Funktionelle Magen-Darm-Beschwerden mit der richtigen Gesprächstaktik aufdecken

Autor: Kathrin Strobel

Manchmal sorgen auch psychische Ursachen für Bauchschmerzen. Manchmal sorgen auch psychische Ursachen für Bauchschmerzen. © Chinnapong – stock.adobe.com

Patienten mit unklaren gastrointestinalen Beschwerden fühlen sich schnell auf die „Psychoschiene“ geschoben, wenn man sie auf eine mögliche seelische Komponente ihrer Leiden anspricht. Mit der richtigen Gesprächstaktik lässt sich das vermeiden.

Bauchschmerzen, Blähungen, Verstopfung, Durchfall – lassen sich solche und andere Beschwerden organmedizinisch nicht ausreichend erklären, bezeichnet man sie als funktionell oder somatoform. Drei Hauptgruppen werden unterschieden:

  • Störungen der Funktion in verschiedenen Organsystemen (z.B. Meteorismus, Palpitationen, Schwindel oder Empfindungsstörungen)
  • Schmerzen (z.B. abdominal, aber auch an anderen Orten)
  • Beschwerden im Kontext von (chronischer) Erschöpfung

In der Regel sind sich die Betroffenen sicher, dass ihre Symptome auf eine körperliche Ursache zurückgehen. Auf eine psychosomatische Betrachtung reagieren sie meist sehr ablehnend, erklärte Professor Dr. Claas­ Lahmann­ von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Das wiederum macht es dem Arzt schwer, eine tragfähige Beziehung zum Patienten aufzubauen. Halten die Probleme dann trotz zahlreicher somatisch ausgerichteter Behandlungsversuche an, kommt es nicht selten dazu, dass die Betroffenen die Therapie abbrechen und sogar den Arzt wechseln. Die häufige Folge: ein nicht enden wollendes „Doctor-Hopping“.

In Industrieländern haben bis zu 95 % der Bevölkerung mindestens einmal wöchentlich körperliche Beschwerden. Und wie sieht es im Bereich Gastroenterologie aus? In einer Umfrage mit fast 55 000 Teilnehmern gaben 43 % Magen-Darm-Symptome an, die mit einer funktionellen gastrointestinalen Störung zu vereinbaren waren. Bei rund der Hälfte der Patienten, die mit länger als sechs Monate anhaltenden oder rezidivierenden GI-Beschwerden vorstellig werden, lässt sich eine funktionelle Störung ausmachen, erklärte der Kollege. Frauen sind i.d.R. etwas häufiger und stärker betroffen als Männer. Typischerweise liegen weitere psychische Leiden vor (z.B. Angststörung, Depression).

Ob psychischer Stress Ursache oder Folge der Unpässlichkeiten ist, lässt sich nicht so einfach beantworten. Wahrscheinlich trifft beides zu. Denn die Magen-Darm-Hirn-Achse agiert in beide Richtungen, betonte Prof. Lahmann. Und so hat die eine Hälfte der Patienten zunächst psychische Probleme und entwickelt dann körperliche Symptome; bei der anderen Hälfte verhält es sich genau umgekehrt.

Psychische Komponente eher beiläufig ansprechen

Nach Ausschluss von Red Flags (s. Kasten) und einer umfassenden organmedizinischen Diagnostik hat daher die psychopathologische Exploration große Bedeutung, erklärte der Experte. Besonders viel Erfolg verspricht seiner Erfahrung nach eine psychosomatische Simultandiagnostik. Denn während der körperlichen Diagnostik sei es „ein bisschen wie beim Friseur“: Die Patienten sind dabei häufig eher zum Reden bereit als beim reinen Gespräch über den Schreibtisch hinweg. Damit die Betroffenen sich nicht in die Psychoecke abgeschoben fühlen, sollte man der Beschwerdeschilderung genügend Raum geben. Zudem kann es lohnen, die psychische Komponente mittels tangentialer Gesprächsführung, d.h. eher indirekt und beiläufig, zu erfragen – z.B. so: „Viele Menschen merken, dass ihnen ihre Beschwerden ganz schön zu schaffen machen. Wie ist das denn bei Ihnen?“ Mitunter ist es auch interessant, danach zu fragen, was die Probleme der eigenen Ansicht nach verursachen könnte. Manchmal nutzen Betroffene ihre körperlichen Symptome nur als Eintrittskarte für die Erörterung psychosozialer Anliegen – auch hieran gilt es zu denken.

Red Flags, die auf körperliche Ursachen hindeuten

  • auffälliger Befund in der körperlichen Untersuchung
  • Blut im Stuhl
  • Anämie, Entzündungszeichen
  • Fieber, Nachtschweiß
  • Gewichtsverlust (> 10 % in drei Monaten)
  • nächtliche Symptome, durch die der Patient aufwacht
  • positive Familienanamnese für CED, Zöliakie, Tumoren (Kolon, Ovar, ­Endometrium)
  • Beschwerdebeginn nach dem 50. Lebensjahr
  • akuter Beginn und/oder progrediente Symptomatik

Lässt sich nach gründlicher Abklärung kein pathologischer Befund erheben, kann man die Diagnose einer funktionellen Störung meist zuverlässig stellen. Nur bei einem sehr kleinen Teil der Patienten findet sich im Verlauf des Folgejahres noch eine körperliche Ursache. Auf wiederholte Untersuchungen sollte man daher verzichten. Klassifizieren lassen sich funktionelle GI-Syndrome anhand der Rom-IV-Kriterien. Für die psychosomatische Klassifikation sind vor allem die ICD-10-Codes F45.31 bzw. F45.32 (somatoforme autonome Funktionsstörung des oberen bzw. des unteren GI-Trakts) relevant.

Therapie sollte multimodal und interdisziplinär sein

Eine rein gastroenterologische oder rein psychotherapeutische Behandlung führt meist nicht zum gewünschten Erfolg. Prof. Lahmann hob daher die enge Kooperation zwischen der somatischen Primär- und der psychotherapeutischen Weiterversorgung hervor. In einem ersten Schritt sollte man dem Patienten nicht nur erklären, dass organisch alles in Ordnung ist, sondern plausible Erklärungsmodelle für seine körperlichen Beschwerden vermitteln. Auch die Information, dass funktionelle Beschwerden das Risiko für körperliche Krankheiten nicht erhöhen und keinen negativen Einfluss auf die Lebenserwartung haben, hilft manchen. Bei Symptomen einer Angst- oder depressiven Störung empfiehlt sich ggf. eine Behandlung mit Psychopharmaka. Psychotherapeutische Verfahren führen ebenfalls häufig zu einer Linderung der Beschwerden. Die beste Evidenz für somatoforme Störungen im Allgemeinen besteht für die kognitive Verhaltenstherapie. Eine Alternative bietet die psychodynamische Therapie, deren Wirksamkeit inzwischen ebenfalls gesichert ist. Speziell für das Reizdarmsyndrom kommen einige weitere Verfahren infrage, darunter die „Bauchhypnose“ sowie achtsamkeitsbasierte Ansätze.

Quelle: 29. Gastroenterologie-Update-Seminar*

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