Demenzen Die Pillenflut eindämmen
Längst nicht jeder Patient mit Morbus Alzheimer bekommt auch die indizierten Antidementiva verschrieben. Doch haben diese Substanzen nicht nur Effekte auf die Kognition, sondern reduzieren auch neuropsychiatrische Symptome, schreiben PD Dr. Marlena Schnieder, Klinik für Geriatrie am Universitätsklinikum Göttingen, und Birte Viehmeister von der dortigen Krankenhausapotheke.
Zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Alzheimerdemenz sind die Acetylcholinesterasehemmer Rivastigmin, Galantamin und Donepezil zugelassen. Sie unterscheiden sich nicht in der Wirksamkeit, z.T. aber im Nebenwirkungsprofil. Treten unerwünschte Effekte wie Übelkeit, Diarrhö, Urininkontinenz, Schlafstörungen oder erhöhte Reizbarkeit auf, kann daher ein Präparatewechsel sinnvoll sein. Bei fortgeschrittener Alzheimerkrankheit hat zudem Memantin eine Zulassung. Die Effekte der Acetylcholinesterasehemmer sind auch bei vaskulärer und bei Parkinsondemenz erkennbar. Sie fallen dann aber deutlich schwächer aus. Zugelassen sind lediglich Rivastigminkapseln bei M. Parkinson, alles andere ist off label.
Viele Patienten mit Alzheimer bekommen vor allem bei neuropsychiatrischen Symptomen kein Antidementivum verordnet, sondern die nebenwirkungsträchtigen Neuroleptika. Tatsächlich stoßen Antidementiva bei schwerwiegender Agitation oft an ihre Grenzen. Lassen Halluzinationen, Wahn oder Aggressivität Neuroleptika unausweichlich erscheinen, sollte aufgrund des besseren Nebenwirkungsprofils Risperidon gegenüber Haloperidol bevorzugt werden. Das gilt, obwohl die Effekte von Haloperidol vor allem bei psychotischem Erleben stärker ausfallen.
Generell sollte man die Indikationen für sämtliche Verordnungen bei Demenzkranken immer wieder kritisch hinterfragen. Zu klären ist in diesem Zusammenhang auch, ob der Patient überhaupt noch in der Lage ist, die Medikamente adäquat und selbstständig einzunehmen oder ob er womöglich Hilfe oder eine andere Applikationsform benötigt.
Bei jeder Substanz muss zudem geprüft werden, ob sie in der jeweiligen Situation überhaupt noch erforderlich ist oder ob es sich möglicherweise um eine Doppelverordnung, eine unnötige oder unkritisch weitergeführte Dauertherapie handelt. Letzteres ist häufig bei Analgetika und Antiphlogistika der Fall, aber auch bei schlaffördernden Medikamenten. Zu bedenken ist, dass viele Hypnotika bei Demenz Schlafstörungen und aggressives Verhalten fördern können. Bei Medikamenten mit langer Halbwertszeit drohen zudem Überhangsyndrome mit Tagesmüdigkeit, Verwirrtheit, Depressionen und Schwindel. Stets sollte man nach dem Motto „start low, go slow“ mit der niedrigsten Dosis starten.
Ein weiterer und wichtiger Punkt ist die Identifizierung von anticholinergen Arzneimitteln. Von weit mehr als 100 Wirkstoffen ist mittlerweile das unterschiedlich hohe anticholinerge Potenzial bekannt, das sich bei Einnahme mehrerer Medikamente potenzieren kann. Dazu gehören z.B. Medikamente zur Behandlung von M. Parkinson oder Harninkontinenz, bei denen es zu zentralen Nebenwirkungen wie Verwirrtheit, Tremor, Sehstörungen, Stürzen und Delir kommen kann. Zudem begünstigt die langfristige Einnahme die Entstehung einer Demenz. Ist eine Umstellung auf einen alternativen Wirkstoff nicht möglich, sollte zumindest eine Dosisreduktion versucht werden.
Quelle: Schnieder M, Viehmeister B. Inn Med (Heidelb) 2024; 65: 17-21; DOI: 10.1007/s00108-023-01631-w