Frailty Gebrechliche Herzen
In einer Beschreibung von 2001 wurde Frailty ursprünglich primär durch verringerte Kraft und Ausdauer im Sinne einer eingeschränkten Mobilität charakterisiert. Inzwischen aber hat sich die Definition dieses Syndroms erweitert und ist spezifischer geworden: Frailty ist die gemeinsame Folge aller alterstypischen Erkrankungen, die wiederum mit bestimmten serologischen, molekularen, immunologischen – also allgemein biochemischen – Veränderungen des alternden Körpers einhergehen. Für den resultierenden Funktionsverlust verschiedener Organe, der Organalterung, wurde zudem der Begriff der „Homöostenose“ geprägt, schreibt Prof. Dr. Ursula Müller-Werdan von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. In Bezug auf das Herz altert beispielsweise der Sinusknoten praktisch vorhersehbar im Laufe des Lebens: Die Herzfrequenz selbst und vor allem deren Variabilität nehmen von Geburt an langsam ab; Ergebnis ist eine verminderte physiologische Reserve. Eine solche altersbedingte Sinusknotendysfunktion wird auch als „heartbeat frailty“ bezeichnet. Zudem leiden gebrechliche Menschen gehäuft an einer Herzinsuffizienz; umgekehrt steigt das Risiko für Frailty bei Vorliegen dieser kardialen Funktionsstörung.
Diese Forschungsergebnisse haben Bedeutung für die medikamentöse Therapie älterer Patienten. Die Behandlung gebrechlicher Patienten mit Herzinsuffizienz beispielsweise sollte entsprechend multifaktoriell ausgerichtet sein: Ernährungsberatung, körperliches Training und individuelle Therapie vorliegender Begleiterkrankungen. Geht es um Bluthochdruck, sind in Studien zwar meist nur wenige Patientinnen und Patienten mit Frailty eingeschlossen, dennoch gibt es Expertenempfehlungen zur Behandlung von über 80-Jährigen: Der Praxisblutdruck sollte sich zwischen systolischen Werten von 130 bis 139 mmHg bewegen, diastolisch werden 70 bis 79 mmHg genannt. Im Gegensatz zu jüngeren Patient:innen kann bei sehr alten oder gebrechlichen zunächst eine Monotherapie erwogen werden. Voraussetzung ist, dass die Blutdruckmedikation vertragen wird – wenn nicht, sind auch höhere Blutdruckwerte akzeptabel. Fallen die Werte nämlich zu stark, besteht ein erhöhtes Sturzrisiko. Laut einer Metaanalyse stürzten ältere Menschen vermehrt unter Therapie mit Schleifendiuretika, Digoxin und Digitalis – seltener bei Gabe von ACE-Hemmern und Beta-Blockern. Möglicherweise gibt es also neben der reinen Blutdrucksenkung auch substanzspezifische Effekte in Bezug auf das Sturzrisiko.
Stürze sind auch bei der Behandlung von Vorhofflimmern als Ausdruck eines erkrankten Sinusknotens eine bedeutsame Gefahr. Diesbezüglich wurde in einer Studie das Risiko eines subduralen Hämatoms nach Sturz unter Antikoagulation abgewogen gegen den Nutzen der Blutverdünnung bei Vorhofflimmern: Erst ab einer Sturzfrequenz von 295 pro Jahr wurde beispielsweise der Vorteil von Warfarin bezüglich der Schlaganfallprophylaxe aufgehoben. Auch der Nutzen von neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK), wie Rivarobaxan oder Apibaxan, geht erst bei sehr häufigen Stürzen im Jahr verloren. Ebenso wie jüngere werden inzwischen auch ältere Menschen mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern bei einer Indikation zur oralen Antikoagulation eher mit NOAK statt Vitamin-K-Antagonisten behandelt. Hierfür gibt es zwar für sehr alte und gebrechliche Patient:innen bisher noch wenig Evidenz, allerdings Hinweise dafür, dass es für die Sicherheit einer Antikoagulation vor allem auf die erreichte INR-Einstellung ankommt. Grundsätzlich ist bei alten Menschen mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern das Schlaganfall-Risiko im Sinne einer „shared decision“ sorgfältig gegenüber der Gefahr von Blutung und Tod abzuwägen, betont die Autorin.
Die Liste der verordneten Medikamente kann gerade im Alter schnell lang werden, aber auch die Definition der Polypharmazie hat sich geändert: Während früher die dauerhafte Einnahme von mehr als fünf Medikamenten per se als Multimedikation galt, wird nun die „unangemessene Polypharmazie“ kritisch gesehen. Statt der starren „5er-Regel“ geht es darum, alle bestehenden Symptome des Erkrankten angemessen zu behandeln.
Quelle: Müller-Werdan U. Innere Medizin 2024; DOI: 10.1007/s00108-024-01681-8