Typ-1-Diabetes Besonderheiten bei Beginn im Erwachsenenalter
Neueren epidemiologischen Daten zufolge betreffen mehr als die Hälfte aller neuen Typ-1-Diabetes-Erkrankungen Erwachsene. Da über die Unterschiede der beiden Entitäten nicht genug bekannt ist, besteht die Gefahr von Fehlklassifizierungen.
Klinisch lässt sich der akute, potenziell tödliche Diabetes im Kindesalter von der weniger aggressiven Form im Erwachsenenalter recht gut unterscheiden, schreibt das Team um Professor Dr. David Leslie vom Centre for Immunobiology an der Queen Mary University of London. Und man hat gelernt, dass nicht alle Kinder mit Typ-1-Diabetes insulinpflichtig sind und nicht alle Erwachsenen oral therapiert werden können. Nachdem immunologische, genetische und metabolische Analysen einige Abweichungen der beiden Varianten ergeben haben, hat man den insulinabhängigen und immunvermittelten Diabetes als Typ 1 neu definiert und die meisten anderen Formen als Typ-2-Diabetes umbenannt.
Auch viele erwachsene Typ-1-Diabetiker brauchen kein Insulin und ihre Hyperglykämie setzt eher graduell ein. Das ist einer der Gründe, warum 40 % von ihnen falsch zugeordnet werden, wobei das Fehlerrisiko mit dem Alter des Patienten zunimmt. Um die Situation zu bessern, initiierte die Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF) im November 2019 einen Workshop mit internationalen Experten. Darauf basierend wurden Strategien für ein besseres Krankheitsmanagement bei Typ-1-Diabetikern entwickelt.
Erhöhtes Risiko für Autoimmunkrankheiten
Was die Genetik betrifft, geht die Erkrankung von Erwachsenen z.B. mit einer geringeren Hochrisiko-HLA-Heterozygotie einher und weist mehr schützende Genotypen auf. Immunologisch sieht man bei den Älteren häufiger Autoantikörper gegen die Glutamatdecarboxylase. Diese Antikörper dominieren auch unabhängig davon, ob die Patienten im Verlauf insulinpflichtig werden oder nicht, während andere krankheitsassoziierte Autoantikörper mit zunehmendem Alter weniger werden.
Erwachsene mit einem neu auftretenden Typ-1-Diabetes tragen ein erhöhtes Risiko für andere Autoimmunkrankheiten. 30 % entwickeln z.B. eine Schilddrüsenautoimmunität. Daher sollte bei klinischem Verdacht auf solche Komorbiditäten gescreent werden (s. Kasten).
Das AABBCC-Schema
- Age: Ein Autoimmundiabetes findet sich am häufigsten bei Patienten unter 50 Jahren. Patienten, die ihre Erstdiagnose unter 35 Jahren erhalten, leiden entweder an einem Maturity Onset Diabetes of the Young (MODY) oder einem Typ-1-Diabetes.
- Autoimmunity: Man muss nach Inselzellautoantikörpern fahnden und abklären, ob es eine Anamnese für Autoimmunkrankheiten oder Hinweise darauf gibt (z.B. Struma, Vitiligo)
- BMI: Wenn BMI und Körperhabitus nicht zu einem Typ-2-Diabetes passen (z.B. BMI < 25 kg/m2), sollten weitere Untersuchungen folgen. Ein hoher BMI und ein vorliegendes metabolisches Syndrom wiederum deuten nicht zwangsläufig auf den Typ 2 hin.
- Background: Gibt es in der Familie einen Typ-1-Diabetes oder Autoimmunerkrankungen? Gehört der Patient einer ethnischen Risikogruppe an (zum Beispiel Nordeuropäer)?
- Control: Geprüft werden sollte, ob sich Krankheitskontrolle und HbA1c unter einer Therapie ohne Insulin verschlechtern, sich der HbA1c rasch verändert, der C-Peptidspiegel erniedrigt ist (≤ 300 pmol/l) oder klinische Zeichen eines Betazellverlustes vorliegen. Außerdem erfasst man den Insulinbedarf in den drei Jahren nach Diagnose.
- Comorbidities: Begleiterkrankungen, z.B. von Herz oder Nieren, müssen unabhängig vom immunogenetischen Hintergrund bei der Bestimmung des Therapieziels berücksichtigt werden.
Quelle: Leslie RD et al. Diabetes Care 2021; 44: 2449-2456; DOI: 10.2337/dc21-0770