Hormongabe bei jungen trans Personen Fluch oder Segen für die Psyche?

Autor: Dr. Melanie Söchtig

In den USA ordnen sich zwischen 2 % und 9 % der Jugendlichen im Highschoolalter dem transgender oder non-binären Spektrum zu. In den USA ordnen sich zwischen 2 % und 9 % der Jugendlichen im Highschoolalter dem transgender oder non-binären Spektrum zu. © Pixel-Shot – stock.adobe.com

Die hormonelle Behandlung von jungen Menschen, die sich selbst als transgender erleben, hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Doch gab es bisher für diese Personen kaum Langzeitdaten, weshalb der Ansatz umstritten ist.

In den USA ordnen sich zwischen 2 % und 9 % der Jugendlichen im Highschoolalter dem transgender oder non-binären Spektrum zu. Bei ihnen passen die empfundene Identität und das körperliche Erscheinungsbild nicht zusammen. Dadurch kann großes psychisches Leid und letztlich eine Geschlechtsdysphorie entstehen. Immer öfter erhalten Betroffene deshalb Hormone, die die geschlechtsinkongruente Pubertät unterdrücken (z.B. GnRH) und eine Angleichung an das Wunschgeschlecht befördern sollen (Testosteron bzw. Östradiol). Ziel ist es, durch zunehmende Übereinstimmung des äußeren Erscheinungsbilds mit dem geschlechtlichen Empfinden die Dysphorie zu reduzieren. Studienergebnisse zu den Langzeitauswirkungen auf die Geschlechtsdysphorie und die daraus resultierende Lebenszufriedenheit gibt es kaum.

Nun haben Dr. ­Diane Chen vom Ann and Robert H. Lurie Children’s Hospital in Chicago und ihr Team erstmals eine größere Zahl von Jugendlichen nach geschlechtsangleichender Hormontherapie über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg beobachtet. Sie werteten die Daten von insgesamt 315 trans und nicht-binären Personen im Alter zwischen zwölf und 20 Jahren aus. 60,3 % von ihnen waren Personen, die man offiziell dem weiblichen Geschlecht zugeordnet hatte, die sich selbst aber als männlich identifizierten. Einige von ihnen (7,9 %) hatten vor der geschlechtsangleichenden Hormontherapie bereits Pubertätsblocker erhalten.

Im Fokus des Forschungsinteresses standen verschiedene Aspekte der psychosozialen Funktionsfähigkeit. Diese erfassten Dr. Chen und Kollegen mit Hilfe von validierten Skalen und Fragebögen bis zu fünf Mal: zu Studienbeginn sowie 6,12, 18 und 24 Monate nach Start der Hormontherapie. Zum Einsatz kamen die Transgender Congruence Scale, das Beck Depression Inventory-II, die Revised Children’s Manifest Anxiety Scale und die Toolbox Emotion Battery des National Institutes of Health. 

Die Forschenden stellten fest, dass sich im Laufe der Zeit Erscheinungsbildkongruenz, positiver Affekt und Lebenszufriedenheit signifikant verbesserten. So stieg z.B. der Score für die Lebenszufriedenheit auf einer 100-Punkte-Skala durchschnittlich um 2,32 Punkte pro Jahr. Zugleich nahmen Depressions- und Angstsymptome signifikant ab –insbesondere bei Personen, denen bei Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen worden war. Gleichzeitig war die Erscheinungsbildkongruenz positiv mit der Lebenszufriedenheit und dem positiven Affekt sowie negativ mit einem Rückgang der Depressions- und Angstsymptome koreliert. Mit einer Rate von 3,5 % stellten Suizidgedanken das häufigste unerwünschte Ereignis dar. Zwei Teilnehmende nahmen sich während des zweijährigen Beobachtungszeitraums das Leben. 

Die Autor:innen kommen zu dem Schluss, dass eine geschlechtsangleichende Hormontherapie die Erscheinungsbildkongruenz und die psychosoziale Funktion bei trans und nicht-binären Jugendlichen verbessern kann. Sie räumen allerdings Limitationen ein wie z.B. das ausschließlich urbane Umfeld, aus dem die Teilnehmenden stammten, sowie eine große Variabilität der psychischen Symptome. Sie planen zudem, bei künftigen Studien weitere Faktoren wie die elterliche Unterstützung einzubeziehen.

Dr. ­Annelou de Vries und Dr. ­Sabine ­Hannema vom Amsterdam University Medical Center sehen in ihrem Kommentar weitere Kritikpunkte. So bleibe beispielsweise unklar, ob die jungen transgender Personen – wie in internationalen Leitlinien empfohlen – im Rahmen der multidisziplinären Betreuung auch mentalen Beistand erhielten. Zu bedenken geben sie, dass junge Menschen möglicherweise nicht im Stande sind, die Tragweite von irreversiblen medizinischen Eingriffen einzuschätzen. Die positiven Effekte frühzeitiger Interventionen müssten gegen potenzielle unerwünschte Auswirkungen auf die Entwicklung von Knochen, Hirn und Fruchtbarkeit abgewogen werden. 

Trotz allem weisen die gewonnenen Erkenntnisse darauf hin, dass sich die psychische Gesundheit durch eine geschlechtsangleichende Hormontherapie verbessert, so die Kommentatorinnen. Die Verweigerung der Behandlung könne zu einer verstärkten Geschlechtsdysphorie führen und die Psyche der Betroffenen beeinträchtigen.

Quellen:
1. Chen D et al. N Engl J Med 2023; 388: 240-250; doi: 10.1056/NEJMoa2206297
2. de Vries ALC, Hannema SE. N Engl J Med 2023; 388: 275-277; doi: 10.1056/NEJMe2216191