Diabetes und Mikrobiom Maßgeschneiderte Therapien als Forschungsziel
Welche Forschungsinteressen verfolgen Sie im Rahmen Ihrer Professur?
Prof. Dr. Reiner Jumpertz-von Schwartzenberg: Ein wichtiges Schwerpunktthema wird sein, die Interaktion der menschlichen Darmmikrobiota, also der Milliarden an Bakterien, die unseren Darm besiedeln, im Hinblick auf ihren Einfluss auf den Stoffwechsel zu untersuchen. In einer gemeinsamen Nature-Studie (Caloric restriction disrupts the microbiota and colonization resistance, doi: 10.1038/s41586-021-03663-4) mit Peter Turnbaugh (UCSF, San Francisco, USA) konnten wir zuletzt die tiefgreifenden Veränderungen der Mikrobiota während einer niedrig-kalorischen Diät im Menschen untersuchen. Hier konnten wir zeigen, dass das Mikrobiom während der Diät vermutlich andere metabolische Eigenschaften ausbildet, die direkten Einfluss auf die Nahrungsaufnahme und damit die Zufuhr an Kalorien für unseren Körper hat.
Dies zeigte sich auch nach Transplantation ins keimfreie Mausmodell, in dem die humane Mikrobiota nach Diätintervention einen deutlichen Gewichtsverlust in den Empfängertieren auslöste, was wir nach Transplantation der Mikrobiota aus denselben Probanden vor der Diät nicht beobachten konnten. Somit ist ein gewisser Anteil des Gewichtsverlustes durch niedrig-kalorische Diäten durch die Darmmikrobiota transferierbar, was auch für uns überraschend war. Diesen Ansatz werden wir weiter untersuchen.
Darüber hinaus zeigt sich durch neue methodische Möglichkeiten, dass Metaboliten, also Stoffwechselprodukte der Mikrobiota, in unserem Darm Einfluss haben auf die Art und Weise, wie wir Glukose, also Zucker, verstoffwechseln. Hier scheint es sogar Effekte zu geben, die die Insulinsekretion ebenso wie die Insulinsensitivität beeinflussen. Das ist insbesondere im Hinblick auf neue Diabetes-Subtypen spannend, die sich stark in der Insulinsensitivität und der Insulinsekretion unterscheiden. Die Interaktion der Darmmikrobiota und deren Metaboliten in Patient*innen mit unterschiedlichen Diabetes- und Prädiabetes-Subtypen wird daher ein Schwerpunkt dieser Arbeitsgruppe sein.
Ist die Adipositas auch künftig Ihr Fokus, oder wollen Sie sich eher dem Diabetes widmen?
Prof. Dr. Jumpertz-von Schwartzenberg: Im Rahmen der Professur für klinische Metabolismus- und Adipositasforschung steht der Glukose- sowie der Energie-Stoffwechsel im Fokus. Wie bereits auf dem diesjährigen amerikanischen Diabeteskongress immer klarer geworden ist, ist eine erfolgreiche Therapie des Diabetes mellitus langfristig bei vielen Patient*innen nur durch eine nachhaltige Gewichtsreduktion bzw. deren Erhalt zu bewerkstelligen. Zudem kommen die erfolgreichsten Medikamente für den Gewichtsverlust heutzutage aus dem Bereich der Diabetes-Therapie, sodass Gewichtsregulation und Diabetes-Therapie ineinandergreifen. Der Forschungsfokus gilt also beidem.
Neben der Untersuchung der Rolle des Mikrobioms auf die Nahrungsabsorption möchte ich, wie bereits erwähnt, Stoffwechselmetaboliten des Darmmikrobioms charakterisieren, und zwar in Subtypen des Typ-2-Diabetes – allerdings primär dem SIRD (severe insulin resistent diabetes) und dem MOD (mild obesity-related diabetes, s. Kasten). Diese Cluster sind beide mit der Adipositas vergesellschaftet, unterscheiden sich aber sehr in der Entwicklung von Komorbiditäten.
Subtypen des Typ-2-Diabetes
Betroffene mit Typ-2-Diabetes können in fünf Cluster mit unterschiedlichem Risiko für Komplikationen und Folgeerkrankungen eingeteilt werden:
- SAID: schwerer Autoimmun-Diabetes
- SIDD: schwerer Insulinmangel-Diabetes
- SIRD: schwerer, insulinresistenter Diabetes
- MOD: moderater, adipositasbedingter Diabetes
- MARD: moderater, altersbedingter Diabetes
Im SIRD-Cluster ist die Gefahr einer diabetischen Nephropathie besonders hoch. Das größte Risiko für Retinopathien hingegen besteht im Cluster SIDD.
Ahlqvist E et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 361-369; doi: 10.1016/S2213-8587(18)30051-2
Im Diabeteszentrum des Universitätsklinikums Tübingen, in dem ich als Oberarzt sowie Leiter der klinischen Studienzentrale arbeite, können wir Patient*innen dieser Gruppen rekrutieren, die sich in der Evaluation zur bariatrischen OP befinden. Das ermöglicht uns in Zusammenarbeit mit den Chirurgen erstmalig, im Zuge der OP auch Mikrobiom-Proben aus dem Dünndarm zu entnehmen, der ohnehin bei dem Eingriff eröffnet wird. Denn immer nur Stuhlproben zu analysieren, das ist wie nur mit dem Rückspiegel Auto zu fahren. Was im Dünndarm passiert, wo der Metabolismus und die Nahrungsabsorption hauptsächlich stattfinden, ist für uns immer noch eine Black Box. Über dieses invasive Biosampling könnten wir also erstmals an der Schnittstelle der Nahrungsaufnahme die Unterschiede zwischen den Diabetes-Subclustern untersuchen.
Welche Schwerpunkte hat das Klinische Studienzentrum? Welche Studien werden gerade durchgeführt, welche sind in Planung?
Prof. Dr. Jumpertz-von Schwartzenberg: Im klinischen Studienzentrum des IDM (Institute of Diabetes Research and Metabolic Diseases) führen wir Studien im Menschen durch, die eine breite Spannweite in der Diabetes- und Adipositasforschung abdecken. Ein großer Teil der Studien sind Multicenter-Studien, die im Rahmen des DZD durchgeführt werden, was den Aufbau von klinischen Kohorten ermöglicht, aber auch die Testung von neuen Therapien in Patient*innen mit neuen Subtypen des Diabetes mellitus oder des Prädiabetes. Aktuell laufen mehr als 20 klinische Studien in unserem Zentrum, einige davon als AMG-Studien, also Studien, die Medikamente zur Testung der Effekte auf den Stoffwechsel beinhalten.
Ziel ist es u. a., maßgeschneiderte Therapien für Personen mit erhöhtem Diabetes-Risiko und insbesondere erhöhtem Risiko für Komplikationen bereits in einer frühen Phasen zu untersuchen, mit dem Ziel, dass sich Komplikationen erst gar nicht entwickeln können. Ein Beispiel dafür ist eine neue Studie, die sog. LIFETIME-Studie, in der wir die Effekte von SGLT2-Inhibitoren bei Patient*innen mit Prädiabetes im Hinblick auf die Verhinderung des Fortschreitens früher Phase einer Nierenerkrankung untersuchen. Diese Studie wird nur möglich als Multicenter-Studie im DZD-Netzwerk durch die Unterstützung der beteiligten Studienzentren deutschlandweit.
Sie sind auch im DZD sehr aktiv. Auf welche Art und Weise kooperieren Sie mit dem DZD?
Prof. Dr. Jumpertz-von Schwartzenberg: Als Mitglied des IDM des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen, der Klinik für Diabetologie und Endokrinologie sowie auch als Leiter der klinischen Studienzentrale bin ich selbstverständlich Teil des DZD und bin dort auch in verschiedenen Akademien und Gremien tätig. Wir sind sehr eng mit den anderen Partnern des DZD verzahnt, vor allem bei der Durchführung der Multicenter-Studien. Das bietet natürlich den Vorteil, die zentralen Fragestellungen der einzelnen Studien zügig zu adressieren, und die gleiche Unterstützung erfahren wir auch in den von uns initiierten Studien. Zudem bietet die DZD-Infrastruktur erhebliche Vorteile, durch Kollaborationen zwischen den Zentren auch Querschnittsbereiche abzudecken und klinische Fragestellungen in den vorhandenen Kohortenstudien validieren zu können. Das alles ist nur mithilfe des DZD möglich.
Was empfehlen Sie jungen Wissenschaftler*innen/Mediziner*innen, um in der Diabetologie erfolgreich zu sein?
Prof. Dr. Jumpertz-von Schwartzenberg: Gerade in der klinischen Forschung kommt es auf den berühmten „langen Atem“ an. Das gilt besonders für translationale Studien, in denen die Grundlagenforschung mit klinischen Studien kombiniert wird. Das zeigt z. B. der ca. dreijährige Review-Prozess unserer Nature-Studie aus dem letzten Jahr. Gerade junge Mediziner kennen im Rahmen der klinischen Patientenversorgung die Komplikationen, die auftreten können und das Leben von Patient*innen mit Diabetes maßgeblich beeinflussen. Ich empfand das stets als treibende Motivation für die eigene Forschung. Ein wichtiger Aspekt für Kliniker heutzutage ist sicherlich auch die Teilnahme an einem Clinician-Scientist-Programm, was neben der klinischen Tätigkeit auch geschützte Forschungszeit erlaubt, ohne dafür wesentliche Nachteile in der Facharztweiterbildung zu haben. Davon habe ich zu meiner Zeit an der Charité sehr profitiert. Ich finde zudem die DZD NEXT-Symposien und -Workshops ideal für Nachwuchswissenschaftler*innen – zum Austausch und für den engen Kontakt mit etablierten PIs im DZD-Netzwerk.