Mobilität Wann können neurologische Erkrankungen die Fahrtauglichkeit kosten?

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Reaktionsgeschwindigkeit und Bremskraft sind bei neurologischen Erkrankungen ggf. beeinträchtigt. Reaktionsgeschwindigkeit und Bremskraft sind bei neurologischen Erkrankungen ggf. beeinträchtigt. © dszc/gettyimages

Autofahren ist vor allem für ältere Menschen eine Frage von persönlicher Freiheit und Mobilität. Doch manche neurologische Erkrankung schränkt die körperlichen und kognitiven Fähigkeiten so weit ein, dass das sichere Führen eines Fahrzeugs nicht mehr möglich ist. Wann sollte man Betroffenen dazu raten, den Führerschein abzugeben?

Etwa zwei Drittel der über 80-Jährigen leiden unter Gangstörungen. In mehr als der Hälfte der Fälle ist eine neurologische Erkrankung die Ursache. In dieser Situation ist für viele ältere Menschen das Autofahren die einzige Möglichkeit, mobil und selbstständig zu bleiben.

Doch zur eingeschränkten Geh- und Stehfähigkeit kommen oft noch kognitive Defizite, die zur Fahruntauglichkeit führen, schreiben Dr. ­Günther ­Thayssen und Prof. Dr. ­Klaus ­Püschel vom Universitätsklinikum Hamburg-­Eppendorf. Schon anhand einer standardisierten klinischen Untersuchung lasse sich oft erkennen, ob der Mobilitätseinschränkung eine skelettale Ursache mit Fehlhaltungen, knöchernen Bewegungseinschränkungen und Schmerzen oder aber eine neuronale Erkrankung zugrunde liegt. Hinweise geben:

  • Schrittlänge und -frequenz
  • Breite der Fußstellung
  • Körperhaltung und die Reaktion auf Lage- und Stellungswechsel

Gestörtes Gleichgewicht tritt im Blindgang zutage

Unter Belastung machen sich Lähmungen durch Fehlfunktionen wie beispielsweise das Absinken der Hüfte bei einer Schwäche der Beckenmuskulatur mit dem sogenannten Trendelenburg-­Gang bemerkbar. Störungen des Lagesinns und ein beeinträchtigtes Gleichgewichtsorgan treten im Blindgang zutage, da dann die visuelle Kompensation wegfällt. Einen Hinweis auf zentrale Störungen liefern Haltungsanomalien oder -instabilitäten des Rumpfes.

Parkinson wirkt speziell auf Motorik und Gangsicherheit

Als neurologisches Krankheitsbild, das speziell die Motorik und die Gangsicherheit betrifft, nennen die Autoren Morbus­ Parkinson­. Weitere Erkrankungen, die häufig Probleme machen, sind Lähmungen einzelner Muskeln und Muskelgruppen, eine Lumbalkanalstenose, Rückenmarkschädigung oder Hemiparese.

Eine typische Alterskrankheit ist die frontale Ataxie. Als Ursache kommen unter anderem ­multiple vaskuläre Läsionen im Großhirn, Störungen der Liquorzirkulation (Normal­druckhydrozephalus) und degenerative Erkrankungen wie Demenzen infrage. Kennzeichnend für die frontale Ataxie ist ein breitbeiniger, kleinschrittiger, schleifender Gang mit Schwierigkeiten, das Gehen zu initiieren.

Funktionsstörungen im Bereich des Sensoriums, der Sensibilität, der Motorik und der Koordination, aber auch kognitive Defizite können die Fähigkeit zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs beeinflussen. Laut Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung erfordern folgende Gruppen aus dem Bereich der neurologischen Erkrankungen eine spezielle gutachterliche Bewertung:

  • Erkrankungen des Rückenmarks
  • Erkrankungen der neuromuskulären Peripherie
  • Morbus Parkinson
  • kreislaufabhängige Störungen der Hirntätigkeit
  • strukturelle Hirnschäden
  • Epilepsie

Diese Erkrankungen können das Risiko für einen Unfall erhöhen. Das liegt z. B. an negativen Auswirkungen auf die Reaktionsgeschwindigkeit, die Bremskraft oder das Ausführen des Schulterblicks.

Es gibt Ansatzpunkte für eine frühzeitige Aufklärung

Oft lassen sich die Defizite nicht vorhersehen und in ihrer Bedeutung einschätzen, so Dr. Thayssen­ und Prof. Püschel­. Angesichts der spezifischen Gefahren für den Straßenverkehr, wie sie etwa von den Hirndurchblutungsstörungen ausgehen oder dem zwangsläufigen Progress einer Parkinsonerkrankung, ergeben sich recht gute Ansatzpunkte für eine frühzeitige ärztliche Aufklärung. Bei dieser Gelegenheit bietet es sich an, ggf. die Empfehlung zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit zu geben. Womöglich muss man in einem solchen Gespräch auch bereits klarmachen, dass die Patientin oder der Patient angesichts der körperlichen oder kognitiven Defizite nicht mehr Autofahren kann.

Quelle: Thayssen G, Püschel K. Bundesgesundheitsbl 2024; 67: 890-895; doi: 10.1007/s00103-024-03920-7