Palliativmedizin Geht nicht gibt’s nicht
In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Palliativmedizin in vielen Kliniken Einzug gehalten, und die meisten Behandelnden wissen mittlerweile, worum es dabei geht. Es gilt aber zu unterschieden zwischen
- palliativer Therapie, die mithilfe medizinischer Maßnahmen versucht, das Leben von nicht mehr heilbaren Patienten immerhin zu verlängern, und
- palliativer Versorgung, die nicht die Lebenszeit, sondern die Lebensqualität verbessern will und dabei auch Angehörige und Freunde einbezieht.
Das eine schließt das andere nicht aus, gerade wenn medikamentöse oder andere Ansätze mit Schmerzen, Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen oder einfach „nur“ Angst verbunden sind, schreibt Prof. Dr. Gerhild Becker von der Klink für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Freiburg.
Sie konzentriert sich in ihrem aktuellen Artikel vor allem auf gastrointestinale Tumoren, die besonders häufig mit belastenden Symptomen verbunden sind. Diese umfassen beispielsweise einen mechanischen Ileus durch eine Obstruktion aufgrund eines kolorektalen Malignoms oder eine Infiltration des Plexus coeliacus durch ein Pankreaskarzinom, die massivste, medikamentös kaum in den Griff zu bekommende Schmerzen hervorrufen kann. Eine adäquate Ernährung stellt eine weitere Herausforderung dar, denn die Kranken haben keinen Appetit mehr und erscheinen oftmals schon regelrecht kachektisch.
Palliativmedizin als komplementär betrachten
Palliativmediziner sollten nicht erst in der Sterbephase hinzugezogen werden, sondern schon wesentlich früher, wenn (fast) sicher ist, dass eine Erkrankung trotz therapeutischer Bemühungen im Endeffekt nicht heilbar sein, progredient verlaufen und schließlich zum Tod führen wird. Dabei sieht sich die palliative Versorgung nicht als Gegensatz zur Medizin mit kurativer Intention, betont die Expertin. Im Gegenteil: Sie stellt einen komplementären, ergänzenden Ansatz dar, dessen Ziel sich im Lauf der Zeit auch verschieben kann. Anfänglich steht vielleicht die regelmäßige Einschätzung von Schmerzen und anderen Beschwerden mit dem Versuch, diese zu lindern, im Vordergrund. Dabei berücksichtigt sie in stärkerem Maße, als die konventionelle Medizin das kann, auch psychosoziale und spirituelle Bedürfnisse des Betroffenen und der Angehörigen. Über die Zeit können aber andere Probleme wichtiger werden, beispielsweise die Entscheidung über eine Patientenverfügung (Advance Care Planning), über die sich der Kranke mit dem Palliativ-Kollegen austauschen kann.
Dass das diese frühe Integration der Palliativmedizin in ein Gesamtbehandlungskonzept nicht nur ein Wunschtraum der betroffenen Experten ist, lässt sich in den entsprechenden Leitlinien internationaler Fachgesellschaften nachlesen; auch die renommierten Cochrane Reviewer haben dies schon vor mehreren Jahren angemahnt. Und diese Integration ist nicht auf die Klinik beschränkt: Sind dort dezidierte Abteilungen für Palliativmedizin eingerichtet, so ist im ambulanten Sektor vor allem der Hausarzt gefragt, der möglicherweise nach ausführlicher Weiterbildung sogar die Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“ führt. Dazu kommen mobile Teams der spezialisierten Palliativversorgung, die rund um die Uhr ansprechbar sind und so manche Verlegung eines Todkranken in die Klink verhindern, die dieser gar nicht möchte. Denn verängstigte Angehörige rufen sonst oft den Notarzt, der den Betroffenen normalerweise gar nicht kennt und ihn stationär einweist.
Benötigt ein Patient schließlich keine Versorgung im Krankenhaus mehr, kann aber andererseits auch nicht zu Hause gepflegt werden, bietet sich bei begrenzter Lebenserwartung – im Allgemeinem bis zu sechs Monate – die Verlegung in ein stationäres Hospiz an. Auch dabei kann der Palliativmediziner vermitteln, indem er z.B. geeignete Häuser in der Nähe nennt.
Quelle: Becker G. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: 447-453; DOI: 10.1055/a-2060-2119