Tropische Viren Gekommen, um zu bleiben?
Tropische Viren wie die Erreger des Dengue- und Chikungunyafiebers breiten sich in Europa aus. Mit der Asiatischen Tigermücke Aedes albopictus, die als invasive Art vor allem bereits im Südwesten Deutschlands Fuß gefasst hat, haben die beiden Pathogene aus den Tropen quasi ein Beinchen in der Tür nach Deutschland.
Ein anderes Arbovirus ist schon länger bei uns, berichtet Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Tropenmediziner und Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg, in der neuen Podcastfolge von O-Ton Allgemeinmedizin: Im Jahr 2018 wurde das West-Nil-Virus (WNV) erstmals in Deutschland nachgewiesen, ein Jahr später die erste autochthone Infektion bei einem Menschen festgestellt. Als Vektor dienen dem West-Nil-Virus die heimischen Mücken der Gattung Culex. Eingewandert ist das Virus wohl mit Zugvögeln. Alternative Reiserouten für tropische Krankheitserreger sind eingeschleppte, infizierte Stechmücken (zum Beispiel bei der Flughafenmalaria) oder Eier, die über den Reiseverkehr oder den Warentransport ins Land kommen.
Die bislang gemeldeten Zahlen für das West-Nil-Fieber liegen laut dem Robert Koch-Institut (RKI) im niedrigen zweistelligen Bereich. Zwar ist ein Todesfall registriert, doch bei rund 80 % der Infizierten verlaufen die WNV-Infektionen asymptomatisch. Bei etwa 20 % kommt es zu einem makulopapulösen Exanthem, zu Muskelschmerzen und Fieber. Weniger als 1 % der Infektionen nehmen einen neuroinvasiven Verlauf. Derzeit werden viele autochthone Infektionen mit dem Virus wohl nicht als solche erkannt, die Dunkelziffer dürfte hoch sein, ist Prof. Schmidt-Chanasit überzeugt.
Hinsichtlich des Denguevirus und der Infektionen, die letztes Jahr u. a. aus Italien, Frankreich und Kroatien gemeldet wurden, gibt der Tropenmediziner weitestgehend Entwarnung: Die klimatische Situation in den europäischen Urlaubsregionen sei überhaupt nicht vergleichbar mit den Gegebenheiten, wie man sie etwa aus Indonesien, Bali, Thailand oder Brasilien kennt. „Diese großen Explosivausbrüche gibt es bei uns nicht und die wird es auch in absehbarer Zeit nicht geben.“ Zudem hat der primäre Vektor für das Virus, die Gelbfieber- beziehungsweise ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti), bisher erst den südlichen Rand Europas erreicht.
West-Nil- und Denguevirus lösen dieselben Symptome aus
Bei Reiserückkehrern aus einem Endemiegebiet müsse man bei entsprechender Symptomatik aber selbstverständlich an das Denguefieber denken. Der Erreger verursacht nahezu dasselbe Krankheitsbild wie das West-Nil-Virus, so Prof. Schmidt-Chanasit. „Sie werden eine West-Nil-Virus-Infektion in den ersten Tagen nicht von einer Denguevirus-Infektion unterscheiden können.“ Entscheidend ist die Labordiagnostik.
Überall, wo in Europa die Asiatische Tigermücke vorkommt, besteht – zumindest theoretisch – die Möglichkeit einer Infektion mit dem Chikungunyavirus. Der Erreger ist, was die Temperaturen angeht, genügsamer als Dengue, so der Tropenmediziner. „Das ist eine Erklärung dafür, warum wir auch schon Explosivausbrüche wie 2007 und 2017 in Italien gesehen haben.“ Insgesamt ist er jedoch vorsichtig damit, diese Regionen direkt als Risikogebiet zu bezeichnen, da abseits eines solchen Ausbruchs die Wahrscheinlichkeit, von einer infizierten Mücke gestochen zu werden, immer noch gering ist. Ein Lebendimpfstoff ist in den USA bereits zugelassen, demnächst dürfte eine EU-weite Zulassung folgen.
Auch wenn sich mit der Klimakrise Wetterextreme häufen und es öfter zu Hochwasser und Überschwemmungen kommt: Die Malaria wird nach Meinung von Prof. Schmidt-Chanasit wohl nicht nach Deutschland zurückkehren. Denn für die Weitergabe der Plasmodien sind zwingend infizierte, untherapierte Reiserückkehrer erforderlich, die von einer Überträgermücke (Anopheles) gestochen werden müssten, bevor die Mücke dann die Erkrankung weitergeben kann. Eine solche Situation ist bei den hiesigen Verhältnissen und unserem Gesundheitssystem schwer vorstellbar, so Prof. Schmidt-Chanasit. Gleichwohl kommt es ohne Frage weiterhin zu autochthonen Erkrankungen in Deutschland, verweist der Tropenmediziner auf die seltenen, aber dokumentierten Fälle von Flughafenmalaria.
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Mehr Awareness statt Alarmismus in Deutschland
Prof. Schmidt-Chanasit rät, das Thema Tropenkrankheiten in Deutschland mit mehr Gelassenheit anzugehen. Die Aufmerksamkeit insbesondere der Hausärzte sei ohne Frage wichtig, um Ausbrüche und eine mögliche Verbreitung feststellen zu können, aber Alarmismus keinesfalls angebracht. „Es ist gut, dass man informiert ist und dem Patienten zumindest die Basics erklären kann.“ Im Vergleich zu anderen Problemen, die die Klimakrise mit sich bringt, sei hierzulande die konkrete Gefahr für den Patienten durch Malaria, West-Nil-, Dengue- und Chikungunyavirus derzeit aber eher nachrangig.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht