Interview Palliativmedizin bei heilbaren hämatologischen Malignomen
Inwiefern unterscheiden sich die Bedürfnisse hämatologischer Patient:innen am Lebensende von denjenigen mit soliden Tumoren?
Prof. Dr. William Krüger: Menschen mit hämatologischen Krebserkrankungen in der Endphase leiden oft an Anämie, Blutungen, allgemeiner Schwäche und Infektionen. Hingegen treten beispielsweise Schmerzen deutlich seltener als bei soliden Tumoren auf. Aus den unterschiedlichen Beschwerdeprofilen lässt sich ableiten, dass Patient:innen in der Hämatologie teilweise andere Bedürfnisse haben. Es existieren jedoch keine vergleichenden Studien, die sich mit dieser Fragestellung beschäftigen.
Wann sollten Erkrankte Zugang zu palliativmedizinischen Angeboten erhalten?
Prof. Krüger: Hier gibt es unterschiedliche Meinungen, gerade im Bereich der Stammzelltransplantation und der Behandlung akuter Leukämien. In Studien profitierten Patient:innen allerdings davon, ab Beginn der Therapie palliativmedizinische Unterstützung zu erhalten. Das ist für mich schon eine klare Antwort. Verschiedene amerikanische Untersuchungen belegen zudem, dass sowohl Erkrankte als auch Angehörige einer frühzeitigen Betreuung positiv gegenüberstehen.
In welcher Hinsicht können Personen mit kurativem Behandlungsziel profitieren?
Prof. Krüger: Im Wesentlichen reduzieren sich die psychischen Beschwerden der Behandelten. Dies betrifft beispielsweise Angst, Depressionen und posttraumatische Stressbewältigung. Allgemein besteht die Domäne der Palliativmedizin in der Symptomkontrolle und deren Notwendigkeit beschränkt sich nicht auf das Lebensende. Das nimmt die Öffentlichkeit leider anders wahr.
Beginnt die Palliativbetreuung oft noch zu spät?
Prof. Krüger: Ja, das tut sie. Ein Grund sind sicherlich die Kosten, da man für eine flächendeckende Umsetzung zusätzliches Personal benötigt. Andererseits mag es am falschen Eindruck liegen, dass Palliativmedizin nur in der Schlussphase des Lebens helfen könne.
Mit welchen Versorgungsmodellen erreichen Mediziner:innen auch Erkrankte in kurativer Behandlung?
Prof. Krüger: In dem Moment, wo die Therapie startet, sollte Kontakt zu Palliativmediziner:innen vermittelt werden. Dann können Betroffene entscheiden, ob sie jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt eine Betreuung wünschen.
Am besten sind Konzepte, in deren Rahmen Palliativspezialist:innen die Patient:innen begleiten und den Bedarf selbst beurteilen. Dies erfordert natürlich eine Absprache mit den behandelnden Ärzt:innen. Weniger halte ich von einem On-demand-Modell, bei dem Hämatolog:innen darüber entscheiden, wann sie die Palliativmedizin hinzuziehen.
Wie sieht die klinische Realität in Deutschland aus?
Prof. Krüger: 2017 und 2018 haben wir eine Umfrage unter den mehr als 30 deutschen Zentren für allogene Transplantation durchgeführt. 30 % der Antwortenden gaben an, dass ihr Team eine:n Palliativmediziner:in beinhaltet. Bei weiteren 60 % konnten Expert:innen im Konsil angefordert werden. Die Rücklaufrate fiel gleichwohl mit 52 % gering aus. Vermutlich haben diejenigen geantwortet, die sowieso ein Interesse am Thema hegen.
Was wünschen Sie sich in diesem Bereich für die Zukunft?
Prof. Krüger: Als Erstes wünsche ich mir eine bessere personelle Ausstattung der Krankenhäuser. Des Weiteren sollte auch unter Fachleuten das Bewusstsein dafür steigen, dass das Einsatzgebiet der Palliativmedizin deutlich vor der letzten Lebensphase beginnt. Zuletzt hätte ich gerne eine engere Kooperation zwischen kurativer und palliativer Versorgung. Dort sind noch Gräben zu überwinden.
Interview: Lara Sommer