Prophylaxe Erhöhtes Risiko für kolorektale Karzinome bei Typ-2-Diabetes
Um bis zu 45 % ist die Vorsorgekoloskopie-Rate im Rahmen der Coronapandemie zurückgegangen. Professor Dr. Jörg Bojunga, Leiter des Schwerpunkts Endokrinologie, Diabetologie und Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, findet das bedenklich. Schließlich wird Männern, sofern keine speziellen Risikofaktoren vorliegen, ab dem 50. und Frauen ab dem 55. Lebensjahr eine Vorsorgekoloskopie empfohlen. Der Experte wies darauf hin, dass insbesondere Menschen mit Typ-2-Diabetes diesbezüglich zu einer Risikogruppe gehören. Die coronabedingt nachlassenden Aktivitäten zur Tumorfrüherkennung erfordern daher eine besondere klinische Wachsamkeit.
Prof. Bojunga verwies auf epidemiologische Daten, wonach es einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Vorliegen eines Typ-2-Diabetes und der Entwicklung von kolorektalen Karzinomen (CRC) gibt. „Aktuelle Resultate einer schwedischen Kohortenstudie untermauern nochmals, wie stark sich der Typ-2-Diabetes auf das CRC-Risiko auswirkt.“ Die klinisch relevante Frage dieser landesweiten Kohortenstudie1 (Follow-up 1964–2015) lautete: Wie viele Jahre früher erreichen Menschen mit Diabetes – mit und ohne kolorektalen Karzinomen in der Familienanamnese – im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung das Schwellenrisiko, bei dem ein CRC-Screening allgemein empfohlen wird? Dazu erfolgten komplexe Analysen: Untersucht wurde das altersspezifische kumulative 10-Jahres-CRC-Risiko nach persönlicher Vorgeschichte von Diabetes vor dem 50. Lebensjahr und familiärer Vorgeschichte von CRC, erläuterte Prof. Bojunga.
Bei Diabetes: Screening-Niveau wird früher erreicht
Laut der schwedischen Registerdaten erkrankten von insgesamt 12.614.256 erfassten Personen 162.226 Menschen an einem kolorektalen Karzinom und 559.375 an Diabetes. Die weiteren Auswertungen zeigten, dass Menschen mit Diabetes das Screening-Niveau des CRC-Risikos früher erreichten als die Allgemeinbevölkerung. Demnach erlangten Männer mit Diabetes dieses Risikolevel schon im Alter von 45 Jahren, also fünf Jahre früher als das allgemein empfohlene Screening-Alter. Für Frauen mit Diabetes betrug diese Risikoprogression vier Jahre, so der Experte. Zudem sei das Risiko ausgeprägter für diejenigen mit zusätzlicher Familienanamnese.
„Letztlich lagen die screeningrelevanten Schwellenwerte bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ungefähr in der Größenordnung wie bei Personen mit positiver Familienanamnese für ein kolorektales Karzinom“, brachte Prof. Bojunga die Resultate auf den Punkt.
Neue Informationen zum Startalter
Somit bietet diese Studie neue evidenzbasierte Informationen für ein risko-adaptiertes Startalter des CRC-Screenings bei Menschen mit Diabetes – denn sie haben nachweislich ein höheres Risisko für ein früh einsetzendes kolorektales Karzinom im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, resümierte der Experte. Folglich kann bei Menschen mit Typ-2-Diabetes bereits vor den etablierten Altersgrenzen eine Vorsorgekoloskopie in Betracht kommen. In diesem Zusammenhang ist klinisch auch das plötzliche Auftreten einer Gewichtsabnahme oder Anämie differenzialdiagnostisch im Blick zu behalten.
Besonders wichtig ist die Darmvorbereitung
Und auch die Vorbereitung zur Koloskopie bedarf besonderer Achtsamkeit: „Denn die Darmvorbereitung und -reinigung kann bei Menschen mit Typ-2-Diabetes erschwert sein“, betonte Prof. Bojunga. Diabetes gelte per se als Risikofaktor für eine schlechte Darmvorbereitung bei Patienten, die sich einer Koloskopie unterziehen, u. a. aufgrund der häufig beeinträchtigten Darmpassage und der langsameren Magenentleerung. „Doch die Koloskopievorbereitung ist essenziell für eine gute Aussage, andernfalls besteht das Risiko, dass postkoloskopische kolorektale Karzinome auftreten können. Diese sogenannten Intervallkarzinome machen generell 8 % aller kolorektalen Karzinome aus; das ist nicht selten“, erinnerte der Experte. Die Mehrheit dieser CRC entstammt aus Läsionen, die bei der ersten Koloskopie übersehen oder unzureichend reseziert wurden.
Klare Sicht im Darm
Um bei Menschen mit Typ-2-Diabetes die Darmentleerung und folglich die koloskopische Beurteilbarkeit zu verbessern, werden Prof. Bojunga zufolge verschiedene Strategien vorgeschlagen.2 Von pharmakologischer Seite gelten die Zugabe von Magnesiumcitrat, Bisacodyl, Lubiproston oder Pyridostigmin als Optionen. Als nicht-pharmakologische Maßnahmen können modifizierte, diabetesspezifische Abführprotokolle in Betracht kommen.1
Nicht zu unterschätzen ist wiederum das Auftreten von Darmkrebs nach einer Koloskopie bei Vorliegen eines Diabetes: Studiendaten zufolge haben Menschen mit T2DM im Vergleich zu Personen ohne Diabetes ein um den Faktor 1,5 erhöhtes Risiko für Intervallkarzinome. Betroffene werden dadurch erheblichen Belastungen ausgesetzt: „Sie haben eine Vorsorgekoloskopie gemacht, die nächste Koloskopie steht noch nicht an und trotzdem ist ein kolorektales Karzinom aufgetreten“, konstatierte er.
So wirkt sich Metformin auf Risiko und Prognose aus
„Da Intervallkarzinome meist aus Läsionen entstehen, die man übersehen hat, spielt auch ein unzureichend gesäuberter Darm eine wichtige Rolle.“ Dies kann den Weg für Folgekomplikationen bahnen: Nicht nur neoplastische oder präneoplastische Läsionen werden übersehen, auch die Eingriffsdauer kann sich verlängern und letztlich erhöhen sich Nebenwirkungsrisiken, die mit dem Eingriff verbunden sind.
Aktuelle Metaanalyse zu Metformin und Darmkrebs
Vor diesem Hintergrund ist auch eine aktuelle Metaanalyse zur Wirkung von Metformin auf das Risiko und die Prognose von Darmkrebs beachtenswert. Dabei zeigte sich, dass der Einsatz von Metformin mit einem verringerten Risiko und einer niedrigeren Gesamtmortalität von CRC bei Diabetes verknüpft war.
Zudem gibt es Belege durch Kohortenstudien, dass die Anwendung von Metformin mit einer niedrigeren CRC-spezifischen Mortalität bei Diabetes assoziiert war. Somit kann Metformin offenbar ein Schutzfaktor für das CRC-Risiko und die Prognose bei Diabetes sein. Um dies zu bestätigen, bedarf es allerdings groß angelegter klinischer Studien und auch präklinischer Arbeiten, kommentierte der Experte.
Quellen:
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Khan UA et al. PLoS Med 2020; 17 (11): e1003431; doi: 10.1371/journal.pmed.1003431
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Agha OQ et al. Ann Gastroenterol 2021; 34: 310-315; doi: 10.20524/aog.2021.0599
Diabetes Update 2022