Fasten bei der Chemo Den Tumor einfach aushungern?
Es klingt auf den ersten Blick vielversprechend und plausibel: Regelmäßige Fastenperioden schützen onkologische Patienten vor der Chemotherapie und machen die Tumorzellen gegenüber der Therapie empfindlicher. Die gesunden Zellen überstehen den durch die Nahrungskarenz verursachten Nährstoffentzug gut und werden widerstandsfähiger gegenüber der Chemotherapie, da sie ihre Energie für Erhaltungs- und Reparaturprozesse nutzen. Die Tumorzellen passen sich dagegen aufgrund von Mutationen schlechter an die Fastensituation an und werden dadurch anfälliger für Zytostatikaschäden. Für die Betroffenen bedeutet dies – so die Hypothese – ein besseres Therapieansprechen, weniger Nebenwirkungen und eine höhere Lebensqualität.
Nutzen ist nicht wissenschaftlich belegt
Während Menschen mit Ernährungs-, Stoffwechsel-, Herz-Kreislauf- und psychischen Erkrankungen (z.B. metabolisches Syndrom, Bluthochdruck, Depression) tatsächlich von gezieltem Fasten profitieren, gibt es in der Onkologie diesbezüglich bislang keine eindeutigen Daten, berichten Luca Schmidt, Universitätsklinikum Jena, und Kollegen aus dem Arbeitskreis Ernährung der AG Prävention und Integrative Onkologie. Nach Analyse der aktuellen Studienlage zum Thema Fasten vor, während und/oder nach der Chemotherapie kommt das fünfköpfige Expertenteam zu folgendem Ergebnis: Derzeit existieren keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die zweifelsfrei belegen, dass Fasten das Therapieansprechen auf die Chemotherapie erhöht, die Zytostatikatoxizität mindert oder die Lebensqualität der Betroffenen verbessert.
Die postulierten Vorteile des Fastens beruhen im Wesentlichen auf Erkenntnissen aus Tierversuchen, erläutern die Forscher. Mehrere randomisierte Studien an Chemotherapiepatienten scheinen zwar diese Ergebnisse zu stützen, bei kritischer Auseinandersetzung weisen diese Veröffentlichungen allerdings erhebliche methodische Mängel auf. Auch angesichts geringer Teilnehmerzahlen sowie einer starken Heterogenität der Studieninterventionen lässt sich aus ihnen gegenwärtig keine Empfehlung zum Fasten unter der Chemotherapie ableiten.
Stattdessen benennen die Autoren die Gefahren einer Nahrungskarenz, für welche – im Gegensatz zu den fragwürdigen Vorteilen – sehr wohl eine gute wissenschaftliche Evidenz besteht. Diätvorschriften setzen Chemotherapiepatienten einem hohen Risiko für eine Mangelernährung in Bezug auf Makro- und Mikronährstoffe aus. Auch seien negative Effekte auf die Lebensqualität und vermehrte Nebenwirkungen, die potenziell die Behandlung gefährden, zu befürchten.
Quelle: Schmidt L et al. Ernährungs Umschau 2022; 69: 172-175; doi: 10.445/eu.2022.034