Adipositas Bessere hausärztliche Ausbildung in der Adipositastherapie gefordert
Allgemeinärzte sollten ihre adipösen Patienten bei jeder Gelegenheit auf das Thema Gewicht ansprechen. Britische Kollegen wollten nun genauer wissen, wie diese gängige Leitlinienempfehlung in der Praxis umgesetzt wird. Dazu machten sie sich die Mühe, 159 aufgezeichnete Arzt-Patienten-Gespräche auszuwerten. Die Teilnehmer waren im Mittel 57 Jahre alt und hatten einen BMI von 35 kg/m2.
In vielen Fällen beschränkte sich die Beratung auf allgemeine Ratschläge zu Ernährung und körperlicher Aktivität nach dem Motto „mehr bewegen und weniger essen“. Nur in 33 Konsultationen wurde genauer beschrieben, wie sich diese Ziele erreichen lassen. Allerdings waren die Empfehlungen häufig trivial. Außerdem wurde die Evidenzbasis für die Instruktionen oft nicht mitgeteilt. So blieb unklar, warum die vorgeschlagenen Verhaltensänderungen die Gewichtsreduktion begünstigen.
So mancher Kollege machte auch wissenschaftlich nicht haltbare Vorschläge, die im Fall einer Umsetzung keine relevante Gewichtsreduktion ermöglichen. Ein typisches Beispiel ist die Forderung nach vermehrter körperlicher Aktivität allein oder in Kombination mit einer nur geringfügigen Kalorienreduktion. Diese Strategie eignet sich nachweislich nicht zur Therapie der Adipositas. Denn die Vorstellung, man könnte mit kleinen Verhaltensänderungen einen großen Gewichtsverlust erzielen, ist ein Mythos, so die Forscher um Madeleine Tremblett vom Nuffield Department of Primary Care Health Sciences der Universität Oxford.
Ein weiteres Märchen ist die Annahme, der Patient bräuchte nur die richtige Einstellung, um sein pfundiges Problem in den Griff zu bekommen. Der Rat „eat less, do more“ spiegelt in erster Linie die mangelnde Kenntnis der effektiven Therapieverfahren wider, schreiben die Autoren und fordern eine bessere hausärztliche Ausbildung in der Adipositastherapie.
Ärzte fürchten Widerstand bei gezielten Tipps
Außerdem sollten die Kollegen dazu ermutigt werden, das Thema Körpergewicht häufiger anzusprechen, meinen die Autoren. Denn an der Wirksamkeit eines hausärztlichen Adipositas-Managements gibt es inzwischen keine Zweifel mehr. Schon eine kurze Beratung ist mit einem Gewichtsverlust assoziiert. Viele Kollegen wissen allerdings nicht, wo sie die Zeit für die vielen Gespräche hernehmen sollen. Andere fürchten irrigerweise, mit einer individuellen Beratung zum Thema Adipositas auf Widerstand zu stoßen, während allgemeine Empfehlungen besser angenommen werden. Die Patienten ihrerseits finden die generellen Ratschläge nutzlos. Viele wissen auch genau, was sie tun müssten. Ihnen fehlen aber Strategien und konkrete Tipps zur Umsetzung im Alltag. Ein Lichtblick: In 121 der 159 Gespräche boten die Hausärzte weitere Termine zur vertiefenden Beratung an.
Quelle: Tremblett M et al. Family Practice 2022; DOI: 10.1093/fampra/cmac137