Mit Patienten unbedingt über deren Fahreignung sprechen
Filmreif kracht der Kopf eines 52-jährigen Handwerkers in die morgendliche Müslischale. Eine Synkope. Als er sein Bewusstsein wiedererlangt, will er mit seinem Auto zur Arbeit fahren. Sollte er das tun? „Nein“, konstatierte Dr. Anastasios Athanasiadis vom Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus und ergänzte: „Tut er aber.“ Es kommt, wie es kommen muss. Nach 400 Metern auf der Autobahn folgt der nächste Blackout und die Fahrt endet im Graben.
Dieses Szenario stellt bei Weitem keinen Einzelfall dar. Bis zu 3,4 % aller Verkehrsunfälle gehen auf eine plötzliche Fahrunfähigkeit zurück. Zerebrovaskuläre und kardiovaskuläre Erkrankungen machen jeweils mehr als ein Viertel dieser akuten Ereignisse aus. Auf Synkopen entfallen „nur“ 8,5 %, auf gastrointestinale Beschwerden 8,1 %.
Bei einem Unglück, in dem vielleicht sogar ein Unbeteiligter stirbt, stellt sich juristisch die Frage: Handelt es sich um fahrlässige Tötung? Oder gilt der Fahrer im Moment des Crashs als schuldunfähig? Wer als Arzt meint, er sei an dieser Stelle fein raus und auf die Selbstverantwortung der Patienten verweist, könnte eine böse Überraschung erleben. Anhand mehrerer Zeitungsartikel verdeutlichte Dr. Athanasiadis, dass Mediziner gar nicht so selten von Patienten in Regress genommen werden. Gemäß dem Motto: „Hätte der mich mal ordentlich darüber aufgeklärt, dass ich nicht Auto fahren darf!“
Vorsicht bei Neueinstellung und Dosissteigerung!
Tatsächlich ist man gesetzlich dazu verpflichtet, über die fehlende Fahreignung aufzuklären, wenn Erkrankungen wie rezidivierende Synkopen oder Medikamente diese beeinflussen. Angesichts der Arzneimittel mit potenziellem Effekt auf die Sicherheit am Steuer trifft das praktisch immer zu. Andererseits ermöglicht so manche Therapie erst eine Verkehrstüchtigkeit, z.B. bei einer Herzinsuffizienz. Vorsicht ist in jedem Fall geboten bei Neueinstellung, Dosissteigerung und kurz wirksamen Präparaten.
Die Informationspflicht ergibt sich aus §630c BGB. Wer diese Sicherheitsaufklärung auslässt, begeht einen Behandlungsfehler! Verhaltensmaßregeln, Risiken der Verkehrsteilnahme (Eigen- und Fremdgefährdung) und andere Infos müssen dem Patienten unaufgefordert gegeben werden. Hinzu kommt die Sorgfaltspflicht: Mediziner müssen die Folgen einer Erkrankung bzw. Therapie auf die Verkehrssicherheit abschätzen (s. Kasten).
„Prägen Sie sich die Risk-of-Harm-Formel ein, wenn Sie Ihre Approbation behalten wollen“
1. Simpson C et al. Can J Cardiol 2004; 20: 1314-1320
Die Fahrt mit allen zumutbaren Mitteln verhindern
Welche Erkrankung oder Intervention einer Teilnahme am Straßenverkehr im Weg steht, hat der Gesetzgeber in Anlage 4 zur Fahrerlaubnisordnung verankert. Einen detaillierteren Überblick bietet die Begutachtungsleitlinie zur Kraftfahreignung. „Die 138 Seiten müssten Sie eigentlich auswendig lernen“, sagte der Referent und verwies auf die Auskunft einer Rechtsanwältin. Derzufolge kann man sich im Nachhinein nicht auf fehlendes Fachwissen berufen. Wer Personen behandelt, die mit Auto, Motorrad, (E-)Fahrrad oder motorisiertem Rollstuhl unterwegs sind, muss den Inhalt von Fahrerlaubnisverordnung und Begutachtungsleitlinie kennen. Setzt sich ein Patient über die ärztliche Empfehlung (z.B. Fahrverbot) hinweg und gefährdet dadurch die Allgemeinheit, hängt das weitere Vorgehen juristisch gesehen davon ab, ob er zurechnungsfähig ist:- Ja ⇒ Fahrverbot und Warnungen wiederholen und betonen, dass der aufgeklärte Patient allein für sein Handeln verantwortlich ist.
- Nein ⇒ aktiv eingreifen, d.h. die Fahrt mit allen zumutbaren Mitteln verhindern: ggf. Autoschlüssel wegnehmen, Parkschranke nicht öffnen oder „Reifen zerstechen“, scherzte Dr. Athanasiadis.
Quelle: 55. Ärztekongress der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg