Synkope gibt’s das Go erst nach einer effektiven Behandlung. Berufsfahrer müssen allerdings mindestens einen Monat pausieren und die kardiologische Nachuntersuchung abwarten. Kurz und bündig lesen sich die Maßnahmen nach Implantation/Wechsel eines Schrittmachers: Gruppe 1 hat mit keinen Einschränkungen zu rechnen, Gruppe 2 darf sich erst nach einer Woche wieder ans Steuer setzen. Finden sich allerdings Synkopen in der Anamnese bzw. liegt eine Schrittmacherabhängigkeit vor, verlängert sich die Wartezeit auf vier Wochen.
Mit Herzinsuffizienz hinters Steuer
Stadium
Gruppe 1 (Privatfahrer)
Gruppe 2 (Berufsfahrer)
NYHA Iohne Einschränkungfahrgeeignet, wenn EF > 35 %
NYHA IIohne Einschränkungfahrgeeignet, wenn EF > 35 %
NYHA IIIwenn stabil keine Einschränkung, sonst nichtnicht fahrgeeignet
NYHA IVnicht fahrgeeignetnicht fahrgeeignet
Eine Karenzzeit von drei Monaten gilt „im Allgemeinen“ für jeden Verkehrsteilnehmer nach Hirn-OP oder Schädel-Hirn-Verletzung, sofern sich keine hirnorganischen Leistungsstörungen erkennen lassen. Zusätzlich muss der Patient zuvor auf motorische Störungen geprüft werden. Bei Berufsfahrern gilt es, je nach dem die „Sicherheitsmaßnahmen bei körperbehinderten Kraftfahrern“ einzuhalten. Auch chronische hirnorganische Psychosyndrome und Wesensänderungen sollten beurteilt werden. Besteht generell eine Rezidivgefahr, wird nach einem, zwei und vier Jahren nachuntersucht. Berufsfahrer haben sich außerdem einer neurologischen Untersuchung inkl. neuropsychologischem Add-on zu unterziehen, betonte Dr. Athanasiadis. Welche Gründe sprechen dagegen, dass sich Patienten mit Parkinson hinters Steuer setzen?
  • geistiger Abbau: unbekannte Umgebungen verwirren Betroffene zunehmend, zudem nehmen Urteilsfähigkeit und planerisches Denken ab
  • motorische Symptome, in deren Folge Koordination und Reaktionszeiten von Bewegungen abnehmen
  • bis zu 50 % von ihnen leiden unter exzessiver Tagesmüdigkeit, die durch Medikamente (Dopamin­agonisten und Levodopa) verstärkt werden kann
  • Defizite im Sehen: Aufmerksamkeit, die räumlich-visuelle Wahrnehmung trüben sich ein, die Verarbeitungsgeschwindigkeit nimmt ab

Spickzettel für neurologische Erkrankungen

Eine Übersichtsarbeit fasst zusammen, welche Punkte man abklären sollte, um die Fahreignung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen oder Ereignissen wie einem Schlaganfall einzuschätzen.1 Läsionen im präfrontalen Kortex z.B. beeinträchtigen das Urteilsvermögen und Verhalten der Betroffenen. Apathie und fehlende Einsicht sind ebenfalls möglich. Ein hemisphärischer Schlaganfall kann immer zu einer kontralateralen Hemiparese führen. Ein linkshemisphärischer (dominanter) Insult führt zu Problemen beim Lesen, Schreiben, Sprechen und Verstehen. Dagegen steht ein rechtshemisphärischer (nicht-dominanter) Apoplex mit einem Neglect nach links und längeren Reaktionszeiten in Verbindung.

1. Yale SH et al. Clin Med Res 2003; 1: 177-188; DOI: 10.3121/cmr.1.3.177

Patienten müssen auch eigenverantwortlich handeln

„So ziemlich alle Medikamente, die wir verordnen, beeinträchtigen die Fahreignung“, erklärte Dr. Athanasiadis. Allerdings gibt es keine Richtlinien, worauf Ärzte dabei zu achten haben. „Wenn mich jemand fragt, wie lange er mit Präparat XY aufs Fahren verzichten muss, lautet meine Antwort: Ich weiß es nicht.“ Vielen Herzmedikamenten liegen mittlerweile Warnhinweise bei, auf die man Patienten hinweisen sollte. Allgemein zur Vorsicht mahnte er bei frisch eingestellten Patienten, wenn Dosen erhöht oder kurz wirksame Präparate verschrieben werden. Die Einschätzung, ob man sich selbst in der Lage fühlt, ein Fahrzeug zu führen, muss aber jeder Patient vor Fahrtantritt auch eigenverantworlich selbst treffen.

Quelle: 55. Ärztekongress der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg