Chronische Obstipation Damit es wieder flutscht
Die Definition der chronischen Obstipation ist sehr variabel. Deshalb schwanken auch die Zahlen zur Häufigkeit erheblich. So finden sich in derselben Kohorte definitionsabhängig Prävalenzen von 9,4 % bis 58,9 %. Europaweit werden Zahlen von 0,7 % bis 81 % berichtet, die mittlere Prävalenz beträgt 15 %, wobei Frauen und ältere Menschen besonders oft betroffen sind. Doch auch wenn es Unsicherheiten zur Häufigkeit der chronischen Obstipation gibt – gesichert ist, dass sie die Lebensqualität genauso stark beeinträchtigen kann wie andere chronische Erkrankungen, heißt es in der Leitlinie unter Federführung von PD Dr.Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg und Prof. Dr. Christian Pehl vom Krankenhaus Vilsbiburg.
Erkrankungen und Medikation als Ursache
Gemeinhin werden faserarme Kost, zu geringe Flüssigkeitsaufnahme, mangelnde Bewegung und Unterdrückung des Defäkationsreizes als Risikofaktoren für eine chronische Obstipation angesehen. Eine kausale Beziehung ist aber nicht belegt. Gesicherte Risikofaktoren sind dagegen bestimmte Medikamente sowie neurologische, endokrine und systemische Erkrankungen.
Basis der Diagnostik bei chronischer Verstopfung ist die genaue Anamnese mit Analyse des Stuhlverhaltens (z.B. mittels Stuhltagebüchern) inklusive Erfassung von Begleitsymptomen und -erkrankungen sowie körperlicher Untersuchung. Dazu gehört auch immer eine Inspektion des Anus, eine rektal-digitale Untersuchung mit Überprüfung des Sphinktertonus in Ruhe, beim Kneifen und beim Defäkationsversuch. Spezielle Funktions- oder Laboruntersuchungen werden als Routinemaßnahme nicht empfohlen. Bei Frauen sollte zusätzlich eine gynäkologische Untersuchung erfolgen.
Wenn keine weiteren Warnsymptome wie Blutungen, Anämie oder ungeklärter Gewichtsverlust bestehen, kann eine probatorische Therapie beginnen. Diese setzt an mehreren Stellen an.
Auf die empfohlene tägliche Trinkmenge von 1,5 bis 2 Litern sollte geachtet werden, das gilt vor allem für geriatrische Patienten. Eine höhere Flüssigkeitsaufnahme hat aber keine positive Wirkung auf die Verstopfung. Auch von einer über das üblicherweise empfohlene Maß hinausgehenden körperlichen Aktivität ist kein therapeutischer Effekt zu erwarten – Adipöse könnten aber möglicherweise profitieren. Eine regelmäßige Unterdrückung des Stuhlgangs sollte vermieden werden.
Wann ist die Verstopfung chronisch?
Laut aktueller S2k-Leitlinie liegt eine chronische Obstipation vor, wenn folgende drei Kriterien aktuell seit mindestens drei Monaten bestehen (der initiale Beginn der Symptomatik sollte wenigstens sechs Monate vor Diagnosestellung liegen):
1. Mindestens zwei der folgenden Symptome sollten vorhanden sein:
- klumpiger oder harter Stuhl (Bristol Stool Form Scale 1–2) bei > 25 % der Stuhlentleerungen
- starkes Pressen bei > 25 % der Stuhlentleerungen
- subjektiv unvollständige Entleerung bei > 25 % der Stuhlentleerungen
- subjektive Obstruktion bei > 25 % der Stuhlentleerungen
- manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation bei > 25 % der Stuhlentleerungen (digitale Manipulation, Beckenbodenunterstützung)
- weniger als drei spontane Stuhlgänge pro Woche
2. Weiche Stühle kommen ohne die Einnahme von Laxanzien nur selten vor.
3. Die Kriterien für ein Reizdarmsyndrom sind nicht erfüllt.
Ballaststoffreiche Früchte oft besser als Supplemente
Wie alle Menschen sollten auch Obstipierte eine Ballaststoffmenge von mindestens 30 g/d zu sich nehmen. Dies lässt sich besonders leicht mit löslichen und unlöslichen Ballaststoffsupplementen umsetzen – zwei Portionen (insgesamt 300 g) ballaststoffreiche Früchte wie Pflaumen, Kiwi oder Mango am Tag können aber auch ausreichen. Kommt es darunter zu unangenehmen Begleitsymptomen wie Blähungen und Krämpfen, sollte die Menge an Ballaststoffen probeweise reduziert und gegebenenfalls auf andere Maßnahmen gesetzt werden.
Bei funktioneller chronischer Obstipation kann ein Versuch mit Probiotika, Präbiotika oder Synbiotika über einen Zeitraum von 4–6 Wochen hilfreich sein. Welche Stämme am besten wirken, lässt sich zurzeit noch nicht beurteilen. Ein fäkaler Mikrobiomtransfer wird ausdrücklich nicht empfohlen.
Führen die genannten Basismaßnahmen nicht zum Erfolg (oder werden diese nicht vertragen), können Laxanzien zum Einsatz kommen. Als Mittel der ersten Wahl gelten Makrogele, Natriumpicosulfat oder Bisacodyl – ausdrücklich ohne Begrenzung des Einnahmezeitraums. Die früher postulierte Gewöhnung mit Wirkverlust wird nur in Ausnahmefällen beobachtet. Mittel der zweiten Wahl sind Anthrachinone, Zucker oder Zuckeralkohole. Eher abgeraten wird aufgrund der Nebenwirkungen von salinischen Laxanzien wie Karlsbader Salz, Bittersalz oder Magnesiumhydroxid. Keinesfalls sollte Paraffinöl zum Einsatz kommen. Als rektale Entleerungshilfe werden z.B. Bisacodyl- oder CO2-freisetzende Zäpfchen empfohlen – phosphathaltige Klysmen sollten dagegen aufgrund möglicher Elektrolytstörungen nicht dauerhaft angewandt werden.
Falls diese Maßnahmen alle nicht ausreichen, kann ein Versuch mit dem Prokinetikum Prucaloprid erfolgen, das auch in der Langzeitanwendung gut verträglich ist. Weitere mögliche Alternativen in dieser Situation sind Sekretagoga wie Linaclotid (in Deutschland für das Reizdarmsyndrom vom Obstipationstyp zugelassen, aber nicht erstattungsfähig) sowie Plecanatid oder Lubiproston (beide in Deutschland nicht zugelassen).
Als mögliche Ergänzungen nennen die Autoren der aktuellen Leitlinie unter anderem folgende Maßnahmen: Biofeedbacktraining (nur bei Beckenbodendyssynergie), Akupunkturverfahren, ausgewählte Rezepturen der traditionellen chinesischen Medizin und Abdominalmassage.
Quelle: S2k-Leitlinie „Chronische Obstipation“, AWMF-Register-Nr. 021-019, www.awmf.org