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Multimodale Strategien gefordert Erste S3-Leitlinie zur perioperativen Versorgung bei gastrointestinalen Tumoren

Autor: Lara Sommer

Die bestmögliche Betreuung von Erkrankten vor, während und nach einer
Tumorresektion im Bauchraum erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die bestmögliche Betreuung von Erkrankten vor, während und nach einer Tumorresektion im Bauchraum erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit. © Alwie99d - stock.adobe.com
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Von der Prähabilitation bis zur Frühmobilisierung – Expert:innen trugen zusammen, was Ärzt:innen im Rahmen einer Tumorresektion im Gastrointestinaltrakt bedenken sollten. In der neu geschaffenen S3-Leitlinie betonen sie die Bedeutung perioperativer Managementkonzepte.

Onkologische Resektionen an Ösophagus, Magen, Pankreas, Leber, Kolon und Rektum sollten stets im Rahmen eines multimodalen, perioperativen Managementkonzepts (mPOM) erfolgen (Empfehlungsgrad B, A für kolorektale Tumoren). Dies stellen Expert:innen um Prof. Dr. Tim Vilz, Universitätsklinikum Bonn, und Prof. Dr. ­Stefan Post aus Mannheim in der ersten S3-Leitlinie zum perioperativen Management bei gastrointestinalen Tumoren klar. Darüber hinaus geben sie Empfehlungen für Vorbereitung, Chirurgie und unmittelbare Nachsorge.

Vor der Operation

Jenseits der generellen Ratschläge zum Lebensstil können Kolleg:innen auf eine intensivierte Prähabilitation mit strukturierten Programmen verzichten (0). Sie sind angehalten, Patient:innen routinemäßig über das verwendete multimodale perioperative Behandlungskonzept aufzuklären (Expert:innenkonsens/EK). Zur Planung der Operation sollten Fachleute ein validiertes Risikostratifizierungsinstrument berücksichtigen und die Ergebnisse im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung mit dem/der Erkrankten besprechen (B).

Meist soll(t)en Patient:innen die etablierte Einnahme kardiovaskulär wirksamer Medikamente peri- und postoperativ fortsetzen (EK, s. Tabelle). In der Pankreas- und Leberchirurgie können Mediziner:innen eine perioperative Gabe von Glukokortikoiden in Betracht ziehen (EK). Für die gastrointestinale Tumorchirurgie im Allgemeinen konnten die Expert:innen außerhalb der Übelkeitsprophylaxe keine eindeutige Empfehlung aussprechen. Auch hinsichtlich sedierender Prämedikationen fällt die Datenlage uneindeutig aus.

Umgang mit kardiovaskulär wirksamen Medikationen

 

Beta-Blocker

Nitrate

Calciumantagonisten

Statine

ACE-Hemmer/ AT1-Rezeptorblocker

Einnahme fortsetzen?

ja

ja

Daten fehlen

ja

ja, außer in den 24 Stunden vor der OP

Therapie neu beginnen?

nicht standardmäßig, bei hohem kardialen Risiko möglich
(KHK und manifeste Myokardischämie; zwei oder mehr kardiale
Risikofaktoren)

Daten fehlen

Daten fehlen

bei hohem kardiovaskulären Risiko und elektivem Eingriff
möglich; Beginn mindestens 2 Wochen vor der Operation

Einzelfallentscheidung bei kardial stabilen Patient:innen mit
frisch diagnostizierter linksventrikulärer Herzinsuffizienz

 

Patient:innen mit entsprechenden Risikofaktoren sollen eine Prophylaxe gegen Übelkeit und Erbrechen erhalten (A). Eine solche setzt sich empfohlenerweise aus mehreren Medikamenten verschiedener Wirkstoffklassen zusammen (B). In diesem Kontext ist eine propofolbasierte totalintravenöse Anästhesie zu bevorzugen, sofern der/die Betreffende keine zusätzlichen Anti­emetika erhält (B). Wird eine volatile Anästhesie allerdings mit einer Antiemese kombiniert, fällt das Risiko für Übelkeit/Erbrechen ähnlich aus.

In der Stunde vor der ersten Inzision sollen Ärzt:innen eine intravenöse Antibiotikaprophylaxe durchführen. Bis zu einer Dauer von drei Stunden genügt in der Regel eine Einmalgabe. Bei langen Eingriffen oder starkem Blutverlust soll diese gegebenenfalls intraoperativ wiederholt, aber nicht postoperativ fortgeführt werden (EK).

Präparation des GI-Traktes

Falls vor kolorektalen Resektionen eine präoperative Darmvorbereitung stattfindet, sollte diese kombiniert mechanisch und oral-antibiotisch erfolgen (B). Eine ausschließliche mechanische Präparation ist kontraindiziert (A), aber eine reine Antibiose können Behandelnde erwägen (0). Vor Operationen am oberen GI-Trakt, Pankreas und Leber sollten Mediziner:innen keine mechanische Darmvorbereitung durchführen (EK, B). Zur oral-antibiotischen Präparation bei nicht-kolorektalen Eingriffen fehlen aussagekräftige Daten. 

Der Stellenwert einer selektiven Darmdekontamination hängt ebenfalls vom betroffenen Organ ab: Im oberen GI-Trakt können Fachleute dies perioperativ erwägen (0), vor kolorektalen Operationen sollten sie andererseits darauf verzichten (B). Hinsichtlich Leber, Gallengängen und Pankreas mangelt es an Evidenz.

Während des Eingriffs

Die Gefäßversorgung eines rekonstruierten Magenschlauchs nach Ösophagusresektion können Chirurg:innen intraoperativ durch Fluoreszenz-Angiographie mit Indocyaningrün prüfen (EK). Legen sie eine Anostosmose zum Rektum, sollten sie diese während des Eingriffs mittels AirLeak-Test, Methylenblau oder Endoskopie auf Dichtigkeit testen (EK). Nach einer Kolon- oder Rektumresektion soll auch die Perfusion kontrolliert werden (EK), dies kann intraoperativ durch Indocyaningrün erfolgen (0).

Im Anschluss an eine transthorakale Ösophagektomie soll eine einzelne interkostale Drainage mit oder ohne Sog angelegt werden (EK), eine zervikale oder abdominelle Ableitung nach Ösophagektomie und gastraler Rekonstruktion sollte hingegen ausbleiben. Das Expert:innenkomitee rät außerdem von einer Drainage ab nach:

  • Gastrektomie (B)
  • unkomplizierter Leberresektion (A)
  • elektiver kolorektaler Resektion (A)
  • transanal nach tiefer anteriorer Rektumresektion (B)

Bei einer komplexen Leberoperation, die eine Rekonstruktion von Gallengängen oder Gefäßen erfordert, beurteilen die Autor:innen sie wiederum als optional (0). Während einer Pankreasresektion können Chirurg:innen ebenfalls eine intraabdominale Drainage legen (0). Wenn das Sekret auf ein geringes Fistelrisiko hindeutet, darf man diese im frühen postoperativen Verlauf (bis zu vier Tage) entfernen (0). Betrifft die Operation den Kopf des Organs, kann eine Pankreasgangdrainage mit externer Ableitung Anwendung finden (0).

Magensonden und Katheter

Nach einer transthorakalen Ösophagektomie mit gastraler Rekonstruktion empfiehlt sich eine doppellumige Magensonde zur Dekompression. Diese kann man innerhalb der ersten 48 Stunden entfernen (EK). Im Rahmen von elektiven Resektionen an Kolon und Rektum sollen Ärzt:innen eine nasogastrale Sonde vor der Narkoseausleitung ziehen (EK). Dasselbe gilt für intraoperativ gelegte Magensonden bei einer elektiven Leberresektion sowie einer vollständigen oder partiellen Gastrektomie (A). Auch im Anschluss an eine Entfernung des Pankreaskopfs als Whipple-OP können die Operierenden eine nasogastrale Sonde direkt entfernen (EK). 

Die Fachleute raten, einen transurethralen Dauerkatheter nach kolorektalen Operationen innerhalb der ersten 24 Stunden zu ziehen. Liegen Risikofaktoren für einen Harnverhalt wie männliche Anatomie, eine tiefe anteriore Rektumresektion oder eine Rektum­exstirpation vor, darf man diesen bis zum dritten postoperativen Tag belassen (EK). Zu anderen Eingriffen sowie suprapubischen Kathetern existieren keine Empfehlungen.

Schmerztherapie 

Intra- und postoperativ sollten Patient:innen bei offenen viszeralchirurgischen Eingriffen eine kontinuierliche Epiduralanalgesie erhalten (B). Während und nach minimalinvasiven Operationen kann sie dann Anwendung finden, wenn der Einsatz Erfolg versprechend scheint, beispielsweise aufgrund langer OP-Zeiten und eines hohen prognostizierten Opioidbedarfs (EK). 

Die Expert:innen gehen davon aus, dass die Epiduralanalgesie peripheren Verfahren überlegen ist, unabhängig von Organ und OP-Zugang. Im Falle einer minimalinvasiven Kolonresektion oder tiefen anterioren Rektumresektion bewerten sie eine TAP-Blockade* als Alternative (0).

Mittel gegen Motilitätsstörungen

Um postoperative Motilitätsstörungen nach onkologischen kolorektalen Eingriffen zu vermeiden, sollten Ärzt:innen Laxanzien frühzeitig zur Prophylaxe und/oder Therapie einsetzen (B). Darüber hinaus kann eine präoperativ begonnene und postoperativ fortgesetzte Therapie mit NSAID helfen (0). Im Falle eines klinisch manifesten Ileus darf Neostigmin als letztes Mittel Anwendung finden (0). 

Nach abdominalchirurgischen Eingriffen besteht die Möglichkeit, Erkrankten koffeinhaltigen Kaffee anzubieten (bis zu 3 x 150 ml), der Konsum kann bereits im Aufwachraum beginnen (EK). Im Anschluss an eine kolorektale Resektion sollten Patient:innen während der ersten fünf Tage 3- bis 4-mal täglich 10–15 Minuten Kaugummi kauen (EK), optional auch nach offenen Leberresektionen. 

Als untauglich für die Prophylaxe beurteilten die Verantwortlichen andererseits Propanolol bei kolorektalen Resektionen (A) sowie Prucaloprid (B), Metoclopramid, Erythromycin und Simethicon (alle A) im Rahmen gastrointestinaler Tumorresektionen. Ebenso raten sie davon ab, unmittelbar postoperativ Methylnaltrexon s.c. zu verabreichen, wenn Patient:innen eine systemische Opioidtherapie erhalten (A). Osmotisch wirksame Röntgenkontrastmittel eignen sich nicht zur Behandlung eines postoperativen Ileus (A). 

Sonstige postoperative Maßnahmen

Gemäß der Leitlinienkommission sollen Patient:innen im Anschluss an die Operation frühmobilisiert werden (EK). Erfolgte eine mediane Laparotomie, kann eine Bauchbinde Schmerzen lindern (0). Nach Eingriffen an Thorax und Abdomen können Mediziner:innen hingegen auf eine Atemtherapie mittels Incentive-Spirometrie als alleinige Maßnahme zur Prophylaxe pulmonaler Komplikationen verzichten (0).

*Transversus abdominis plane block

Quelle: S3-Leitlinie Perioperatives Management bei gastrointestinalen Tumoren (POMGAT), AWMF-Register-Nr. 088-010OL, www.leitlinienprogramm-onkologie.de