Folgen der Coronakrise „Der mentale Tsunami blieb aus“
Die Folgen der Pandemie für die Psyche der Menschen sind womöglich weniger gravierend als bislang vermutet. Dies ergab die Metaanalyse von 137 Einzelstudien, die die mentale Gesundheit sowohl vor als auch nach Pandemiebeginn erfassten.
Es deutet nichts darauf hin, dass sich die allgemeine psychische Verfassung in der normalen Bevölkerung mit der Pandemie grundlegend verschlechtert habe, schreiben Dr. Ying Sun vom Jewish General Hospital in Montreal und Kollegen. Bei Angststörungen gab es keinerlei Veränderungen, Depressionen nahmen nur geringfügig zu.
Es ist allerdings schwer zu sagen, ob sich die Depressionen nicht auch ohne die Coronakrise verstärkt hätten, schreiben Prof. Dr. Carsten Hjorthøj und Prof. Dr. Trine Madsen vom Universitätsklinikum Kopenhagen im begleitenden Kommentar. Denn den Studienmachern hätten für ihre Untersuchungen keine Vergleichsdaten aus pandemiefreien Kontrollperioden zur Verfügung gestanden, die sie zum Vergleich hätten heranziehen können.
Auch wenn die Menschen im Großen und Ganzen keine seelischen Schäden davongetragen zu haben scheinen, gibt es Ausnahmen: Bei den Frauen haben sich nicht nur Depressionen und Ängste verschlimmert, ihr psychischer Allgemeinzustand verschlechterte sich. Die Effekte waren allerdings minimal bis leicht und entsprachen in keiner Weise dem anderorts beschriebenen „mentalen Tsunami“. Es handle sich vielmehr um Nuancen – die jedoch trotzdem Beachtung erfordern, betonen Prof. Hjorthøj und Prof. Madsen: Die Pandemie habe das Leben vieler Menschen beeinflusst, und einige haben zum ersten Mal in ihrem Leben mit mentalen Problemen zu kämpfen.
Die Ergebnisse der Metaanalyse decken sich mit anderen Studienergebnissen, denen zufolge Frauen in der Pandemie eine weitaus stärkere Belastung erfahren haben. Ihre Rolle als Familienmanagerin, die Überrepräsentation im Gesundheitswesen und eine Zunahme an häuslicher Gewalt: All das hat Frauen in der Pandemie verwundbarer gemacht als die Männer.
Quelle: 1. Sun Y et al. BMJ 2023; 380: e074224; DOI: 10.1136/bmj-2022-074224
2. Hjorthøj C, Madsen T. BMJ 2023; 380: 435; DOI: 10.1136/bmj.p435