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Demenzen Die Pillenflut eindämmen

Autor: Maria Weiß

Sämtliche Verordnungen bei Demenzkranken sollten regelmäßig hinsichtlich ihrer Indikation hinterfragt und geprüft werden. Sämtliche Verordnungen bei Demenzkranken sollten regelmäßig hinsichtlich ihrer Indikation hinterfragt und geprüft werden. © Fly Frames – stock.adobe.com
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Multimorbidität und Demenzerkrankungen gehen oft Hand in Hand. Da wird der Medikationsplan schnell zur langen Liste. So manche wohlmeinend verordnete Sub­stanz verschärft die demenzielle Symptomatik allerdings eher, als dass sie sie mindert. 

Längst nicht jeder Patient mit Morbus Alzheimer bekommt auch die indizierten Antidementiva verschrieben. Doch haben diese Substanzen nicht nur Effekte auf die Kognition, sondern reduzieren auch neuropsych­iatrische Symptome, schreiben­ PD Dr. ­Marlena ­Schnieder, Klinik für Geriatrie am Universitätsklinikum Göttingen, und ­Birte ­­Viehmeister von der dortigen Krankenhausapotheke.

Zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Alzheimer­demenz sind die Acetylcholinesterase­hemmer Rivastigmin, Galantamin und Donepezil zugelassen. Sie unterscheiden sich nicht in der Wirksamkeit, z.T. aber im Nebenwirkungsprofil. Treten unerwünschte Effekte wie Übelkeit, Diarrhö, Urin­inkontinenz, Schlafstörungen oder erhöhte Reizbarkeit auf, kann daher ein Präparatewechsel sinnvoll sein. Bei fortgeschrittener Alzheimerkrankheit hat zudem Memantin eine Zulassung. Die Effekte der Acetylcholinesterasehemmer sind auch bei vaskulärer und bei Parkinson­demenz erkennbar. Sie fallen dann aber deutlich schwächer aus. Zuge­lassen sind lediglich Rivastigminkapseln bei M. Parkinson, alles andere ist off label­.

Viele Patienten mit Alzheimer bekommen vor allem bei neuro­psychiatrischen Symptomen kein Antidementivum verordnet, sondern die nebenwirkungsträchtigen Neuroleptika. Tatsächlich stoßen Anti­dementiva bei schwerwiegender Agitation oft an ihre Grenzen. Lassen Halluzinationen, Wahn oder Aggressivität Neuroleptika unausweichlich erscheinen, sollte aufgrund des besseren Nebenwirkungsprofils Risperidon gegenüber Haloperidol bevorzugt werden. Das gilt, obwohl die Effekte von Haloperidol vor allem bei psychotischem Erleben stärker ausfallen.

Generell sollte man die Indikationen für sämtliche Verordnungen bei Demenzkranken immer wieder kritisch hinterfragen. Zu klären ist in diesem Zusammenhang auch, ob der Patient überhaupt noch in der Lage ist, die Medikamente adäquat und selbstständig einzunehmen oder ob er womöglich Hilfe oder eine andere Applikationsform benötigt.

Bei jeder Substanz muss zudem geprüft werden, ob sie in der jeweiligen Situation überhaupt noch erforderlich ist oder ob es sich möglicherweise um eine Doppelverordnung, eine unnötige oder unkritisch weitergeführte Dauertherapie handelt. Letzteres ist häufig bei An­algetika und Antiphlogistika der Fall, aber auch bei schlaffördernden Medikamenten. Zu bedenken ist, dass viele Hypnotika bei Demenz Schlafstörungen und aggressives Verhalten fördern können. Bei Medikamenten mit langer Halbwertszeit drohen zudem Überhangsyndrome mit Tagesmüdigkeit, Verwirrtheit, Depressionen und Schwindel. Stets sollte man nach dem Motto „start low, go slow“ mit der niedrigsten Dosis starten.

Ein weiterer und wichtiger Punkt ist die Identifizierung von anti­cholinergen Arzneimitteln. Von weit mehr als 100 Wirkstoffen ist mittlerweile das unterschiedlich hohe anticholinerge Potenzial bekannt, das sich bei Einnahme mehrerer Medikamente potenzieren kann. Dazu gehören z.B. Medikamente zur Behandlung von M. Parkinson oder Harn­inkontinenz, bei denen es zu zentralen Nebenwirkungen wie Verwirrtheit, Tremor, Sehstörungen, Stürzen und Delir kommen kann. Zudem begünstigt die langfristige Einnahme die Entstehung einer Demenz. Ist eine Umstellung auf einen alternativen Wirkstoff nicht möglich, sollte zumindest eine Dosisreduktion versucht werden.

Quelle: Schnieder M, Viehmeister B. Inn Med (Heidelb) 2024; 65: 17-21; DOI: 10.1007/s00108-023-01631-w